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Gedenken in ungewöhnlichen Zeiten

Auch wenn aufgrund der Corona-Auflagen die Umstände außergewöhnlicher waren als üblich, waren knapp 60 Personen der Einladung der katholischen und evangelischen Kirchengemeinden und der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz gefolgt.

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Gedenken "An der Synagoge" zur Reichspogromnacht. Foto: Daniel Zwerschke
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Mit Abstand, Maske und ohne Gesang, dafür auch in diesem Jahr mit Kerzen und der musikalischen Begleitung der Jülicher Musikschule traf man sich zum Jahrestag des Gedenkens an die Reichspogromnacht 1938 an der Gedenktafel für die Jülicher Synagoge. „Unser Anliegen ist die Warnung vor dem sichtbaren Rechtsruck in unserer Gesellschaft,“ betonte Heinz Spelthahn, der Vorsitzende der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz e. V. Und er fährt fort: „Covid-19 ist eine gefährliche Krankheit, die Bekämpfung des Antisemitismus ist trotzdem nötig“. Der Schutz vor Extremisten könne nur durch die Bürger gewährleistet werden. Es erfordere Zivilcourage, wenn man verspreche: „Wenn wir Bürger gebraucht werden, dann sind wir zur Stelle.“

In diesem Jahr hielt Daniel Zwerschke, Schüler des Gymnasiums Haus Overbach, die vielbeachtete zentrale Ansprache. „Was bedeutet eigentlich Gedenken?“ Diese Überlegung stellte er an den Beginn seiner Rede, um dann in einem geschickten Wechsel aus lokaler und nationaler Perspektive die systematische Entrechtung der jüdischen Bevölkerung durch die Jahre des NS-Diktatur hindurch nachzuzeichnen. Mit Hilfe konkreter Beispiele aus Jülich wurde schnell deutlich, dass die Reichspogromnacht 1938 nicht ein einmaliges Ereignis, sondern die Konsequenz aus jahrelangem Wegschauen und Mittun vieler Menschen war. „Von knapp 10.000 Einwohnern Jülichs im Jahr 1933 war nur ein kleiner Teil von 120 Menschen jüdischer Herkunft. Aber Jülich war und ist keine Großstadt, man kannte und kennt zumindest einige Menschen aus der Nachbarschaft. Wundert man sich da nicht, wenn man den Nachbarn, den man jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit flüchtig begrüßt hatte, eines Tages nicht mehr sieht, wenn man aus dem Haus geht?“

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Es war diese lokale und alltägliche Nähe, die viele Zuhörer der Rede nachdenklich stimmte. Dass solche Dinge im kleinen Rahmen, mit dem Wegschauen, dem Nichtwissenwollen, der Passivität der Mehrheit der Menschen beginnen, macht dieses Ereignis und das Gedenken bis heute so aktuell und relevant: „Gedenken bedeutet auch, uns dieser Verantwortung bewusst zu sein und nicht wegzuschauen, sondern aufzustehen und zu handeln, denn auch heute werden wir immer wieder Zeugen von Hass und Gewalt“, schloss Daniel Zwerschke daher seine Rede.

Im Anschluss zog die Versammlung in Stille hinüber zum Mahnmal für die ermordeten Juden des Jülicher Landes am Propst-Bechte-Platz, wo Schüler der Sekundarschule ihre Gedanken darüber vorstellten, was Rücksichtnahme und Nächstenliebe aus ihrer Sicht heute bedeuten.

Nach knapp einer Stunde endete diese Veranstaltung unter besonderen Umständen, mit der zum Ausdruck kam, dass Gedenken und Handeln auch und vielleicht gerade in außergewöhnlichen Zeiten wichtig sind – „dieses Zeichen haben die zahlreichen Teilnehmer der Veranstaltung durch ihre bewusste Anwesenheit gesetzt und dafür sind wir als Veranstalter sehr dankbar“, brachte es Heinz Spelthahn abschließend auf den Punkt.


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