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„Die Wirtschaft wird schrumpfen“

Die Briten haben sich 2016 in einem Referendum entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Zweieinhalb Jahre hatte Großbritannien Zeit, sich mit der EU auf die Modalitäten des Brexits zu einigen. Jetzt bleiben noch gut fünf Wochen: Geplantes Austrittsdatum ist der 29. März 2019. In einem Interview spricht Prof. Dr. Hans Mackenstein, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der FH Aachen, über seine Zeit als Student in Großbritannien, über das Referendum, den Brexit und warum die Briten „das Unmögliche“ möchten.

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Prof. Hans Mackenstein. Foto: FH Aachen/ Pia Sonntag.
Prof. Hans Mackenstein. Foto: FH Aachen/ Pia Sonntag.
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Sie sind 1989 als einer der ersten Studenten an die Coventry University, eine Partnerhochschule der FH Aachen, gegangen und haben den Doppelabschluss gemacht. Wie haben Sie die Zeit dort erlebt?

Meine Zeit in Coventry war durchaus anders als mein Leben in Deutschland. Da gibt es diese klassischen Phasen zu Beginn eines längeren Auslandsaufenthalts; am Anfang kommt einem alles wie Urlaub vor, dann kommt die Situation, in der die ersten Probleme auftauchen, wie Heimweh oder Lernstress. Doch als ich diese schwierige Anfangsphase überwunden hatte, habe ich mich richtig wohlgefühlt. Das Auslandsjahr würde ich definitiv als bereichernd bezeichnen. Es hat mich ein großes Stück weitergebracht, ich habe internationale Erfahrung gesammelt, neue Freunde gefunden und mich persönlich weiterentwickelt. Nach meinem (Doppel-)Abschluss in BWL und angewandter VWL habe ich einen Master in internationaler Wirtschaftspolitik an der University of Birmingham gemacht und dann einen Promotionsplatz an der Universität in Leicester gefunden.

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Wie lange haben Sie in Großbritannien gelebt?

Insgesamt habe ich zehn Jahre in Großbritannien gelebt. Im Jahr 2000 bin ich wieder zurück nach Deutschland gekommen, um meine jetzige Position als Professor für International Business anzutreten. Einige Jahre später habe ich dann die Stelle als Vorsitzender des Ausschusses für den Studiengang „International Business Studies“ und als Koordinator internationaler Studiengänge am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften übernommen. So schließt sich der Kreis.

Gab es während Ihrer Zeit in Großbritannien schon Vorzeichen, dass es einmal zum Brexit kommen wird?

Nein, ich habe ein ganz anderes Großbritannien in meiner Wahrnehmung abgespeichert. Anfang der 1990er habe ich in Leicester gewohnt, wie Coventry und Birmingham eine ursprünglich industriell geprägte Stadt, in der schon lange viele ethnische Minderheiten gelebt haben. Die Menschen dort waren sehr herzlich, freundlich und tolerant. Im Jahr 1996 bin ich aus beruflichen Gründen nach Cardiff, die Hauptstadt von Wales, gezogen. Dort habe ich die Menschen wesentlich engstirniger in Erinnerung, jedoch nicht ausländerfeindlich oder rassistisch, sondern eher reserviert. Sie hatten meiner Einschätzung nach eine gewisse Grundskepsis gegenüber vielem, was anders oder „auswärtig“ war.

Warum glauben Sie, haben die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt?

Meiner Meinung nach war die sogenannte Osterweiterung der EU ein Grund dafür, warum die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt haben. Im Jahr 2004 sind gleich zehn neue Staaten in die Europäische Union eingetreten, 2007 kamen die relativ armen Länder Rumänien und Bulgarien dazu. Großbritannien war nur eins von drei Ländern, die 2004 sofort Personenfreiheit erlaubt haben. Die meisten anderen Länder haben sich zunächst eine Übergangsphase gesichert, was vertraglich erlaubt war. Die Briten haben viele derjenigen aufgenommen, die aus „dem Osten“ in die Arbeitsmärkte des „Westens“ wollten. Menschen aus Polen, Litauen, Rumänien und Bulgarien wanderten in das Vereinigte Königreich ein. Dies scheint etwas in den Köpfen vieler Briten ausgelöst zu haben. Im Jahr 2008 kam es dann auch noch zur großen Finanzkrise, die dazu geführt hat, dass die Regierung einen harten Sparkurs fuhr. Fruchtbare Zeiten für den Populismus. Als es im Jahr 2016 zu der Entscheidung über den Brexit kam, hat das politische Magazin „The Economist“, das bei aller Kritik gegenüber der EU bis dato immer für den Verbleib war, analysiert, warum so viele Menschen wollten, dass es zum Brexit kommt. Die Regionen, in denen sich die Menschen besonders stark für den Brexit ausgesprochen haben, waren die, in denen der Anteil der Zuwanderung in kurzer Zeit relativ schnell gestiegen war. Eine kurze aber deutliche Veränderung, die die Menschen offenbar überfordert hat.

Wie konnte es überhaupt zu einem Referendum kommen?

Der damalige Premierminister James Cameron wollte die konservative Partei, die Tories, einen. Die Partei ist seit Jahrzehnten gespalten: Es gibt EU-Befürworter und EU-Gegner. Um die Partei zusammen zu bringen, machte Cameron ein fatales Wahlversprechen: Falls er wiedergewählt werden sollte, würde es ein Referendum über den Verbleib des Königreichs in der EU geben. Das Wohl des Landes stand zunächst nicht im Fokus. Es ist zu vermuten, dass Cameron davon ausging, es würde nicht zum Brexit kommen. Am Ende war das Geschrei dann groß. Viele Briten sagen im Nachhinein: „Wir wussten ja gar nicht, worüber wir da überhaupt abgestimmt haben.“ Ich denke, man kann grundsätzlich annehmen, dass für die Beibehaltung des Status Quo weniger Menschen zu motivieren sind, als für eine gewünschte Veränderung; ergo haben sich wohl mehr Austrittsbefürworter am Referendum beteiligt, als Personen, die an der Mitgliedschaft in der EU festhalten wollten.

Mit welchen Folgen müssen die Briten rechnen, wenn es zum Brexit kommt?

Dazu möchte ich zunächst Folgendes bemerken. Es gibt im englischen eine Redewendung, wenn man das „Unmögliche“ möchte. „You can´t have your cake and eat it“. Im Grunde könnte man den Ausdruck auf die derzeitige Situation in Großbritannien übertragen. Die Briten wollen austreten, aber gleichzeitig alle Vorzüge einer Mitgliedschaft behalten. Einige vermuten, sie würden jetzt für die Brexit-Entscheidung bestraft werden. Ich kann dazu nur sagen, wenn ich beispielsweise mein Monatsticket bei der Bahn kündige, brauche ich mich nicht zu wundern, dass ich jedes Mal ein Einzelticket ziehen muss, was auf Dauer teurer wird. Aber das ist halt der Deal. Meiner Meinung nach zeigen sich die Briten diesbezüglich nicht ganz einsichtig. Sie möchten eine Sonderrolle, und die anderen Mitgliedsstaaten wollen ihnen eine dieses Ausmaßes einfach nicht geben. Das hat einerseits damit zu tun, dass man keine Nachahmer wünscht; andererseits damit, dass es in der EU klare Regeln gibt. Man kann ja beispielsweise nicht sagen, ich nehme mir vom Binnenmarkt nur das Favorisierte, quasi „à la carte“. Ich kritisiere zudem, dass man im Mutterland der repräsentativen Demokratie eine so weitreichende Entscheidung so leichtfertig über ein Referendum mit einfachen Mehrheiten abwickelt. Aber, um nun auf Ihre Frage zu antworten: Die Entscheidung wird meiner Meinung nach weitreichende Konsequenzen haben – nicht nur, aber vor allem, für Großbritannien. Einige Entwicklungen finden ja bereits statt, wie der Kursverfall des Britischen Pfunds oder die Abwanderung internationaler Unternehmen, was zu Arbeitsplatzverlusten führen wird. Die Wirtschaft wird schrumpfen.

Werden weiterhin Studierende in Großbritannien ihren Doppelabschluss machen?

Davon gehe ich aus! Ich kann nicht beobachten, dass das Interesse daran nachgelassen hätte. Ein Grund dafür ist, dass Studierende eines englischsprachigen Studiengangs oftmals in Länder möchten, in denen Englisch die Muttersprache ist. Allerdings wird es umständlicher werden, denn es fallen nach einem Austritt für das Vereinigte Königreich höchstwahrscheinlich höhere Studiengebühren an, und es müssen möglicherweise Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen eingeholt werden.


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