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Auf Tuchfühlung mit Heiligtümern gehen

Ein Bistum, drei Heiligtumsfahrten: Aachen, Kornelimünster und Mönchengladbach Aachen/Mönchengladbach. Tuchfühlung aufnehmen, innehalten, ganz und gar nicht rational denken, sondern in Gemeinschaft mit anderen einen Trost empfinden, der nur in der Stille wirkt

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Die Windeln Jesu. Foto: Bistum Aachen / Angelika Kamlage
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Es ist Zeit zur Heiligtumsfahrt und das gleich dreifach – in Aachen, Kornelimünster und Mönchengladbach. Durchwirkt von den Gebeten, Sehnsüchten und Wünschen der Jahrhunderte, werden zur gleichen Zeit Kostbarkeiten aus Schreinen und Kassetten geholt. Die Reliquien sind nur zu dieser Zeit sichtbar und greifbar – obwohl sie ja stets vorhanden bleiben. „Das Verbergen, Verhüllen ist wichtig, das kennen wir aus der Fastenzeit mit der Verhüllung des Kreuzes“, sagt Kornelimünsters Propst Andreas Möhlig. „Umso stärker nimmt der Mensch das wahr, was wieder enthüllt wird, ein mittelalterliches Ritual.“ Aachens Dompropst Rolf-Peter Cremer sieht deutliche Spuren im Jetzt – etwa in Computerspielen. „Viele sind mittelalterlich geprägt, man muss Schlüssel, einen Code, ein Geheimnis entdecken, um weiterzukommen.“

Sich auf den Weg machen, die Entscheidung treffen, dass eine körperliche Anstrengung dabei hilft, Gedanken und Gefühle, Ansprüche und Bedürfnisse neu zu ordnen – diese Planung ist gleichfalls Menschen gegenwärtig, die dem Ruf der Heiligtümer in Wanderschuhen, mit Rucksack und Regenjacke folgen. „Ich möchte das verstärkt anregen, pilgern, zu Fuß gehen, das ist etwas Besonderes“, betont Cremer, Wallfahrtsleiter in Aachen, wo vom 9. bis 19. Juni unter dem Motto „Entdecke mich“, die berühmten vier Heiligtümer von den Seidentüchern befreit werden – nach der Öffnung des Marienschreins mit den Hammerschlägen des Goldschmieds, die durch den Dom hallen, ein bewegender Vorgang. Das Marienkleid aus feinem Leinen, die Windeln Jesu, ein Gewebe aus gewalktem Kamel- oder Ziegenhaar, das Enthauptungstuch des Johannes, eine Reliquie aus Leinendamast, und das Lendentuch aus grobem Leinen mit seinen Blutspuren, mit dem nach der jeweiligen Zeigung der Heiligtümer der Segen erteilt wird – sie alle erzählen vom Menschsein Christi und geben Hoffnung auf einen heilsamen Kontakt. „Durch die Eifelsteig-Etappe 01 zwischen Aachen und Kornelimünster können wir die Tradition des Pilgerns unkompliziert neu beleben“, freut sich Cremer über einen wichtigen Aspekt – das Aachener Motto „Entdecke mich“ gehört dazu.

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Für Möhlig ist es die erste Wallfahrt seiner Amtszeit in Kornelimünster, die mit den Worten Christi an die Apostel fragt: „Für wen haltet ihr mich?“ Vom 10. bis 18. Juni sind die Wallfahrten von Aachen und Kornelimünster miteinander verbunden und doch jeweils eigenständig, wobei im September an der Inde noch vom 10. bis 17. September die Kornelioktav folgt.

Das Grabtuch. Foto: Bistum Aachen

Die enge Verbindung der beiden Orte hat ihre Wurzeln in der Entstehungsgeschichte des Benediktiner-Klosters „ad indam“ (an der Inde), einer Gründung von Ludwig dem Frommen, Sohn und Nachfolger Karls des Großen, der hier seinem Freund und Berater Benedikt von Aniane im Jahre 814 einen angemessenen Ort schuf – ausgestattet mit kostbaren Reliquien. Mit den „salvatorischen Heiligtümern“, die aus der ältesten Holztruhe Deutschlands geholt und von der Galerie der oktogonalen Korneliuskapelle vor dem Ostchor gezeigt werden, ist man hier gleichfalls der Menschwerdung Gottes auf der Spur. „Das Schürztuch ist ein Tuch, das sich Jesus bei der Fußwaschung umgelegt hat, das kann man auf Gemälden sehen, die Christus zeigen, wie er Petrus die Füße wäscht“, erklärt Möhlig das liturgische Ritual, eine Geste der Zuwendung, die noch am Gründonnerstag praktiziert wird. Hinzu kommen das Grabtuch, das in seiner Webtechnik und den mehrfach in Keilschrift eingefügten Gottesmonogramme im antiken orientalischen Raum entstanden ist, sowie das Schweißtuch, sechzehnfach gefaltet und zur Sicherung auf eine Unterfläche genäht. „Das Grabtuch war einst doppelt so groß“, erinnert Möhlig an einen historischen Tausch-Vorgang.

Laut Überlieferung hat man um das Jahr 875 – auf Wunsch Kaiser Karls des Kahlen, jüngster Sohn Ludwigs des Frommen, das Tuch geteilt und in die kaiserliche Residenz nach Compiègne überführt – dafür gab man die Reliquien des heiligen Kornelius (Schädeldecke und Armreliquien) her, die damit nach Kornelimünster wechselten. Das Schweißtuch aus zarter alexandrinischer Muschelseide wird als Zeichen der unmittelbaren „Tuchfühlung“ verehrt.

Christoph Rütten, Charlotte Lorenz Dr Peter Blättler Geschäftsführer der Heiligtumsfahrt 2023. Foto: Carlos Albuquerque

Ein weiterer kostbarer Stoff sorgt für eine starke Deutung des Begriffs „Verwoben“ – das Motto der Heiligtumsfahrt Mönchengladbach vom 28. Mai bis 4. Juni, deren Programm Peter Blättler, Propst von St. Vitus, und sein Team eng mit der Botschaft ihrer Reliquie verbinden und sie so in die heutige Zeit holen. Das Abendmahlstuch, der Legende nach ein Stück jenes Tischtuchs, das vom Abendmahl der Jünger mit Jesus stammt, knüpft neue Fäden zwischen Glaubens- und Alltagsleben. Alle sieben Jahre wird der Schrein (wie in Aachen) geöffnet. „Wir gehen bei unserer Wallfahrt intensiv auf das Leben der Menschen ein und damit auf die für die Region Mönchengladbach prägende Textilvergangenheit“, betont Blättler. Wurde damals, etwa beim letzten Abendmahl, überhaupt ein Tischtuch verwendet? „Das ist ungewiss“, lächelt der Propst, „aber es spielt keine Rolle, denn wichtig ist die Tischgemeinschaft, die wir mit dieser Reliquie feiern.“ Und das ist in Mönchengladbach nicht nur in den Gottesdiensten geplant, sondern vor Ort, mit richtigen Speisen. „Es wird ein großes Gastmahl für alle, für Arme, für nicht sesshafte Menschen mit einem langen Tisch unter freiem Himmel geben, zu dem wir auch Menschen aller anderen Religionsgemeinschaften einladen“, verrät Blättler. „Die Reliquie ist so echt, wie wir uns um dieses Tuch versammeln.“ In allen drei Wallfahrten sieht Cremer eine grundsätzliche Botschaft: „Kirche ist in letzter Zeit für viele Mensch nicht mehr attraktiv“, meint er. „Wir wollen niederschwellig Wege aufzeigen, das Christsein neu zu entdecken und zu sehen, dass dabei Kirche etwas für die Menschen tut.“


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