Start Galerie 2024 Mit dem Grundgesetz ins Gericht gehen

Mit dem Grundgesetz ins Gericht gehen

Es beginnt mit einem Paukenschlag und die sehr konzentrierte Publikumsschar in der Jülicher Schlosskapelle ist sofort hellwach und dabei. Es geht um Thema, das beim Klang eher „trocken“ anmutet: Das Grundgesetz. Dass es interessant und berührend sein kann, das hat einmal mehr das Ensemble Opus 45 bei seinem Gastspiel in Jülich deutlich gemacht. „Die Würde des Menschen ist unantastbar ...“ Eine mahnende Liebeserklärung an das deutsche Grundgesetz heißt das Programm. Am 23. Mai vor 75 Jahren wurde das Grundgesetz verkündet.

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Foto: Dorothée Schenk
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Wer das Museum König in Bonn kennt, denkt zuerst an eine Sammlung ausgestopfter Tiere, sicher aber nicht daran, dass hier 1948 die Geburtsstunde des Grundgesetzes schlug. Nur ein „Fun Fact“, wie die heutige Generation sagen würde, den das Ensemble Opus 45 in seinem Jubiläumsprogramm zu 75 Jahre Grundgesetz ganz nebenbei wissen ließ. Wie es sich für ein „Geburtstagskind“ gehört, gebührt ihm ein Ehrenplatz und eine Torte zum Festtag. Außerdem ist eine solche Jahreszahl – 75 – im Familienkreis immer Anlass für eine Reihe von Vorträgen, die sich dem Jubilar widmen: Seiner „Geburt“, seinem Werdegang und schließlich oft mit einem Fazit versehen. So ist es auch im aktuellen Programm von Opus 45.

Ob Grundgesetz-Quiz, szenischer Dialog von deutscher Wurst, russischem Wodka, französischem Baguette, amerikanischem Hamburger und britischem Tee – symbolisches Nachkriegstreffen der Siegermächte und seinen Forderungen an das besiegte Deutschland –, oder Talk-Show mit dem Grundgesetz, in dem „es“ sich kumpelnd vorstellt: „Freunde nennen mich GG“, was gesprochen wie Gigi klingt und das Publikum zum Lachen bringt. Darüber hinaus gelingt die Annäherung an das Grundgesetz als Vertraute und doch Unbekannte über den Wortstamm „Substantiv, sächlich“, der Betrachtung der Präambel mit seinem Bekenntnis zur Verantwortung vor Gott und den Menschen sowie der Verpflichtung „einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ und auch auf philosophisch-literarischem Weg. Navid Kermani wird zitiert mit den Worten: „Die literarische Qualität des Textes ist bemerkenswert.“

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Es ist einfach großartig, wie Roman Knižka als Rezitator und das begleitende Bläserquintett Geschichte nahbar und lebendig machen. Die selbstgewählte Aufgabe mit der passenden Musik, Liedgut und Textpassagen verknüpft auch schwer zu ertragende Themen der deutschen Geschichte von jüdischem Leben in Deutschland, dem Krisenjahr 2023 oder dem KZ Theresienstadt spürbar zu machen, gelingt auf außergewöhnliche Weise. Das Publikum ist berührt, bleibt immer aufmerksam und kann selbst das Schwere sichtbar mit Herz und Geist annehmen. Ebenso ist es im neuen Programm zum Grundgesetz.

Denn so kurzweilig die Vermittlung auch ist: Opus 45 geht auch mit dem Grundgesetz ins Gericht. Geschildert wird, wie mühselig das Ringen um Worte und Paragrafen war, das in 13 Tagen 138 Artikel hervorbrachte und ausschließlich von Männern ausgetragen wurde. Der Widerspruch der Frauen kommt zu Sprache. Wie die Gleichberechtigung, wie sie Elisabeth Selbert mit Verweis auf Trümmerfrauen und ihre Verdienste als erste gefordert hatte, jahrelang bei Wiedervorlagen Ablehnung erfuhr, ehe es Eingang in das Grundgesetz fand. „Was heute selbstverständlich klingt, war damals ein großer Schritt“, formuliert der Rezitator. Gleiches gilt für Paragrafen, die Kinder als besonders schutzwürdig mit besonderen Rechten ausstatten und das Familienrecht, das erst in den Mitt-1970er Eingang ins Grundgesetz fand. Im Subtext als eine verpasste Chance könnte man es verstehen, wenn über eine mögliche Anpassung des Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung 1990 sinniert wird. Auch das Gute aus der DDR Verfassung habe keine Aufnahme gefunden, ist eine These. Genannte Punkte waren etwa das Kommunikationsgeheimnis, Bildung und Wohnung als Menschenrecht sowie soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, Alter und Krankheit. Kritisch beleuchtet wurde auch die Veränderung des Grundgesetzes bezüglich des § 16, in dem das Asylrecht verankert ist.

Ensemble Opus 45 gelingt es in seinen Programmen stets, den Bezug zur aktuellen Lage in Deutschland herzustellen. Und so bleiben Aussagen im Raum stehen, die das Publikum mit nach Hause nehmen kann. Das Zitat von Norbert Lammert, bis 2017 Präsident des Bundestages „Demokratien sind keine sich selbst erhaltenden Systeme“ wirkt über den Abend hinaus und ist sicher für jeden als Aufgabe zu verstehen. Ebenso wie die Beantwortung der finalen Frage des Abends: Sind wir in einer guten Verfassung?

Bereits am 6. Oktober wird Opus 45 wieder in Jülich erwartet. Dann heißt es „Auferstanden aus Ruinen …“
Leben in Deutschland nach Kriegsende (1945-1949).

Mehr zum Programm „75 Jahre Grundgesetz“ auf der Internetseite von Opus 45, auf der das Programm inklusive der Auswahl der Musikstücke nachzulesen ist.


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