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Tim Rosin

Mit Punker-Seele und heute noch Rebell.

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Tim Rosin. Foto: La mechky plus
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Wenn ich die Augen ganz fest schließe und an früher denke, dann kann ich ihn vor meinem inneren Auge sehen: Tim Rosin, der Punk mit dem roten Zacken-Haaren, aufgerichtet zum „Iro“, Lederjacke, die Beine in zerrissenen Jeans und Springerstiefeln. Tim, Jahrgang 1967, ist für meine Generation eine Art Gallionsfigur der Jülicher Punkszene. Als ich ihn dafür an dem Abend zu einer kleinen Jülicher Berühmtheit erkläre, lächelt er breit und erinnert mich dabei auf angenehme Weise an einen frechen kleinen Jungen. „Da hüpft das Herz“, freut er sich über diese „Ehrung“. Auch über meine Fragen scheint er sich zu freuen. Seine Antworten, für die er meist eine Weile überlegt, scheinen ihm Spaß zu machen. Er hat offenbar viel über sein Leben, aber auch über das Punk sein nachgedacht.

Tim hat damals unser Straßenbild bunt gemacht – mit Haaren in knalligen Farben. Natürlich zeigt er mir auch ein paar coole Fotos von damals. Mal in bunt, mal in schwarz-weiß. Wie er damals seinen aufgerichteten Irokesen-Haarschnitt hin bekommen habe? Nur mit Haarspray!“ versichert er. Wer sich Cola, Bienenstich oder andere Sachen in die Haare geschmiert habe, sei selber schuld gewesen, lacht er und verrät damit wohl so manche Schweinerei von damals. „Ich war optisch der Oberpunk“, erinnert er sich. Das sei natürlich auch Rebellion gegen das Elternhaus gewesen. Mit 13 schon habe er Iro getragen. Wir sprechen über den Schlossplatz, wo sich die Szene traf, und besonders auch über das Café Cholera im Bonhoeffer Haus, wo auch die so genannte „Antifa“ damals residierte, und vor allem an Konzerte und wilde Musik.

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„Punk ist nicht tot“ – so hieß übersetzt das Debütalbum der Punkband „The Exploited“. Auch wenn Tim heute optisch kein Vertreter dieser „jungen bunten und schillernden Wilden“ mehr ist, schlägt sein Herz heute noch da, wo der Punk am lautesten zu hören ist: auf Festivals und Konzerten. „Punk ist noch voll angesagt“, bestätigt er mir. Damals habe er selber Musik gemacht und gesungen. „Wir hatten wenige Leute. Da bestanden zehn Bands aus insgesamt nur sieben Mitgliedern“, erinnert er sich. Die Bands hatten keinen Proberaum. Da hätten sie das KiB e.V. gegründet, das steht für „Kunst im Bahnhof“ und ist das heutige KUBA. Bei der Genre-Einordnung seiner Musik ist Tim kritisch: „Ist ein Keyboard dabei, ist es Kirmes-Punk“ findet er. Und die Toten Hosen oder Slime, die haben für ihn gar nichts mit Punk zu tun. Musik – eine Leidenschaft, die er noch heute hat, teilt er mit anderen Weggefährten aus Jülich und dem erweiterten Umfeld: Chris Heck ist heute Mitgeschäftsführer des Sonic Ballroom, einer Kölner Punk-Rock-Kneipe.

Aber Musik und Optik machen noch keinen Punk. Es sei die Haltung, auf die es ankomme. Das zentrale Punk-Thema ist „Anarchie“. Die Jugendbewegung der siebziger Jahre und achtziger Jahre, ist eng mit diesem Gesellschafskonzept verbunden, das aber nicht Gesetz- und Regellosigkeit bedeutet, sondern eher eine Art Abwesenheit von Hierarchien. „Für uns war das ganz klar eine Abgrenzung gegen die Obrigkeit und ein Statement gegen Nazis“, bestätigt Tim. „Ich habe mich nie politisch engagiert. Ich habe mich mit den Nazis geprügelt, nicht diskutiert“, erinnert er sich. „Zecken (Punks) gegen Nazis, hieß es damals“. Tim sieht sich auch heute noch als Rebell gegen Hochmut, Arroganz und Hierarchie, wenn auch heute stiller und leiser als damals. „Bei den Punks, das war ‚zu Hause‘, man ist auf einer Ebene.“ Homies nannte er die Freunde, die bei ihm abhangen, denn er habe so ziemlich als erster eine eigene Wohnung gehabt. Deswegen seien das viele gewesen, lacht er.

Der Werdegang von Tim klingt vergleichsweise normal: Ausbildung zum Feinmechaniker im heutigen Forschungszentrum. Sein Elternhaus und die Weltenbummler-Haltung seines Vaters, der damals „zur See“ gegangen sei, hätten ihn geprägt: “Tim du darfst alles machen, aber dich nicht erwischen lassen“, habe sein Vater gesagt. Er sieht Ähnlichkeiten aber auch Probleme: So brachte der kürzliche Tod seines Vaters die Erkenntnis, dass dessen Erwartungen wie eine Decke auf ihm gelegen hätten. „Aber er hat mir Essen und ein Dach gegeben, uns mit in den Urlaub genommen. Wir haben Segeln gelernt und waren Pilze sammeln in der Eifel“, sagt er auch dankbar. Letzteres mache Tim heute noch: Er kennt sich aus mit Pilzen. „Der Trog war immer gefüllt“, beschreibt er seine Familie und findet gleichzeitig, dass Familie heute nicht mehr genug „Nestwärme“ geben würden. Auch wenn Tim nicht politisch ist, so denkt er offenbar doch in sozialen Kategorien und beweist hier die alte Punker-Seele.

Dann habe es vor etwa 19 Jahren diese Phase des „gordischen Knotens“ gegeben, in das sich sein Leben auf unheilvolle Weise verwickelt habe, auch wegen privater Enttäuschung. Es folgte in einer Zeit der, zumindest offiziellen, Wohnungslosigkeit und schwerer Krankheit, wo es mit seinem Immunsystem bergab gegangen sei. Aber mit einer ihm innewohnenden Stärke habe er sich daraus befreit, wie es viele wohl nicht geschafft hätten, sagt er ohne Eitelkeit. Nach nur zwei Wochen Alkohol-Therapie sei er bis heute trocken geblieben. Bukowski habe mal gesagt „Wenn du etwas liebst, lass es dich umbringen.“ Soweit wollte Tim es scheinbar nicht kommen lassen. Wir reden noch über Gesundheit und die Kunst des Bierbrauens – Themen, die ihn heute interessieren. Beim Gerstensaft wagt er sich aber nur noch an die kunstvoll gebrauteren alkoholfreien Sorten heran – seine Gesundheit ist ihm ein wichtiges Gut geworden. „Bier macht Durst erst schön“, scherzt er dennoch.

Heute arbeitet er in einer Kfz-Werkstatt. In seiner Freizeit repariert er nicht nur seine Oldtimer (nein stopp, er sei kein Kapitalist, diese alten Kisten seien auf jeden Fall alle nachhaltig weil alt und recycelt), sondern auch Plattenspieler und andere alte Musikabspielgeräte, sowie sein altes Mofa, das aussieht als hätte es die Hauptrolle in einem amerikanischen Roadmovie gespielt. Ach ja, und er malt und wendet dabei einige Techniken an, die ich mir gerne kurz erklären lasse, weil sie „ganz einfach“ schön aussehen. Wenn er bei einer guten Fee einen Wunsch frei hätte, was würde Tim sich wünschen? „Gesundheit“, antwortet er. „Ich will immer lachen, bunt und vielfältig sein.“ Wieder tätowieren, das steht auch auf seiner Wunschliste. Ich wünsche Tim, dass er noch lange gesund bleibt und er ein paar seiner Träume Wirklichkeit werden.

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Sonja Neukirchen
M.A. Politikwiss./Soziologie (Uni Bonn 1998), Mitglied im Deutschen Fachjournalistenverband DFJV. Geborene Jülicherin, bekennende Rheinländerin. Versucht das Leben deshalb nicht zu ernst zu nehmen. Schreibt gerne von Menschen, Macht und Mäusen.

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