Start featured Der Schirmerpapst Marcell Perse

Der Schirmerpapst Marcell Perse

Auf dem Fahrrad sieht man den (fast) Zwei-Meter-Mann meist durch die Stadt fahren. Das hat für den leidenschaftlichen Wanderer Marcell Perse rein pragmatische Gründe: „Hier in Jülich ist es einfach praktisch. Ich bin Nutzer von Cambio-Cars. Wenn ich mal ein Auto brauche kann ich mir eins leihen.“ Sein Haar ist inzwischen silbern, so wie seine Amtszeit: Seit 25 Jahren leitet der studierte Archäologe die Geschicke des Stadtgeschichtlichen Museums in Union mit dem Museum Zitadelle.

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Marcel Perse. Foto: la mechky+
Marcel Perse. Foto: la mechky+
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Eine strikte Trennung zwischen dem Privatmann Perse und dem Museumsleiter gibt es nicht, sagt er und drückt es empathisch aus: „Ich lebe mein Lieblingsthema.“

Aus der Domstadt Köln kam Doktorand Marcell Perse, um in die Tiefe zu gehen. Damals wurde das Parkdeck an der Düsseldorfer Straße gebaut und – wie in Jülich üblich, wenn gebuddelt wird – es wurde Geschichte „sichtbar“. Ein Archäologe war gefragt. Natürlich sollten die Fundstücke vorzugsweise am Ausgrabungsort bleiben. Schon zu dieser Zeit gab es in der Stadt das kleine Römisch-Germanische Museum im Alten Rathaus am Markt, das von Laien betreut wurde als Sammlung. Marcell Perse erinnert sich, dass bald klar war, dass die Stadt keine Objekte etwa vom Landesmuseum bekommen würde, wenn nicht professionelle Fach- und Sachkenntnis vor Ort bereitgestellt werden würde. „Die damalige über alle Parteien durchgehende Kulturfraktion – es gab in jeder Partei Vertreter, denen Kultur ein Herzensanliegen war –, war davon überzeugt, dass ein hauptamtlich geführtes Museum etwas wichtiges ist und haben sich dafür eingesetzt.“ So wurde aus der Planung 1989 drei Jahre später das Museum, das 1993 Eröffnung wurde. „25 Jahre feiert den mutigen Entschluss der Stadt, der bis heute der Ehren wert ist. Welche Stadt mit 30.000 Einwohnern steht noch dazu, sich ein hauptamtlich geführtes Museum zu leisten?“ Marcell Perse ist der erste bislang einziger Amtsinhaber.

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Bedauert hat er nicht, dass er die Stelle übernommen und seine Promotion dafür abgebrochen hat. „Es gibt bei den größeren Museen dieses Intendanten-Prinzip. Ein Museumsleiter, der wie am Schauspielhaus für ein paar Jahre kommt. Das hat vielleicht Vorteile für die Lebendigkeit des Programms, aber das persönliche Gewidmet-sein an ein Baby, das man dann großzieht, fehlt dann natürlich.“ Die Erfolgsgeschichte des Museums ist keine Einzelleistung, darauf legt Marcell Perse Wert: „Ich feiere auch, dass in 25 Jahren ein Team gewachsen ist, das in seiner Zusammensetzung ein bisschen breiter und vielfältiger ist, als es eine Monokultur von mir sein könnte.“ Die verschiedenen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Methodentechniken und Herangehensweisen machten das Museum aus. „Man könnte auch sagen: Wir waren schon immer schräg genug, so modern zu gucken, wie wir heute als Personen nicht mehr sind. Das wäre die positive Ausdrucksweise. Ich würde nicht sagen, wir gehören alle auf einen Sockel. Aber für den kleinen Sandkasten, für den wir zuständig sind, haben wir uns sicher nicht dumm angestellt.“

Das ist bescheiden formuliert: Die Kooperationen mit dem Land Nordrhein Westfalen, das die Stellen der weiteren Museumsmitarbeiter trägt, mit dem Forschungszentrum Jülich zum Thema Gehirnforschung, Klima und Umwelt, die erfolgreiche Federführung im Projekt „Via Belgica“ und „Schirmer200“, die schließlich die Türen zu wichtigen Fördertöpfen eröffneten, der Praktikant Simon Matzerath, der heute Museumsleiter in Saarbrücken ist, das sind schon Pfunde, mit denen das Museum wuchern kann. Ein wenig stolz ist Marcell Perse schon darauf. Er weiß, dass das Museum und das Team, das es führt, zwar wenig Budget hat, aber dafür viel Inhaltliches vermitteln kann. Es gibt keinen Ankaufsetat, es gelten seit Gründung die gleichen Ansätze für die Sachmittel, was durch Inflation und die Teuerrungsrate de facto eine schleichende Kürzung bedeutet, und die Stadt trägt die Personalkosten für den Museumsleiters, die natürlich wegen des Tarifs steigend sind.

„Ich würde mal ganz selbstbewusst sagen: Dass ist ziemlich gut rentierlich angelegtes Geld,

aber nur dann, wenn man rentierlich in dem kulturellen Spektrum einordnet, für das wir stehen.“Kontinuierlich am Ball geblieben seien er und sein Team. „Wir haben immer hochgehalten, dass wir nicht nur eine Schaubude sind, sondern immer auch versuchen unser Museum populär, niederschwellig, pfiffig, auch mal von einer anderen Seite guckend zu machen.“ Museum ist auch Erkenntnisgewinn und da gehe es eher darum, „dass es auch etwas bringt für Forschungsfragen und darum, zu erklären, warum sie spannend sind, als sie wegzulassen, damit es vermeintlich leichter verdaubar ist.“ Ein hohes Anliegen sei darum die Nachhaltigkeit, darum gäbe es eigentlich kein Projekt, dass nicht in einem Katalog oder eine Publikation mündete. „Das wichtigste Betriebsmittel sind immer Ideen“, sagt Marcell Perse, der bekannt für solch prägnante Sätze und Vergleiche wie diesen: „Wir spielen immer mit einer Regionalliga-Mannschaft Bundesliga – werden da nicht Deutscher Meister, aber wir dürfen immer mitspielen. Wir steigen nicht ab (lacht), was man nicht von allen Vereinen dieser Regionen sagen kann und wir halten uns auch nicht auf den Relegationsplätzen auf.“

Dennoch ist Marcell Perse nicht unkritisch gegenüber sich selbst und seiner Arbeit: „Dieser Idealismus macht Mühe, läuft viel vor die Wand, generiert Enttäuschungen, verletzt einen selbst, das kann in unterschiedlichen Lebensaltern unterschiedlich gut verkraften. Jenseits 50, wo ich mich jetzt auch schon fünf Jahre aufhalte, macht einem das in der Tat mehr aus.“ Von persönlicher Überforderung knapp vorbei am Burnout spricht der Museumsleiter, wenn er das Projekt „Schirmer200“ betrachtet. Es war so erfolgreich, dass mit großem Budget und großer Verantwortung der „Museumsleiter eines Provinzmuseums“ ein landesweites, museumsübergreifendes Ausstellungskonzept übernehmen konnte und auch zu einem „fulminanten Erfolg“ führte. Eine Publikation zur Jülicher Ausstellung hatte hier keinen Raum mehr. „Die Ansprüche, die ich an etwas habe, die Schwierigkeit von einer Idee, von der Qualität wieder Abstand zu nehmen, gehört nicht zu meinen Stärken. Das ist die Kehrseite von dem, der nach vorne läuft und es unbedingt wissen will.“ Grinsend zieht er bei allen Beschwerlichkeiten ein positives Fazit:

„Das hat den schönen Effekt: Ich bin jetzt der ,Schirmerpapst‘.“

Durch seine Arbeit und Beschäftigung mit der Kunstgeschichte hat Marcell Perse eine weitere Leidenschaftlich in sich entdeckt: Das Kunstschaffen. „Als Künstler würde ich mich nicht bezeichnen, aber wenn ich mich hier im Museum auf zweitem Bildungsweg (lacht) weg vom Archäologen zu einem Menschen mit breiterem Blickwinkel auf Kultur- und Kunstgeschichte entwickelt habe, möchte ich immer auch gerne wissen, wie ist das, wie fühlt sich das an?“ Für Einladungskarten und Geburtsanzeigen habe er schon immer gerne „gescribbelt“, dann aber hat er sich ein Skizzenbuch gekauft, „damit nicht einzelne Blätter wegfliegen“. So sind auf dem Pfarrbrief bereits Zeichnungen von ihm erschienen, das Titelbild des Stadtmagazins zur Harry-Potter-Nacht zeigt eine aquarellierte Kohlezeichnung von Marcell Perse und auch im jüngsten Kirchenschätze Katalog hat er seinem Beitrag ein eigenes Werk zugefügt. Gerne experimentiert er, nutzt, was er bei Spaziergängen findet, zur spontanen „Landart“ Aus einer verrosteten Zange und Strandgut wird ein Objekt, dass er mit verkohltem Holz bemalt und im Foto festhält. Derzeit entstehen kleine Objektinszenierungen mit H0-Figuren zur Hochzeit der ältesten seiner drei Töchter. „ Es ist vielleicht das große spielende Kind… da habe ich große Freude dran.“

Als Musiker bezeichnet sich Marcell Perse auch nicht, obwohl er Gitarre spielt, wenn es nicht so auf musikalische Qualität ankomme. „Ich bin begeistert, rhythmisch sehr begabt, habe ein Grundrepertoire von unverwüstlichen Akkorden, und damit kommt man ja schon mal sehr weit. Aber ich bin kein guter Musiker, der Ambitionen hätten.“ Schlagzeugspielen hat er auch ausprobiert, aber auch nur zum Spaß. Die Stimme hebt er in der Kirche, wenn er mit dem Chor Akzente singt. „Es gibt Menschen, die haben regelmäßige Meditationspraxis. Das schaffe ich nicht. Aber die neuen geistigen Liedern haben ja wirklich auch anrührende Texte. Sie zu proben, zu singen, ist auch ein ständiges Meditieren über die Inhalte.“

Was bringt der Blick in die Zukunft? „Obwohl wir eine historische Institution sind hat man doch nicht das Bewusstsein: Geschichte wird gemacht – es geht voran.“ und ergänzt lachend: „Obwohl ,Ton Steine Erde‘ auch unser Thema sind.“ Der Blick nach vorne ist immer auch ein Messen am Blick in die Vergangenheit. Heute ist die analoge Fotografie ebenso Geschichte wie die Schreibmaschine, auf der der damals 30-jährige seine ersten Aufzeichnungen verfasst hat. Die Digitalisierung hat Einzug gehalten.

„Das Inventar ist immer noch als Papierform im Rückgrat.

Ohne das EDV Inventarsystem kommt man aber nicht mehr hin. Es ist auch besser, weil es verknüpft und verschlagwortet ist.“ Demnächst ist ein größeres Rückgrat zu erwarten. Gemeinsam mit dem Stadtarchiv kommt der Umzug ans Aachener Tor, wo die Institutionen die neuen Nachbarn der VHS Jülicher Land sein werden. „Da bin ich Martin Schulz dankbar, der erkennt, dass es räumlich sicherlich nicht der Idealfall ist, aber es das ist, was in unserer Generation erreichbar ist. Und es ist allemal viele Kategorien besser als das, was wir im Kulturhaus haben.“ Einen Glücksfall und eine reizvolle Symbiose nennt es der Museumsleiter und greift noch eine Formulierung höher: „Das ist die Chance. Es entsteht ein historisches Zentrum am Aachener Tor.“

Gedanken macht sich Marcell Perse auch über die ferne Zukunft, das Leben in einer „zunehmend geschichtslos werdenden Landschaft“. Im Klartext geht es um die Braunkohlefolgelandschaft und die Frage „wie halten wir das Bewusstsein hoch, dass trotz alledem eine geschichtliche Struktur darunter liegt, vielleicht abgebaggert ist?“ Hier könnte die Zitadelle vielleicht ein Kristallisationspunkt werden. „Das ist ja ein Konzept, dass ich ja nicht mehr beruflich begleiten werde. selbst wenn ich lange noch mit gestaltet. Das kommt in der Generation später. Aber dafür müssen wir uns ja jetzt aufstellen.“

Ein kleiner Blick in die Wirkungshistorie des Museums
Schirmer-Schätze streben nach Licht und Raum

Einige „verdächtige“ Objekte. Forschungen zum Werk von Johann Wilhelm Schirmer

Malerfürst als Umwelt-Chronist und Landschaftsarchivar

Historischer Fund beim Müll sammeln

Nach Europa „VIA“ Jülich

Bagger „entdeckt“ alte Ziegelei am Wallgraben in Jülich

Barmer Heide: ideale Bedingungen für „Jülicher Neandertaler“

Jülich feiert glaubenstreue Exotin. 700. Todestag der seligen Christina von Stommeln


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