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„Helft doch löschen!“

80 Jahre ist es her, dass die Synagoge in Jülich geschändet wurde. An der Reichspogromnacht beteiligte sich auch hier die Bevölkerung. Zum Jahrestag hatte die Stadt gemeinsam mit Schulen, der Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz und den christlichen Gemeinden zu einer Gedenkfeier eingeladen.

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Gedenkfeier am Mahnmal für die im Naziregime ermordeten Juden im Jülicher Land. Foto: Dorothée Schenk
Mahnmal für die im Naziregime ermordeten Juden im Jülicher Land. nach einem Entwurf des Jüchener Künstlers Michael Wolf. Foto: Dorothée Schenk
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Ein Blick in die Geschichte und die Erkenntnis: „Jülich war keine Insel der Seligen, sie war vielmehr Teil des Unrechtssystems des Dritten Reiches“, wie es Bürgermeister Axel Fuchs im vollbesetzten Rathaus mahnend beschrieb. Zahlen, Fakten, ein Blick in die Entwicklung der jüdischen Gemeinde seit dem 16. Jahrhundert aber auch persönliche Erlebnisse von Zeitzeugen standen im Mittelpunkt seiner Rede zum 80. Jahrestag. Eingestimmt hatte das Streicherensemble des Gymnasiums Zitadelle die Anwesenden mit den Klängen der Filmmusik zu „Schindlers Liste“. Das reichte aus, um Atmosphäre zu erzeugen, die richtige Tonlage, um sich auf die bewegende Rede vorzubereiten. So erzählte Bürgermeister Fuchs, dass ihn kürzlich ein Zeitzeuge im Büro besucht hätte, dessen damals jugendliches Erschrecken nicht dem Brand galt, sondern der Tatsache, dass wertvolle Möbel und Gebrauchsgegenstände, „die man noch hätte nutzen können“, Opfer der Flammen wurden. Schließlich erinnerte Fuchs an den beschwerliche Weg zurück zur Demokratie und das bis heute fragile Verständnis dafür, wie sich gerade in jüngster Zeit zeigt. „Unsere Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und muss gegen alle Kräfte verteidigt werden, die ihre Errungenschaften in Frage stellen,“ betonte der Bürgermeister. Diese Eigenverantwortung eines Jeden und den Menschen als Solidargemeinschaft trug der Chor des Mädchengymnasiums Rechnung, der „We are the world“ anstimmte.

Gemeinsames Ziel war anschließend die Straße „An der Synagoge“, wo Kerzen entzündet wurden. Pastor Dr. Peter Jöcken betete mit den Anwesenden Psalm 121 und trag das Kaddisch in deutscher Sprache. Stellvertretend, denn Rabbi Mordechai Bohrer, der traditionell zum Jahrestag nach Jülich kam, ist nicht mehr in der Aachener Synagoge tätig ist.

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Schließlich erinnerte Pfarrer Horst Grothe an den evangelischen Pfarrer Barnikol, seinen Mut und seine spontane „vom Herzen geleitete und vom Glauben bewegte“ Reaktion, als der Pfarrer in der Grünstraße SA-Männer, Feuerwehrleute und Nachbarn sah, wie sie regungslos dem Niederbrennen der Synagoge folgten. Seinen Aufzeichnungen zufolge hat er seinen gerufen: „Ihr könnt doch dem Brand nicht tatenlos zusehen! Helft doch löschen! Das ist doch ein Gotteshaus! Hier beten Menschen zu Gott!“ Er beschrieb auch, wie Furcht, Bedrohung und Gewalt in der Luft gelegen hätten.

Mit Kerzen zogen die Teilnehmer zum Mahnmal auf dem Propst-Bechte-Platz. Hier ergriff Heinz Spelthahn das Wort, der den Bezug zur Jülicher Geschichte herstellte: „Auschwitz begann auch in Jülich. Auch hier wirkten Stadtverwaltung, Feuerwehr und Polizei mit und sie wirkten mit, um die Juden dem Tod zuzuführen“, sagte er und ergänzte einschränkend: „Auch in Jülich gab es Anständige und weniger Anständige.“ Untermauert wurde diese Aussage mit lokalen Beispielen von Unterstützung jüdischer Gefangener in der Villa Buth oder von fairem Verhalten bei Grundstücksankäufen – inklusive Einräumung des Rückkaufsrechts. Mit Bedauern sei aber festzustellen, dass es keinem Menschen jüdischen Glaubens gelungen sei, in Jülich nach dem Krieg wieder Fuß zu fassen.

Ebenfalls stellte Spelthahn die Einordnung der Nazidiktatur und antisemitischen Tendenzen in die aktuelle Geschichte her. Er betonte die Schwierigkeiten in der Demokratie „unsere Werte auch durchzuhalten“. Die jungen Menschen bei der Diskussionveranstaltung im Jülicher Kulturbahnhof hätten ihm Mut gemacht, dass wieder eine politisch engagierte Jugend heranwachse, die er in den vergangenen Jahren vermisst habe.

Er schloss mit den Worten von Helene Rosenwald, der die Flucht aus Nazideutschland gelungen war. Sie habe 1987 an Bürgermeister Heinz Schmidt schrieb: „Einmal Jülicher – immer Jülicher! Das soll uns ein Ansporn sein.“


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