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Es darf gelacht werden

Über die Entstehung, Idee und Gedankensplitter zum Buch „Ich bin kein Ausländer, ich heiße nur so.“ Ein Interview mit Autor Amir Shaheen im Vorfeld der Lesung am Donnerstag, 3. September.

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Amir Shaheen. Foto: privat
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In Jülich sind 121 Nationen zu Hause. Ihr Buch passt gut zu unserer Stadt.

Es ist für jede Stadt ein gutes Thema. Ich spiele damit: Was ist denn überhaupt Migrationshintergrund? Die wichtigste Erkenntnis des Buches ist, glaube ich: Ich kenne nur zwei Menschen, die hatten keinen Migrationshintergrund. Das waren Adam und Eva. Die wurden vertrieben – schon ging es los mit der Migration. Der liebe Gott hat den Migrationshintergrund erschaffen.

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Ist der Zeitpunkt für eine Veröffentlichung bewusst gewählt?

Ein Buch entsteht ja nicht von heute auf morgen. Es war die Summe der Erlebnisse und Erfahrungen, die ich seit ungefähr 15 bis 20 Jahren gemacht habe. Scherzhaft habe ich einmal gesagt: Früher war mein Vater Ausländer – heute habe ich einen Migrationshintergrund. Den Begriff Ausländer beschreibend auf meinen Vater angewandt, der deutscher Staatsangehöriger, Beamter und Lehrer war, ist absolut verständlich und nachvollziehbar. Ich komme aus einer kleinen Stadt im Sauerland. Uns hat niemand komisch behandelt oder ausgegrenzt. Das gab es nicht. Und plötzlich habe ich einen Migrationshintergrund. Das ist schon komisch.

Ist das Wortklauberei?

Wir machen uns in diesem Land, egal welches Thema es ist, etwas verrückt, was Begrifflichkeiten anbelangt. Ob das Gender, Behinderte oder welche Randgruppe auch immer ist: Wir reden uns die Köpfe heißt, mit welchen Begriffen wir darüber sprechen wollen. Das ist zuweilen ideologisch. Es gibt eine Kurzgeschichte von Peter Bichsel, „Ein Tisch ist ein Tisch“, in der ein alter Mann alle Gegenstände umbenennt, bis ihn niemand mehr versteht. Das können wir machen, aber das bringt uns in der Sache nicht weiter. Wir müssen doch allgemeinverständliche Begriffe haben! Ich bin groß geworden mit „Zehn kleine Negerlein“. Das war für mich ein Abzählreim, aber ich habe das doch nicht als rassistisch im Kopf gehabt. Dem Neger ist vermutlich ganz egal, ob er als Neger diskriminiert wird oder ob er als Senegalese oder Kongolese ausgegrenzt wird. Und schließlich: Neger ist nicht Nigger. Oder Bimbo. Am Ende meines Buches zitiere ich „Der weiße Neger Wumbaba“. Da meinte jemand im Verlag, das könne man doch nicht verwenden. Dabei ist das ein Buchtitel von Axel Hacke!

Wann hat sich die Haltung gegenüber Ausländern geändert und woran machen Sie das fest?

Früher hat man mich natürlich auch nach meinem Namen, Herkunft und Abstammung gefragt. Aber ich habe den Eindruck, dass man mir seit – ich sag mal – 9/11 [Terrorangriff auf das World Trade Center am 11. September 2001] anders begegnet. Zumindest kommt es mir so vor. Das meine ich zunächst mal nicht wertend. Es ist ja auch vieles gut gemeint und hat mit Ausgrenzung erstmal gar nichts zu tun. Ein Beispiel: Ich bin Textdienstleister und aktiv im Bereich vom Werbetexter bis zum Redenschreiber. Da es einiges gibt, das ich nicht kann, bin ich auf die Idee kommen, bei der Bundesagentur für Arbeit nach einer Qualifizierungsmaßnahme zu fragen. Ich dachte, das könnte man am Telefon mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Das war natürlich ein Irrtum. Das hatte Riesenfolgen, weil ich kein „Kunde“ war und erst mal im System angelegt werden musste. Dann bekam ich jede Menge Unterlagen, unter anderem einen Fragebogen zur Erfassung oder Feststellung meines Migrationshintergrundes. Ein anderes Beispiel: Kommunalwahl 2014. Ich gebe meine Wahlbenachrichtigung beim Wahlhelfer ab, er guckt ins Verzeichnis, fragt mich ab. Ich will weiter zu seinem Kollegen, um meinen Stimmzettel zu holen, da hält er mich zurück und fängt eifrig an zu blättern. Da dämmert mir was. Er wollte gucken, ob er eine Berechtigung findet zur Wahl des Integrationsrates. Ich sage: Ich habe keinen Migrationshintergrund, ich habe einen Einberufungshintergrund. Ich war bei der Bundeswehr.

Gibt es Ihrer Erfahrung nach unterschiedliche „Ausländer“?

Im Buch reflektiere ich viel darüber: Haben eigentlich hier lebende Österreicher auch einen Migrationshintergrund oder sind das bloß Ausländer? Vielmehr EU-Ausländer! Denn die genießen offenbar einen anderen Status, als Menschen aus afrikanischen oder arabischen Ländern, denen man immer erst einmal Terrorismus oder Islamismus unterstellt. Würde man einem lange hier lebenden Holländer oder Schweden oder Tschechen, der gut Deutsch spricht, auf seinen Hintergrund ansprechen? Ich bin da nicht so sicher. Aber jemand, der dunkelhäutig ist und hier geboren ist… Wenn mich jemand schwäbisch oder bayrisch anspricht, dann muss ich mich doch fragen: Wie deutsch das ist? Ich als hochdeutschsprechender Rheinländer beispielsweise verstehe manche Schwaben gar nicht.

Wenn man Ihre Veröffentlichungen betrachtet sind Sie eher Dichter.

Es gibt noch ein Prosabuch, da schildere ich einen Umzug und einen weiteren Prosaband mit Kolumnen. Ich habe als Lyriker angefangen. Ich habe als Schüler geglaubt, das könne ich auch. Ein lyrisches „Ich“ in einem Gedicht fällt mir relativ leicht. Die Leser denken: Er erzählt etwas von sich selbst und natürlich gehen in ein Gedicht persönliche Eindrücke, persönliche Wahrnehmungen ein. Aber zwischen persönlich und privat ist für mich eine große Distanz. Es ist mir viel schwerer gefallen, in diesem satirischen, autobiografischen Text „ich“ zu schreiben. Wenn ich von meinem Vater erzähle ist das ja unmittelbar privat. Unsere Familiengeschichte ist meine Autobiografie irgendwo. Das ist mir viel schwerer gefallen als ein Gedicht.

Ist es ein Ziel, die Menschen zu sensibilisieren?

Ob das Buch zu einer Sensibilität beiträgt, weiß ich nicht. Das wäre wünschenswert. In dem Buch betone ich fortwährend: „Ich bin Deutscher.“ Ganz zum Schluss wird es ganz satirisch, dann sag ich auch: „Ich bin Araber.“ Ich spiele mit den Identitäten. Ich wollte keinen erhobenen Zeigefinger, keinen journalistischen Bericht und kein Sachbuch schreiben. Ich habe mir überlegt: Ich erzähle mal auf humorvolle Art – das war mir wichtig – pointiert und satirisch aus meinem Leben. Das Buch ist autobiografisch. Es ist meine Geschichte, die Geschichte meines Vaters, meiner Familie. Man darf durchaus auch mal lachen – und vielleicht auch über sich selbst.

BUCHINFORMATION:
Amir Shaheen: Ich bin kein Ausländer, ich heiße nur so | 174 Seiten| Klappenbroschur | ISBN: 978-3-96202-060-6 | Preis: 14,80 Euro |

Zur Person
Amir Shaheen, geb. 1966 in Lüdenscheid, studierte Germanistik, Anglistik, Theater-, Film- und Fernseh- wissenschaft. Der gelernte Verlagskaufmann ist als Autor, Lektor und PR-Redakteur tätig und schreibt Lyrik, Prosa, Satirisches und Kolumnen. Seit 1989 veröffentlicht er literarische Texte und hat sich ins- besondere als Lyriker einen Namen gemacht. Seine Gedichte erschienen in zahlreichen Anthologien, Zeitschriften, im Rundfunk und wurden in„Der Große Conrady – Das Buch deutscher Gedichte”aufgenommen. Sein Gedicht „Sediment” erhielt 2018 den Preis postpoetry.nrw. Derzeit ist Amir Shaheen für den 13. Nettetaler Literaturpreis nominiert, der am 20. September verliehen wird.


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