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Anselm – Das Rauschen der Zeit

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Peer Kling. Foto: Volker Goebels
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Wim Wenders hatte eine Zeit in seiner Jugend, da wollte er Priester werden. Ich bin mal zum Jülicher Pfarrer, mir ‘n paar Kopien beglaubigen lassen für eine Bewerbung für ein Regie-Studium (400 wollten 18 durften) Ich sagte, „Filmregisseur und Pfarrer, das ist doch eigentlich dasselbe.“ Der „ungläubige“, jedenfalls nicht an diesen Satz glaubende Thomas antwortete, so etwas Blasphemisches habe er noch nie gehört, dabei liebt er das Kino.

Der Film von Wim Wenders über Anselm Kiefer zeigt, Wenders ist in seinem Inneren nicht nur Fotograf und Filmemacher, sondern auch irgendwie Pfarrer. Malerei statt Theologie. Wim Wenders ging nach Paris, um malen zu lernen. Da er aber pro Tag bis zu fünf Filme in der Cinémathèque Française geschaut hat, gab es erneut einen Richtungswechsel. Die Liebe zur Kunst ist geblieben, siehe Anselm. Musiker wollte er auch mal werden, aber für seine erste Kamera hat er sein Saxophon verpfändet. Das war noch in Düsseldorf.

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Meine erste Begegnung mit Anselm Kiefer war im Hamburger Bahnhof in Berlin Moabit, also in der Nationalgalerie der Gegenwart. Sie zählt mit über 308.000 Besuchern pro Jahr (Stand: 2019) zu den erfolgreichsten Häusern für zeitgenössische Kunst. Ihn habe ich nicht gesehen, aber seine riesigen Blei-Bomber. Ich war tief beeindruckt. 2008 durfte ich in der Paulskirche mit dabei sein, als er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen bekam. „Wir ehren einen weltweit anerkannten Künstler, der seine Zeit mit der störenden moralischen Botschaft vom Ruinösen und Vergänglichen konfrontiert, “ hieß es in der Begründung.

Hatte nicht Wim Wenders die Laudatio gehalten? Nein, das war 2019 als der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado den gleichen Preis erhielt. Wim Wenders hatte 2014 ihn und seine Arbeit mit seinem Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ porträtiert. Für mich ist das einer der berührendsten und wichtigsten Filme überhaupt. Die humanitäre Botschaft ist einfach so überwältigend, dass ich danach eine Viertel Stunde lang nicht sprechen konnte. Genauso steht hinter den Arbeiten von Anselm Kiefer das Humane. Wenders und Kiefer, beide 1945 geboren. Beide haben das Unvorstellbare erlebt und Anselm beklagt: „Alle sind am Verstehen des Unvorstellbaren gescheitert.“ Er legt den Finger in die Wunde und wagt die Provokation.

Im Film potenzieren sich die Film- und die darstellende Kunst zu einem Gesamtwerk von Wenders und Kiefer, das mich ganz einfach Schach matt gesetzt hat, voller Bewunderung. Dazu trägt auch wesentlich der Ton bei, im Film wird nicht viel gesprochen und es gibt schon gar keine ex cathedra Erklärungen. Es werden Gedichte von Paul Celan geflüstert, der beide Eltern im Holocaust verloren und dennoch in der Sprache der Mörder gedichtet hat. Es fällt der Name Heidegger. Da muss man schon konzentriert hinhören. Wenders dreht gerne in 3-D. Beispiele sind „Pina“, 2011 und „Every Thing Will Be Fine“, 2015.

Ich habe auch „Anselm“ in der 3-D-Version sehen können. Das lässt sich in Jülich technisch nicht realisieren, aber der Eindruck und die Botschaft kommen dennoch rüber. Die Musik führt zudem in die vierte Dimension. Von den Christo-Projekten einmal abgesehen, ist die Kunst von Anselm Kiefer die raumnehmenste, die ich je gesehen habe. Da gibt es nur ein Wort: Gigantisch. Das eigentlich als Dokumentarfilm ausgewiesene Porträt zu Anselm Kiefer mit seinem superlativischen Werk der bildenden Kunst enthält auch Spielszenen. Neben dem echten Kiefer sehen wir ihn als kleinen Schuljungen mit dem klassischen Lederranzen auf dem Buckel, gespielt von Anton Wenders, dem Sohn der Nichte Hella von Wim Wenders. „Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum.“ Onkel Wim hat Nichte Hella Wenders schon früh mit dem Beruf der Filmemacherin infiziert. Und so kommt eines zum andern in der Filmfamilie. Anselms Sohn Daniel spielt den Kiefer als jungen bis mittelalten Erwachsenen. Cornel Cremer und ich haben „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ als Frühstückskino „ausgekaspert“. Termin: Do, 11. Januar 2024 um 10:00 Uhr im KuBa-Kino. Ich übernehme die Einführung.

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Peer Kling
Peer Kling, typisches "KFA-Kind", nicht aus der Retorte, aber in der zweiten Volksschulklasse nach Jülich zugezogen, weil der Vater die Stelle als der erste Öffentlichkeitsarbeiter "auf dem Atom" bekam. Peer interessiert sich für fast alles, insbesondere für Kunst, Kino, Katzen, Küche, Komik, Chemie, Chor und Theater. Jährlich eine kleine Urlaubsreise mit M & M, mit Motorrad und Martin.

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