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Berge versetzen

Bäume ausreißen – Berge versetzen – wer schafft das schon? Schier Unmögliches vollbringen, das ist der übertragene Sinn der Sprichwörter. Wolfgang Hommel über die "Geschichte" der Sophienhöhe

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Die Absetzer thronen über den letzten Häusern von Lich und Steinstraß. Foto: Verlag Fischer Jülich
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Berge versetzen, das übt die Menschheit seit Langem: Berge werden abgetragen und gesprengt, um das benötigte Baumaterial zu gewinnen – irgendwann ist der Steinbruch so groß, dass man das Gefühl hat, der Berg ist weg. Aber versetzen heißt ja auch: woanders wieder aufbauen. Unmöglich? Da brauchen wir nicht so weit zu schauen. Wir Jülicher haben seit vielen Jahren eine neue Landmarke vor Augen, die es früher nicht gab: die Sophienhöhe. Wurde hier ein Berg versetzt und Unmögliches geleistet?

„Glauben versetzt Berge!“ – In unserem Fall war es der Glaube an den enormen Energiebedarf, der möglichst auch mit heimischen Rohstoffen zu decken sei. Das hatte im rheinischen Revier Tradition und trug zur Modernisierung der Lebensweise bei. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wird Braunkohle abgebaut; zunächst vor allem, um Wärme zu erzeugen. In der Ville, dem Vorgebirge vor Köln, traten Braunkohlevorkommen fast oberflächlich zu Tage. Man konnte sie leicht oberirdisch abbauen. Diese Mengen erschöpften sich angesichts des wachsenden Energiebedarfs schnell. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert wird Kohle zunehmend verstromt. Nicht nur zum Antrieb von großen und immer mehr kleinen Elektromotoren, auch für das elektrische Licht in den Haushalten war die Verstromung von Braunkohle wichtig und lohnend.

Auf diesem ersten Übersichtsplan ist der Aufschluss des Tagesbaus und der Beginn der Sophienhöhe zu sehen, oben Steinstraß und Lich. Foto: Verlagsarchiv Fischer-Jülich
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Über die großen Braunkohleflöze in der Tiefe unter der rheinischen Bucht gaben Tiefbohrungen Aufschluss. Westlich von Inden wurde Mitte der 1930er Jahre ein größerer Tagebau erschlossen, „Zukunft-West“ genannt, dessen Flächenfraß auch die ersten Siedlungen verschlang. Versuche im Bereich Elsdorfs, Braunkohle im Untertagebau zu gewinnen, wurden in den 1950er Jahren als unwirtschaftlich abgebrochen. Der Aufwand war zu groß, weil der Brennwert im Vergleich zur viel tiefer liegenden und älteren Steinkohle zu gering ist.

Immer größer wurde der Energie-Bedarf, immer größer die Pläne und die Löcher. Als 1973 mit der ersten sogenannten Ölkrise die Abhängigkeit von ausländischen Energieträgern deutlicher wurde, beurteilte man auch die Pläne zu dem bisher größten Tagebau neu. Unter dem Hambacher Forst lagerten große Mengen Braunkohle in dicken Flözen, aber eben auch in größerer Tiefe als im benachbarten Tagebau Inden.

Foto: Verlagsarchiv Fischer-Jülich

1974 wurde der Aufschlussplan von Rheinbraun beantragt und bekannt: Der Tagebau Hambach sollte der größte europäische Braunkohlentagebau werden. Es entstand mehr Abraum, als man in andere, bereits ausgekohlte Tagebaue verfüllen konnte. Ein Berg musste aufgeschüttet werden. Östlich von Stetternich begann man damit ab 1978.

Auf der Fläche wohnten Menschen in einzelnen Höfen, zum Beispiel die Namen gebenden „Sophienwald“ in der Gemarkung Güsten und „Sophienerde“ nahe Lich. Auch größere Siedlungen, Steinstraß an der alten Römerstraße in der Nähe des Waldes und das benachbarte Lich, mussten der Sophienhöhe weichen. Sie wurden „versetzt“, allerdings nur ideell, und es entstand Neu-Lich-Steinstraß als Ortsteil von Jülich. Nur wenige Steine wurden tatsächlich versetzt, so für das Pflaster des neuen Matthiasplatzes oder einige Ausstattungsstücke der neuen Kirche. Und der Friedhof wurde gewissermaßen versetzt: Die Gräber vom Friedhof in Lich wurden umgebettet in die Nordwestecke des Friedhofs an der Haubourdinstraße in Jülich, fast in Sichtweite des neuen Standortes der Nachfahren.

Schaufelradbagger. Foto: Verlagsarchiv Fischer-Jülich

Die größten Schaufelradbagger der Welt wurden auf dem Montageplatz zusammengesetzt, um das Erdreich zu versetzen: Sechs Jahre wurde nur das Deckmaterial abgebaggert und über Förderbänder zu den Absetzern transportiert, die immer höher über der Ebene standen und für seltsame Anblicke am Tag und beleuchtet auch bei Nacht sorgten. Erst ab 1984 war in der Tiefe der oberste Flöz erreicht, in der man auf die erste Kohle stieß. Seitdem gilt fast das Verhältnis 1 zu 7: Etwa ein Siebtel des abgebaggerten Materials ist Kohle, der Rest Erdreich, das neu gelagert werden muss. Als die Sophienhöhe bis zum Steinstraßer Turm angewachsen war, konnte der Bergbautreibende in den 1990er Jahren damit beginnen, nördlich von Hambach auch im Bereich des bereits ausgekohlten Terrains Erdreich abzusetzen: Die Innenkippe entstand. Das Verhältnis 1:7 konnte man auch lange an der Zahl der Großgeräte ablesen: Acht Schaufelradbagger vergrößerten das Loch bis in die Tiefe von knapp 300 Metern unter NN, sieben Absetzer türmten die Sophienhöhe auf bis zu einer Höhe von 300 m NN.

Alte Siedlungszeugnisse aus Eisen- und Bronzezeit sowie römische Siedlungsreste wurden gefunden, von Archäologen ergraben, geborgen, ausgewertet und zum Glück nicht „versetzt“, sondern in Depots des Amtes für Bodendenkmalschutz eingelagert und seitdem bei Ausstellungen museal gewürdigt.

Aber eigentlich wurde mit der Sophienhöhe kein Berg versetzt: Zwar wurde das Erdreich umgeschichtet und neu aufgetürmt, aber es stellte vorher eben keinen Berg dar.

Gipfelkreuz auf der Sophienhöhe. Foto: Verlagsarchiv Fischer-Jülich

Und die Herkunft des Sprichwortes „Berge versetzen“ aus der Bibel muss man auch im Kontext lesen. Der Apostel Paulus schrieb im Korintherbrief 1 Kor 13,2: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“

Die Motivation für den Tagebau und die technische Umsetzung scheint der Unmöglichkeit des Vorhabens getrotzt zu haben, aber die Anerkennung fehlt trotz der Faszination der Großtechnik: Denn die Liebe zur Schöpfung und der Natur, die fehlte bei der kollektiven und gesetzlich einwandfreien Entscheidung für die Aufschließung des Tagebaus Hambach. Aber die Verantwortlichen für die Rekultivierung entdeckten sie neu, und so wird hier auf die Herstellung natürlicher Lebensräume geachtet, die auch Pflanzen und Tiere auf roten Listen neuen Lebensraum bescherten. Das ist ein Grund, warum wir nun nicht wollen, dass dieser Berg wiederum versetzt wird, um das verbleibende Loch des Tagebaus Hambach zu füllen.

Foto: Verlag

Mehr Daten und Fakten, Beschreibungen und Bilder zur Sophienhöhe im Buch

BUCHINFORMATION
„Die Sophienhöhe und ihre Entstehungsgeschichte“ von Wolfgang Hommel | In 14 Kapiteln und mit 300 Abbildungen wird unter anderem die Technik, die Verlagerung von Material, der „Umzug“ von Lich und Steinstraß, die Funde sowie die heutige Natur beschrieben.
ISBN: 978-3-87227-0887-7, 2. Auflage, 156 Seiten, 16,80 Euro | Verlag Fischer-Jülich, www.verlag-fischer-juelich.de


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