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Verpasste Chancen und viele „erste Male“

Schule in Zeiten von Corona. Einblicke aus der Innensicht einer angehenden Abiturientin.

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Collage aus den pixabay-Fotos von LUM3N, geralt, Pexels
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Ich starre auf die Uhr. Noch ein paar Tage und meine Sommerferien sind zu Ende. Ich denke an meinen letzten Schultag zurück, an dem meine Mitschüler so fröhlich und erleichtert schienen. Aber ihre freudige Stimmung konnte mich nicht wirklich anstecken. Jetzt steht mein letztes Schuljahr bevor und die Panik holt mich langsam ein. Habe ich zu wenig gelernt und die Schularbeit zu sehr neben mir her schleifen lassen? Ich weiß es nicht aber abwegig wäre es nicht, denn die letzten anderthalb Jahre haben ihre Spuren hinterlassen.

Ich sitze in meinem Zimmer am Schreibtisch und sortiere meine Hefter für das nächste Schuljahr. Plötzlich halte ich mein Zeugnis in der Hand und überfliege dieses kurz. Keine Bemerkung über die erschwerten Bedingungen dieses Schuljahr. Nur die in Stein gemeißelten Noten. Wie alle Schüler in ganz Deutschland war ich für einige Monate nicht im Präsenzunterricht. Dabei hatte ich noch Glück. Als Schüler eines Abschlussjahrgangs durfte ich schon im Februar wieder in die Schule gehen.

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Trotzdem war der Unterricht kaum mit dem vor Corona zu vergleichen. „Das hätte ich auch Zuhause lernen können!“, sagten viele meiner Mitschüler. Denn obwohl die Lehrer ihr bestes gaben, sorgten die Corona-Regeln, wie Raumtrennungen, zusätzliche Maskenpausen und meist Einzelarbeit für erschwerte Lernbedingungen. Mir hat es aber vorerst genügt, meine Freunde wiederzusehen und sogar auf meine Lehrer habe ich mich gefreut. Nicht primär um des Unterrichts willen, sondern um einfach mal wieder unter Leute zukommen.

Das hat mir während des Homeschooling am meisten gefehlt. Nur selten habe ich mich mit Freunden getroffen, um das Ansteckungsrisiko gering zu halten. Schließlich wollte ich auf keinen Fall meine Familie gefährden. Da auch das Freizeitangebot außerhalb der eigenen vier Wände eingeschränkt war, habe ich die meiste Zeit zu Hause gesessen, Hausaufgaben gemacht und mich gelangweilt. Mein einziges Highlight war der Wocheneinkauf, für den es sich lohnte den Schlabberlook abzulegen und sich schick zu machen.

Ich gehe ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher an.
Natürlich könnte ich genauso gut lernen, mich auf mein Abitur vorbereiten oder die neue Lektüre für Deutsch zu Ende lesen. Aber das will ich jetzt nicht. Dafür habe ich noch genug Zeit, eine Einstellung, die sich durch die viel zulange Zeit zu Hause leider massivst ausgeprägt hat.

Der schwarze Bildschirm gibt ein buntes Bild frei. Ein bekannter Politiker spricht gerade über die Wichtigkeit des richtigen Umgangs mit der Corona- Pandemie. Da ist das Wort gefallen: CORONA. Ich kann es langsam nicht mehr hören. Jeden Abend habe ich die Nachrichten geschaut und mein Magen hat sich verkrampft bei der Meldung der neuesten Infektionszahlen. Dass ich bei so hohen Werten überhaupt in die Schule gehen durfte, hätte ich nicht erwartet. Aber man muss sich über gar nichts mehr wundern.

Schon am Anfang der Pandemie hieß es in der Politik, man müsse die Kinder und Jugendlichen schützen und ihre Bildung sichern. Das ist wohl untergegangen. Früher hieß es oft Kinder verstünden nichts von Politik.  Dass das nicht stimmt, dürfte wohl jedem klar sein. Denn wir sehen was passiert und können uns genauso eine Meinung dazu bilden wie jeder Politiker auch. Nur scheint das Interesse für unsere Meinungen und Ansichten nicht so groß zu sein, wie es sein sollte. Die Kinder und Jugendlichen leiden mit am meisten unter der Pandemie. Es heißt, man müsse solidarisch sein, aber wem gegenüber denn? Scheinbar gegenüber allen anderen.

Ich schalte den Fernseher wieder aus und starre für ein paar Sekunden auf den schwarzen Bildschirm. So viel habe ich verpasst. Anderthalb Jahre, das ist viel Zeit für mich. Zeit, die man nicht mehr zurück bekommt. Es mag sich nicht so anhören und schon gar nicht so anfühlen, aber so ist es. Praktika, Abschlussfahrten, Ausflüge. Das alles habe ich allein in den beiden vorletzten Jahren meiner Schulzeit nicht miterlebt. Erfahrungen die ich hätte sammeln können, neue Freundschaften die ich hätte schließen können, Wissen das ich mir hätte aneignen können. Corona hat mich dieser Möglichkeiten beraubt.

Trotzdem gab es natürlich auch gute Tage: Der erste Tag zurück in der Schule, die Rückgabe der ersten Klausur, das erste Mal seit langem Sportunterricht und das erste langersehnte Wiedersehen mit den Freunden. Viele erste Male, die es ohne die Pandemie nie gegeben hätte. Manchmal lernt man das was man hat eben am besten zu schätzen, wenn es einem lange vorenthalten wurde.


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