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Anatomie eines Falls

Peers Kino Kolumne widmet sich diesmal Sandra Hüllers Tour de Force.

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Peer Kling. Foto: Volker Goebels
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Fall – das ist „in diesem Fall“ doppeldeutig. Es ist der Fall in den Tod und es ist ein Kriminal-Fall. Sandra Hüller spielt in dem französischen Krimidrama „Anatomie eines Falls“ von Justine Triet die Ehefrau ihres in den Tod stürzenden Mannes. War sie es oder war sie es nicht? Das ist hier die Frage. Zweieinhalb Stunden dauert der Film, aber eine Antwort gibt es nicht. Das irritiert, aber es gefällt mir.

Das Leben und erst recht das Sterben ist voller Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Freispruch, ja, schon, aber was war wirklich? Ein verstörender Film. Ich habe die Originalfassung gesehen. Sandras Film-Ehemann, auch Schriftsteller, aber mit Schreibblockade, ist Schweizer aus dem französischen Teil. Dort spielt der Film. Es wird auch viel Englisch gesprochen. Sandra Hüller spielt eine Deutsche, die mit ihrer Familie in einer einsamen Schweizer Berggegend lebt.

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Vor Gericht wird sie immer wieder genötigt, Französisch zu sprechen. So kenne ich die Grande Nation. Für mich war der Film mal wieder ein willkommener Sprachkurs. Ich wollte unbedingt das Original sehen. Synchronisation macht ja sowieso immer alles kaputt. Ich will immer das Original sehen, mit Untertiteln. Nur im Original sind die Menschen wie sie sind, in ihrer Kultur, in ihrer Sprache, in ihrem Wesen, sozusagen zu Hause in ihrer Seele. Und dass dies Sandra, so heißt auch die von ihr verkörperte Schriftstellerin im Film, alles genau nicht ist, hat auch damit zu tun, dass sie mit niemandem ihre Muttersprache sprechen kann.

Du siehst die Berge, das schöne Haus, den wunderbaren Hund mit den blauen Augen, eine Seele von Mensch, eh Hund. Ich könnte ihn klauen. Du erfährst die tragische Geschichte um den jungen Sohn, die die Familie stark belastet. Aber ansonsten könnte es auch ein Theaterstück sein. Du verbringst überwiegende Teile des Film im Gerichtssaal, das ist spannend, aber auch ein wenig quälend, intime Fragen, die eigentlich nicht an die Öffentlichkeit gehören, werden erörtert, besprochen und hinterfragt. Der arme Junge muss alles mithören, erfahren, durchleiden.

Schuld ist ein großes Thema in diesem Film. Meine erste Begegnung mit Sandra Hüller war 2006. Damals spielte als ihre erste Rolle in einem Langfilm, die Hauptrolle eines auf Tatsachen beruhenden Exorzismus-Opfers in dem Berlinale-Wettbewerbsfilm „Requiem“. Jena, Leipzig, Basel, München, Bochum, Berlin, Hannover, Zürich, Freiburg, Halle sind ihre Theaterstationen, zudem spielte sie bei der Ruhrtriennale und bei den Salzburger Festspielen. Ines Conradi in dem von Filmpreisen überhäuften „Toni Erdmann“ ist wohl ihre bekannteste Filmrolle. Sie war dieses Jahr gleich in zwei Filmen im Wettbewerb von Cannes vertreten. „Anatomie d’une chute“, so der Originaltitel gewann die Goldene Palme, „Zone of Interest“ den Großen Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung in Cannes. An der Seite von Sandra spielen Samuel Theis als ihr Ehemann Samuel, Milo Machado Graner als Sohn Daniel, Swann Arlaud als Sandras Anwalt Vincent und Antoine Reinartz als verbissen streitlustiger Staatsanwalt. Cornel zeigt den Streifen im Januar-Programm des Kuba-Kinos. Der genaue Termin ist noch offen, aber fest steht, dass er die deutsche Synchronfassung wählt.


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