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Nacht

Kennen wir sie überhaupt noch: die Nacht? Ihre Finsternis, ihren Zauber? Ist sie noch das ergänzende Gegenteil des Tages, sein ruhiger Abschluss – oder nur seine Verlängerung mit allgegenwärtiger Beleuchtung, für den unvermeidlichen Schlaf in Kauf genommen, sofern man ihn denn findet? Lästig ist sie geworden.

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Nacht Grafik: Daniel Grasmeier
Nacht Grafik: Daniel Grasmeier
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Für den rund um die Uhr zu laufen habenden Produktionsprozess ist sie es schon lange, das dürfen nicht nur die Schichtarbeiter und deren Familien ausbaden. Und da irgendwo auf dieser Welt immer gerade Tag ist, hat man die Nacht der anderen sowieso nicht mehr auf dem Schirm. Der flimmert ungefragt und anfragend 24 Stunden durch und weiter. Abschalten? Vielleicht mal für ein paar Stunden den PC – aber in sich selbst eher nicht: Und wenn jetzt was Wichtiges? Wichtig nimmt sich und seine zu postenden Spontan-Ein- und Ausfälle sowieso jeder, da würde allemal eine Nachtruhe darüber vergehen dürfen, die Ach-so-Wichtigkeit von gestern zur Belanglosigkeit zu relativieren. Nicht, dass die Nacht Erkenntnisse an und in den Tag brächte – die gibt der Herr auch den Seinen nicht im Schlaf – doch manches noch schnell in sie hinein Erledigte stellt sich später als eher suboptimal heraus.

Natürlich gibt es biorhythmisierte Menschen, die ihre Zeit nach der und ohne die Hektik des Tages zu nutzen wissen – aber das sind nicht die, die die Nacht zum Tage machen, um nur ja nichts zu versäumen, außer sich selbst. Jemand zuhause? Nee, auch nachts nicht. Für das, was die eine Hälfte des Tages nicht gebracht hat, wird die andere genommen. Hauptsache, ihr habt Spaß! Na, am nächsten Morgen eher nicht…

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Und: Wo ist die Nacht geblieben? Nein, nicht die durchgefeierte, sondern die Nacht des Zur-Ruhe-Kommens. Des still mit einem angenehmen Menschen Zusammensitzens (und vielleicht später sogar -liegens), in den nächtlichen Himmel schauend, die Sterne betrachtend, angesichts dieser unbegreifbaren Unendlichkeit die eigene Endlichkeit erwägend einfach und fühlbar die Gegenwart des / der anderen mit seiner / ihrer Hand zu ergreifen. (Finden Sie spätestens unter diesem Aspekt diese der / die / das / / /-Strichelei nicht auch wenig sinnreich? Naja, Genders in the Night…)

Ich erinnere mich – natürlich dunkel – einer auch in unseren Gefilden noch nächtlich sichtbaren Milchstraße. Wer das nicht mehr kennt, vermisst diese eigenartige Schönheit allerdings nicht, sondern ergötzt sich ersatzweise an strahlenden Skylines, ständig flimmernden Werbetafeln, die Netzhaut reizenden Energiefressern – und kann mit dem Begriff „Lichtverschmutzung“ entsprechend wenig anfangen. „Mehr Licht…“, waren angeblich Goethes letzte Worte. Diese Beleuchtung hat er sicherlich nicht gemeint – und wenn, sage auch ich: Fack ju, JoWolf.

Was ist von der Nacht noch übrig? In sentimentalen, pseudometaphorischen Vermissensanflügen wird sie immer noch gerne besungen – ist aber als solche leider nicht gemeint. Atemlos durch die… Parship-Welt der unerleuchteten Vorstellungen und ihre entsprechend undeutlichen Hoffnungen. Im Dunkeln ist gut munkeln, schunkeln… Und was funkelt? Das Smartphone! Und wirft seinen bläulichen Schein in die erwartungsvollen Physiognomien (als Gesichter nicht wirklich erkennbar) auf der Suche nach … einem Stern, der deinen Namen trägt? Dann am besten gleich in der dunklen Materie, die zwar angeblich das Universum zusammenhält, aber sicherlich keine menschlichen Beziehungen.

„Ich hol´ dir keine Sterne mehr vom Himmel, die liegen nachher doch nur bei uns rum…“, sang Ende der 70er Thommie Bayer. Aha – DA also ist heute die Milchstraße zu finden: verstreut auf irgendwelchen Regalen, in verdrängten Ecken und nie mehr geöffneten Umzugskartons. Dark, dark is the night…
Und ihre eigentliche Finsternis kennen wahrscheinlich nur Kinder, deren natürliche Urängste noch nicht durch zeitgenössische ersetzt wurden. Das nächtliche Gespenst unter dem Bett wird immer harmloser angesichts des täglichen Leistungsdruck- und Mobbingmonsters. Das frisst einen tatsächlich auf.
Naja, nichts wirklich Neues, nur schöner ausgedrückt hat es um 1908 Rainer Maria Rilke: „Wer darf noch an den Nacht-Raum die Stirne lehnen wie ans eigne Fenster? … Wer hat nicht in dieses eingeborne Element gefälschte, schlechte, nachgemachte Nächte hereingeschleppt und sich daran begnügt?“
„Hee, Ouwe, geht’s dir noch gut?!“ Ja, manchmal, wenn die Nacht in aller Ruhe ihren Zauber entfaltet… „Und was soll das sein?“

Ach, weißte, google’s und bestell’s bei Amazon…


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