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Im Tod dem Leben begegnen

Der Tod gehört zur Realität. Das gilt für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Zur Befähigung, Trauer und der Begegnung mit der Endlichkeit des Lebens schon von Kindesbeinen an Worte zu geben, dazu treten die ehrenamtlich Engagierten des ambulanten Hospizdienstes Düren-Jülich schon seit vielen Jahren an. „Hospiz macht Schule“ heißt das Projekt. (Anm.d.Red. Am letzten Schultag vor Schulschließung gingen in der Jülicher Nordschule die Projekttage zu Ende. Der Herzog war am Abschlusstag mit dabei.)

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"Hospiz macht Schule". Foto: Dorothée Schenk
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Hier ist nichts verkopft, gefühlsduselig oder abstrakt. Ganz praktisch und greifbar nehmen Renate, Sabine, Elisa, Anette und Rita vom Hospizdienst die Kinder mit auf ihre Reise vom Leben „ins Tal der Tränen, wenn man so will“, und zurück ins Leben. Es wird gesungen, gemalt, getanzt und das Band im Wortsinn geknüpft, das Gemeinschaft zusammenhält. Am Ende heißt es Abschied nehmen – auch, wenn es den Kindern hörbar schwerfällt. Das Band wird zerschnitten.

Fünf Tage lange, immer mit einem neuen Themenschwerpunkt, haben die Mädchen und Jungen der 4b der Nordschule Jülich sich mit den Themen Leben, Krankheit, Tod und Trost beschäftigt. Ans Fenster geklebt sind beispielsweise bunte Gemälde, die zeigen, wie die Kinder sich das Jenseits vorstellen, an einer Wäscheleine quer durchs Klassenzimmer gespannt hängen Bilder von Schmetterlingen, Symbole für die Veränderung des Lebens, und „Wolken“. Sie sind weiß und grau. Die weißen Wolken sind mit Glücksmomenten beschrieben – „Ich habe ein Schwesterchen bekommen“, „Geburtstag feiern“, „Ich komme bald in die Jugendfeuerwehr“ – die grauen Wolken mit Traueranlässen. Sehr privat wird es hier: „Mein Vater ist gestorben“, steht darauf oder „Ich bin traurig, weil meine Schwester behindert ist.“ Erfahren haben die Kinder auch, dass die Mutter der Klassenlehrerin gestorben ist. Eine Aufgabe der Woche war es, Menschen, die traurig sind, einen Brief zu schreiben.

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Gleich drei Briefe kann Klassenlehrerin Bettina Krichel mit nach Hause nehmen. „Die werde ich dann in Ruhe lesen“, sagt sie sichtlich gerührt. Das Gefühl hält nicht lange an, denn Martyna mault dazwischen: „Und später dann bestimmt die Fehler korrigieren!“ Großes Gelächter erntet diese Bemerkung. Ein Moment, der widerspiegelt, welche Bandbreite an Gefühlen die Gemeinschaft bewegen und möglich sind.

Das Projekt macht nicht an der Klassentüre Halt. Die Kinder nehmen im Auftrag ihrer Projektwochen-Begleiter vom Hospizdienst Fragen mit nach Hause und kommen so noch einmal ganz neu mit den Eltern ins Gespräch. Joel erzählt: „Ich habe gefragt, wann sie mal sehr traurig waren, ob sie als Erwachsene geweint haben, und wie viele Verwandte von uns gestorben sind. Und ob sie bei einer Beerdigung waren.“ „Man selbst geht nicht so gerne mit dem Thema um“, beschreibt eine Mutter das gute Gefühl, als ihr Sohn mit den Fragen zu ihr kam.

„Es ist manchmal leichter, wenn die Kinder das ansprechen.“

Nicht nur über den Tod zu sprechen, lernen die Kinder in diesen Tagen, sondern auch mit den Gefühlen umzugehen – den eigenen wie mit denen der Menschen um sie herum. In einem Kerzenritual fand die persönliche Trauer Ausdruck. Eine große Kerze wurde im Gedenken für verstorbene Menschen, eine kleine für verstorbene Haustiere herumgereicht. Viele Stofftiere hatten die Kinder am letzten Tag mitgebracht – praktisch als „Selbsthilfe-Tröster“. Schön war sicher für die Mädchen und Jungen auch zu erfahren, dass Eltern nicht nur angaben, im Gebet Trost zu finden, sondern dass auch ihre Kinder für sie Trostspender sind.

Wie in der Trauer Trost wachsen kann, lernten die Mädchen und Jungen an der „kleinen Pflanze Hoffnung“, um es mal biblisch auszudrücken. Ehrenamtlerin Anette erklärt es am Abschlusstag den Eltern: „Eine Bohne, die haltlos war, haben wir in neue Erde gesetzt, damit sie wachsen kann und stark wird – als Zeichen fürs Leben.“ Jeder Viertklässler durfte eine Bohnenranke mit nach Hause nehmen.

Fast einen Meter hoch ist die symbolische Bohnenranke, die als Erinnerung an diese Woche in der Klasse bleiben wird – sie braucht nicht gegossen und gepflegt zu werden. Sie klebt auf Papier gemalt an der Schranktüre, und auf ihren Blättern haben die Kinder geschrieben, wie sie einander Halt und Trost in der Schule sein können: Durch Umarmen und gemeinsames Weinen, aber auch ein Stück Schokolade, ein Gespräch oder – sehr tiefsinnig – „Huckepacknehmen“. Die Last des anderen zu der eigenen machen und sie so teilen. Ein wunderbarer Gedanke.

Seit 15 Jahren gibt es das Projekt „Hospiz macht Schule“. Es ist ein vom Bundesministerium für Frauen, Jugend, Familie und Senioren gefördertes Projekt im Rahmen des Bundesmodellprogramms „Generationsübergreifende Freiwilligendienste“. Theresa Reichert, Koordinatorin im ambulanten Hospizdienst Düren-Jülich, berichtet, dass nach den vielen Jahren eine Überarbeitung der Inhalte ansteht. Das trägt dem Rechnung, dass die Gesellschaft multikultureller geworden ist und nicht nur die christliche Religion im Schulalltag zur Selbstverständlichkeit gehört. Es wird einen neuen Film geben und neue Methoden. Eins bleibt aber unverändert: „Die Idee, mit der Arbeit den Kindern das Thema Tod und Trauer nahe zu bringen, ist so wertvoll! Das wird Bestand haben. Ich bin froh und dankbar, wenn wir es an Schulen einbringen können und der Blick in die Gesichter zeigt, dass die Kinder begeistert sind. Das bereichert uns und motiviert uns, weiterzumachen.“


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