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Ein Gespräch als Geschenk

Drei Lichtquellen tauchen den Raum in ein diffuses Licht: Eine Kerze brennt – in einem Windlicht, wegen der Sicherheit. LED-Lichterketten schmücken die Fenster, und das Display der Telefonanlage beleuchtet das Gesicht des ehrenamtlichen Seelsorgers, der am Heiligen Abend bereit ist, den Menschen Aufmerksamkeit und Gehör zu schenken. Von Weihnachten in der Telefonseelsorge Düren-Jülich-Heinsberg erzählen…, nennen wir sie Susanne, Martin und Anna. Denn Anonymität gilt sowohl für die Anrufer als auch für die Ehrenamtler.

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Foto: pixabay
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Martin:  Wenn man sich zum Dienst bereit erklärt, heißt es zwangsläufig für die Familie: Sie muss verzichten. Natürlich höre ich auch schon mal: „Muss das schon wieder sein?“, gerade an den Feiertagen. Aber wir haben eine Verantwortung: 365 Tage im Jahr, 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche. Feiertage sind nicht die beliebtesten Dienste, da muss man sich dann schon mal am Schopf ziehen.

Susanne: Sie kommen aber nicht von zu Hause in die Fremde – das hier ist auch ein vertrauter Raum. Weihnachten bei der Telefonseelsorge kann ein schöner Heiligabend sein. Ich mache den Dienst auch, weil er auch mir gut tut.
Anna: Wir alle sind in dieser Zeit in einer anderen Verfassung. An beiden Seiten der Leitung geschieht etwas – wenn wir uns auf Weihnachten einlassen, berühren uns die Gespräche anders als sonst.

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Martin: Letzte Woche hatte ich eine Anruferin, die sagte: „Ich habe eine ganz wichtige Frage: Kann ich Sie Heiligabend erreichen?“ – „Warum ist das für Sie wichtig?“, habe ich sie gefragt. Ihr Mann war vor zwei Wochen gestorben, und sie wusste nicht, wie sie an Heiligabend damit umgehen kann, alleine zu sein. An solchen Feiertagen rufen viele Menschen an, die in diesem Jahr einen Verlust erlitten haben. Viele wollen über ihre Trauer sprechen.

Susanne: Ein Thema ist sehr stark: Einsamkeit. Das berührt sehr.

Martin: Die Menschen brauchen ein Ohr. Sie wollen einfach nur erzählen. Das ist für den Telefonseelsorger keine große Aufgabe. Er muss einfach nur zuhören. Schon eher ist ein Problem, das Gespräch zu beenden, weil sie die ganze Nacht sprechen könnten.

Susanne: An Weihnachten kommen viele Erinnerungen hoch – an „viele Weihnachten“, Kriegserlebnisse beispielsweise oder Notsituationen. Gerade ältere Menschen möchten sie erzählen. Daher kommt es auch, dass die Menschen an Weihnachten so aufgewühlt sind.

Anna: Ich mache meist am Weihnachtsmorgen Dienst. Dann rufen viele Enttäuschte an – solche, die von sich enttäuscht sind, weil sie etwas, dass sie sich vorgenommen haben, nicht umsetzen konnten – oder von der Familie, mit der man gefeiert hat – oder auch nicht. „Warum hat meine Tochter mich nicht angerufen?“, fragte mich eine Frau.
Susanne: Die Frage: „Warum haben Sie denn nicht angerufen?“, erreicht die Menschen in diesem Moment nicht. Der Schmerz ist zu groß. Dann geht es darum, das mit auszuhalten. Die Situation ist ja nicht umsonst so, wie sie ist.

Anna: Wir fordern die Menschen durchaus in den Antworten. Es geht ihnen schließlich darum, die Situation mit einer neutralen Person zu besprechen.
Susanne: Das ist es, wo wir als Telefonseelsorge immer zwischenhängen: Zuhören, einfach dasein, das ist fast das Wichtigste, aber auch den Blick vorsichtig woandershin zu führen.

Martin: Wobei das eine Gratwanderung ist. Es heißt ja: Ratschläge sind auch Schläge. Wenn man sich zu sehr in eine Geschichte einmischt, kann es schwierig werden. Spätestens, wenn er auflegt, wissen Sie, Sie haben einen Nerv berührt, der weh getan hat. 90 Prozent der Anrufe verkraftet man gut. Aber es gibt auch Anrufe, die stecken einem in den Knochen. Darum ist die Supervision wichtig und die „Übergabe“ nach dem Dienst. Die Viertelstunde, in der man über Einzelfälle sprechen kann, ob man sich richtig verhalten hat und wie man mit seinen eigenen Gefühlen umgeht.

Anna: Wir sind 60 Ehrenamtliche. Bei uns ist auch nicht jedes Jahr das perfekte Weihnachtsfest wie aus der Hochglanzwerbung. Man bringt eigene Themen mit, die bewegt werden und auch werden wollen. Ich finde aber: Das Gespräch ist ein Geschenk. Dass man uns so vertraut. Manchmal wird es sogar intim. Ein junger Mann hat mich angerufen, weil er seinen Eltern wieder nicht sagen konnte, dass er einen Partner hat. „Ich habe es mir doch so vorgenommen.“ Geheimnisse in der Familie sind an Weihnachten auch ein Problem.

Susanne: … und Partnerschaftsprobleme. Das Fest der Liebe … Es wird eine Stimmung beschworen und erzeugt, in den Medien wird die heile Welt gezeigt, und dann kommt die Frage: „Warum habe ich das nicht?“

Martin: Manchmal sind es auch Alltagsprobleme, die sie loswerden möchten.

Anna: In einem Jahr habe ich an Weihnachten mit einer alten Dame gemeinsam via Telefonleitung ihren Fernseher wieder in Gang gebracht. Sie wollte die Weihnachstmette gucken. Angerufen hatte sie eigentlich, weil sie einsam war… Wir nennen es aktives Zuhören. Die Schwingungen mitnehmen beispielsweise. Da kommt ja einiges bei uns an, wenn wir uns auf das Zuhören einlassen. Es geschieht nicht selten, dass Menschen sich dann bedanken, gerade am Heiligen Abend. Dankbarkeit dafür, dass sie gehört worden sind, aufgenommen worden sind, vielleicht auch das Gefühl haben, verstanden worden zu sein …

Susanne: … oder getröstet. „Darf ich Sie auch anrufen, wenn ich nur mal mit einem unabhängigen Menschen über meinen Mann sprechen will?“, hat mich eine Frau gefragt. Wir fühlen uns hier von nichts belästigt! Kein Problem ist zu klein oder zu groß, um darüber zu sprechen.

Anna: Das ist mir ganz wichtig: Die Menschen können mit jedem Problem zu uns kommen. Ob Lebensmutfragen … Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes … Das Spektrum ist groß. Ich möchte die Menschen ermutigen, dass sie im Einzelfall anrufen können, wenn es ein akutes Problem gibt. Die jüngeren Menschen können sich gerne auch per E-Mail melden.

https://telefonseelsorge.de
Auf der Webseite können sich Hilfesuchende für eine Mail- oder Chat-Seelsorge melden.
Telefon 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222. Der Anruf ist kostenfrei.

Telefonseelsorge in Zahlen
500.000
Menschen gehören zum Zuständigkeitsbereich der Telefonseelsorger Düren-Heinsberg-Jülich
12.304
Anrufe gingen im Jahresverlauf ein. Über 4500 weniger als im Vorjahr. Ein bundesweiter Trend. Die Zahl der Seelsorgegespräche ist jedoch nur von 10.670 auf 8.505 gesunken. Bei dem Rückgang handelt es sich vor allem um missbräuchliche Anrufe.
443 Mails
von 61 Mailkontakte wurden von 7 Seelsorgerinnen bearbeitetet . Die Zahl der Mailanfragen hat sich fast verdoppelt. Die Nachfrage nach Mail- und ChatSeelsorge hat bundesweit stark zugenommen. Es ist vor allem ein Medium für jüngere Menschen, die zunehmend Telefonieren nicht mehr priorisieren. Die Begleitungen sind mitunter sehr fordernd.
45
Frauen und 13 Männer als Ehrenamtliche bei der TelefonSeelsorge . Das Alter reicht von Mitte zwanzig bis Mitte achtzig.
54
Prozent der Hilfesuchenden sind weiblich. Die Zahl der Anrufer ist allerdings steigend und liegt jetzt bei 45 Prozent.

Die TelefonSeelsorge Düren-Heinsberg-Jülich sucht weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wer sich gerne näher über die TelefonSeelsorge informieren möchte:
www.telefonseelsorge-düren.de
Die nächste Ausbildungsgruppe beginnt voraussichtlich im September 2019


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