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Jülich handelt

Eines der beherrschenden Themen der letzten Jahre war die Innenstadtbelebung. Am 18. März 2020 verkehrte sich Welt. Unter dem #stayathome war es geradezu ein Wettbewerb – neudeutsch „Challenge“ – welcher Stadt es gelungen ist, Straßen zu zeigen, die möglichst menschenleer waren. Die meisten Geschäfte und alle Restaurants mussten schließen – auch in Jülich.

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Innenstadt Jülich, 21. April 2020. Foto: tee
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Die Schockstarre währte nicht lang. Nach der Schrecksekunde kam schnell Bewegung in den Handel. Pfiffige Alternativen wurden ausgelotet. Während Imbiss- und Pizza-Lieferservice ja schon einige Zeit geübte Praxis sind, stellten auch Restaurants, die normalerweise Gäste bei sich willkommen heißen, auf Außer-Haus-Liefer- und Abholservice um. Bekleidungs- und Schuhgeschäfte beispielsweise warben in den sozialen Netzwerken und boten ihre Waren feil. „Ladentür-Geschäfte“ auf telefonischer Bestellung wurden abgewickelt– so kam das Fahrrad an den Mann, die Bürotechnik an den Kunden. Ein Beispiel für Tradition gepaart mit Idee und Geschäftssinn ist Jülichs Eisdiele Panciera. Sie entwickelte ein völlig neues Produkt – mit durchschlagendem Erfolg: Eiswurst! Einmal war innerhalb von 70 Minuten eine beworbene Sorte vollständig ausverkauft.

Es zeigt, dass der Buchtitel aus dem Jahr 2014 immer noch stimmt „Jülich handelt“. Wolfgang Hommels schrieb die Chronik des Einzelhandels, ist Buchhändler und Kaufmann, damals Chef der Werbegemeinschaft, heute Vorsitzender des Vereins Stadtmarketing und steter Mahner gegen den Leerstand und für den lokalen Handel. Im Buch wird von unvorstellbar „goldenen Zeiten“ berichtet: Bis Mitte der 1970er Jahre gab es erst zehn Filialisten in Jülich, fünf davon im Lebensmittelhandel. Noch 1986 war die Kaufkraft der Jülicher Bevölkerung mit 109,3 Prozent überdurchschnittlich hoch.

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Auch wenn die Einzelhandelssituation sich deutlich verändert hat und der Geldbeutel von einst nicht der Geldbeutel von heute ist, zeichnet auch Benjamin Lövenich, amtierender Vorsitzender der Werbegemeinschaft, das Bild einer grundsätzlich ausgebefreudige Jülicher Bevölkerung. Das Geld auf der Bank brachte keine Zinsen, Rücklagen fürs Alter und Reparaturen würden vorgehalten, ansonsten sei die Konsumgesellschaft das Geldausgeben gewohnt. „Ob das direkt wieder so anläuft, wage ich zu bezweifeln“, sagt Lövenich mit dem Zusatz „Ich bin natürlich kein Wirtschaftsweiser.“ Zweifach aufholen müssen die Händler und Gastronomen also im Jahr 2020: Der – wetterbedingt – gute März und hervorragende April hätte erfahrungsgemäß gute Umsätze beschert. „Das tut weh“, gibt Lövenich unumwunden zu. Das gilt für die Modebranche, die Frühjahrsware gekauft hat, die jetzt in den Regalen geblieben ist; und die Großlieferanten nehmen keine Ware zurück. Ebenso für die Autohäuser in denen der Verkauf von Neuwagen nahezu zum Erliegen gekommen sei. Gleiches gilt für Gebraucht- und Mietwagen. Allerdings seien die Werkstätten gut und normal ausgelastet, da viele Neufahrzeuge feste Wartungsintervalle hätten.

Seit 20. April konnten alle Einzelhandelslokale in der Jülicher Innenstadt wieder öffnen, da sie bis zu 800 Quadratmeter Verkaufsfläche verzeichneten. Das heißt aber noch nicht, dass die Umsätze in Kürze wieder auf Normalniveau steigen werden. Ulrich Backhausen von der IG Kleine Rurstraße erklärt: „Das normale Geschäft muss auch erstmal wieder ans Laufen gebracht werden: Lagerbestände müssen wieder hochgefahren und aktualisiert werden.“ Lobend äußern sich Lövenich und Backhausen über die Soforthilfen von Bund und Land. Aber „Man darf sich nichts vormachen – so günstig die Kredite auch sein mögen – ich muss sie irgendwann wieder bedienen“, stellt Backhausen klar. „Das kann ich nur, wenn ich wieder Geld verdiene.“ Mit dem Geldausgeben, so die Prognose von Ben Lövenich, werden die Kunden allerdings erstmal vorsichtig sein. Schließlich hätten viele Firmen Kurzarbeit anmelden müssen. Das bedeutet schmalere Geldbeutel für viele Familien, selbst wenn sie keine Existenzängste spüren. Als günstigen Umstand wertet Lövenich: „Wir in Jülich sprechen überwiegend von Menschen mit gute bezahlten Jobs in gefestigten ländlichen Infrastrukturen.“ Damit könnten die Auswirkungen in Jülich eher gemäßigt ausfallen. Genaue Prognosen sind also schwierig. Frühestens wenn im kommenden Jahr Bilanz gezogen wird, wird sich zeigen, wer die Krise überstanden hat.

Klar ist den Jülicher offenbar: Die Stadt bleibt nur lebens- und liebenswert, wenn es auch dem Handel gut geht und der Ausflug durch einen Einkaufsbummel zum Erlebnis wird. Der #supportyourlocaldealer hat inzwischen große Verbreitung gefunden. Der HERZOG hat auf seiner Corona-Sonderseite kostenlos eine Liste an Einzelhändlern angelegt, die auch während der Schließung ihren Kunden ein Angebot machten.


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