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Highjacking im Frontallappen

Marina Sailers Zwischenwelten:

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Marina Sailer Gezeiten,2016, Mischtechnik auf Leinwand, 100x80cm | Foto: HERZOG
Marina Sailer Gezeiten,2016, Mischtechnik auf Leinwand, 100x80cm | Foto: HERZOG
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Nur 2 – 4 %  der Informationen,  die unser Gehirn pro Sekunde verarbeitet, werden in das Bewusstsein gelassen. Die Auswahl, durch wen oder was auch immer, erfolgt nach Nützlichkeit, wie z.B. die Orientierung im Raum. Nun sind wir wohl alle schon einmal verliebt gewesen und wissen: heftige Emotionen verändern die Prioritäten, wir leben dann in einer Zwischenwelt. Das gibt sich wieder, doch in der Kunst und speziell im Surrealismus ist das Aufweichen der Realitätsgrenzen Programm.

Bei Marc Chagall schwebt eine geflügelte Standuhr über der Stadt Paris, der Himmel ist voll von Paaren und Fabelwesen, bei Marina Sailer – auch sie eine Surrealistin wie Chagall und wie dieser aus der ukrainischen Stadt Wittebsk – sind es keine Standuhren sondern Tauben. Sie flattern wie Gedanken durchs Atelier, lassen sich auf ihr nieder, so als wollten sie die Anspannung der Frau mildern, die wie auf dem Sprung im Sessel sitzt. Hier ist Malerei nicht poetische Umformung sondern Schnitttechnik, Überblendung und Montage, Videoclip-Ästhetik.

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Der Surrealismus unterscheidet sich seit je in einen politischen (Max Ernst), einen poetischen (Chagall) und in einen realistischen (Dalí), zum letzten zähle ich auch Marina Sailer. Doch bei allen Unterschieden ist der Surrealismus immer literarisch, es geht um Inhalte. Bei Sailer werden die Tempel der Kultur geflutet, der Louvre, die Eremitage? Wogen schlagen und ein Clipper segelt heran, bürgerliche Repräsentationsbauten werden von der Vegetation zurück erobert, Falter flattern durch die Bel Étage. Der karelische Birkenwald überwuchert Architekturen, zwischen den Stämmen eine junge Frau mit einem Gepard. Das Schöpferische wird vom Instinkthaften, von Wasser und Vegetation überschwemmt. Der Luxus von Kristallglas und Kandelabern im „Schloss Montfort“ löst sich in phantasmagorische Nebel auf, Schwaden von Türkis und Apricot ziehen um die Klippen der Wahrnehmung.

Das Schiff läuft aus dem Ruder, Highjacking im Frontallappen, der Informationsfilter ist besetzt und ungesteuerte Bilder überschwemmen das Bewusstsein, 2000 pro Sekunde, so als wären wir verliebt.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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