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„…wenn der Engel Schar süsse Weisen singt“

Musik am Hof Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg

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Musik am Hof | Zeichnung: Stadtarchiv
Bildliche Darstellung der Fürstlich Jülichschen Hochzeit von 1585 | Zeichnung: Stadtarchiv
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Heute ist Musik allgegenwärtig. Sie berieselt uns beim Einkaufen, beim Autofahren, bei der Arbeit und wenn gewünscht, den ganzen Tag über. Die Technik hat es möglich gemacht, dass sie uns immer und überall zur Verfügung steht. Das Live-Erlebnis eines Konzerts bleibt eine besondere Erfahrung, doch das Gehörte, die Stücke, Lieder, Konzerte, Opern und Choräle, können wir per CD, Download oder Stream beliebig häufig noch einmal hören. Das war in vergangenen Zeiten anders. Man musste schon selbst ein Instrument spielen oder seine eigene Stimme verwenden, um zu musizieren. Musik war ortsgebunden, beispielsweise als Teil der Liturgie in der Kirche oder – immer etwas anrüchig – durch umherziehende Musiker auf Märkten und in Wirtshäusern. Die Möglichkeit, Musiker – Sänger und Instrumentalisten – dauerhaft zu beschäftigen, blieb allein reichen Städten, Fürsten, Königen und Kaisern vorbehalten. Musik war zugleich ein Statussymbol. Für den Hof Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg (1516-1592) lässt sich seit den späten 1540er Jahren eine reiche Musikkultur nachweisen, die Jülich zu einem Zentrum der zeitgenössischen Musik werden ließ – verbunden ist diese mit dem Namen Martin Peudargent (um 1510/20-vor 1594).

Vor mehr als 400 Jahren wirkte dieser Musiker und Komponist am jülich-klevischen Herzogshof. Er hinterließ ein beachtliches Werk mehrstimmiger (Vokal-)Musik. Im Jahr 1555 erschien in Düsseldorf sein erster Motettendruck „Liber Primus sacrarum cantionum quinque vocum, quae vulgo Moteta vocantur“ (Das erste Buch mit geistlichen Liedern, die gewöhnlich Motetten genannt werden) – übrigens das erste Buch überhaupt, das in Düsseldorf verlegt wurde. Auf der Titelseite wird er als „Illustrißimi Ducis Iuliae, Cliviae, Bergiae etc. Musicus“ (Des berühmten Herzogs von Jülich-Kleve-Berg Musiker) bezeichnet. Aus einer späteren Quelle ist ersichtlich, dass er aus Huy in den südlichen Niederlanden stammte. Der Ort lag im Fürstbistum Lüttich. Es ist also gut möglich, dass Martin für seine Ausbildung in die Bischofsstadt Lüttich zog. Später unterhielt er enge Beziehungen zu Lütticher Musikern. Mit dem Motettendruck ist er erstmals am jülich-klevischen Hof als Musiker belegt. Zuvor erscheint er als „Magister Martin Peudargent“ in einer Quelle, die ihn als Hausbesitzer in der Residenzstadt Kleve belegt. Vermutlich war er an der dortigen Stiftsschule tätig, deren Sängerklasse regelmäßig bei Hof auftrat. Wann er in den Dienst des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg trat, ist leider nicht bekannt. Vermutlich war Peudargent seit den späten 1540er Jahren für Wilhelm V., einem der bedeutendsten Fürsten im Nordwesten des Reiches, tätig. Hierfür spricht der Umstand, dass eine zweite, ebenfalls 1555 erschienene Motettensammlung ein Stück enthält, das anlässlich der Geburt bzw. Taufe der ersten Tochter des Herzogs, Maria Eleonore (1550-1608), komponiert wurde: „In laudem Mariae Leonorae Guilielmi Ducis Clivensis, Juliacensis, Bergen etc. Primogenitae“. Diese Motette dürfte bei der prächtigen Tauffeierlichkeit – Taufpaten waren die Schwestern Kaiser Karls V., Maria von Ungarn und Eleonora von Frankreich, sowie Dorothea von der Pfalz und der Kölner Erzbischof Adolf von Schaumburg – erklungen sein. Dasselbe gilt für die Motetten „Misericordia Jesu Christi“ und „Dux optatus adest“ (Der ersehnte Fürst ist da), in denen die Geburt des Thronfolgers Karl Friedrich (1555-1575) besungen wird. Das erste und zweite Motettenbuch enthalten Musikstücke, wie sie in der täglichen Praxis einer Hofkapelle gespielt wurden: Vertonungen von Bibelzitaten, insbesondere von Psalmen und freien Texten zu Themen des Kirchenjahres.

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1557 gab Johannes Oridryus, der von 1556 bis 1572 Lehrer für Latein und Musik an der Partikular-Schule in Düsseldorf war, einen Musiktraktat heraus, bei dessen Bearbeitung ihm der „Herzogliche Musiker“ Peudargent behilflich war. Peudargent wiederum veröffentlichte als „Magister Musicus“ 1561 bei Oridryus und Buysius (Albert Buys) eine weitere Sammlung, diesmal von Chansons, die auch einige Werke anderer Komponisten enthält. Von diesem Werk hat sich lediglich das Bassstimmbuch erhalten. 1575 ist die Teilnahme Peudargents bei einem Gottesdienst in der Kirche St. Anna in Düren belegt. Zehn Jahre später ist er verantwortlich für die musikalische Gestaltung der Hochzeit Jungherzogs Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg mit der Markgräfin Jakobe von Baden in Düsseldorf. Das über alle Maßen prächtige Fest verschärfte die finanzielle Schieflage der jülich-klevischen Hofhaltung. Dies bekamen auch die Hofmusiker zu spüren. In einer Supplik vom 5. Juli 1587 an den Herzog beklagt Peudargent die Kürzungen seiner Zuwendungen, die es ihm nun nicht mehr erlaubten, für den Lebensunterhalt seiner Familie („weib vnnd kindter“) zu sorgen. Der Name „Peudargent“ (wenig Silber, d.h. Geld) war also durchaus passend und umschreibt noch heute die Lage von vielen Musikern gut. Peudargent verweist in seiner Supplik auf die lange Zeit, die er dem Herzog gedient habe und während der er blind geworden sei. In der Jülicher Landrentmeisterrechnung von 1587 ist er als „Sang-Mr Mertin van Hoya“ verzeichnet. Die Hofordnung von 1589 führt ihn noch auf, die von 1594 jedoch nicht mehr. In dieser Zeit dürfte Peudargent demnach verstorben sein.

Wie muss man sich die Instrumentierungen und Besetzungen vorstellen? Die uns zur Verfügung stehenden bildlichen Darstellungen aus der 1587 erschienenen Beschreibung der Fürstlich Jülichschen Hochzeit von 1585 zeigen neben den Sängern die Verwendung von Streichinstrumenten verschiedener Größe. Damit befand sich der jülich-klevische Hof auf der Höhe seiner Zeit. Die Violine entwickelte sich im 16. Jahrhundert zusehends zum Ensembleinstrument und wurde in Deutschland erstmals am Münchener Hof in der Kapelle Herzog Albrechts V. eingesetzt. Traditioneller ist die Verwendung der Blasinstrumente Zink, Posaune und Pommer in der deutschen Musik. Auch diese Instrumente sind für die jülich-klevische Hofkapelle belegt. Dies gilt ebenfalls für die Tasteninstrumente Virginal und Spinett, sowie für die Orgel, die von Martin Peudargent selbst gespielt wurden. In der Renaissance diente das Tasteninstrument auch als Mittler und klangverbindendes Element zwischen den verschiedenen Klanggruppen aus Sängern, Bläsern und Streichern. Neben Instrumentalisten wurden für die Fürstenhochzeit von 1585 auch Sänger verpflichtet.

Die Kompositionsweise Peudargents steht noch ganz in der Tradition der niederländischen Vokalpolyphonie. Zu seinen Lebzeiten erschienen Peudargents Werke vor allem im deutschen Sprachraum in verschiedenen weiteren Sammeldrucken, was auf einen hohen Bekanntheitsgrad schließen lässt. Die einzige von ihm erhaltene französische, weltliche Chanson findet sich sogar in einer venezianischen Sammlung.

Es ist eine Besonderheit der Musik Martin Peudargents, dass sich mit der Schlosskapelle der Zitadelle Jülich – eine exzeptionelle architektonische Schöpfung des italienischen Architekten Alessandro Pasqualini aus der Mitte des 16. Jahrhunderts – ein authentischer Aufführungsort erhalten hat. Es ist geplant, diesen im kommenden Jahr, wenn Herzog Wilhelm V. seinen 500. Geburtstag feiert, wie schon 2007, mit der hier beschriebenen Musik zum Klingen zu bringen. Wer so lange nicht warten möchte, sei auf Buch und CD zu Martin Peudargent verwiesen, die über den Jülicher Geschichtsverein 1923 e.V. bezogen werden können.

www.juelich-gv.de

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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