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Erich Gussen

„Das ist aber ein bisschen spät – im September ist das Heu längst eingebracht!“ So die Reaktion von Landwirt Erich Gussen auf die Anfrage vor einigen Monaten, ob er für ein Interview in dieser Ausgabe zur Verfügung stehen würde – dabei ist der Zeitpunkt perfekt: Heu ist heute in (fast) jedem Garten zu sehen.

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Erich Gussen. Foto: la mechky+
Erich Gussen. Foto: la mechky+
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Ein gesuchter Gesprächspartner ist in Zeiten des ausbleibenden Regens Erich Gussen, der neben seinem Amt als Ortsvorsteher von Güsten, das er seit fast 20 Jahren ausfüllt, auch Vorsitzender der Kreisbauernschaft und Vizepräsident des Rheinischen Landwirtschaftsverbandes ist. „Natürlich sind wir vom Wetter besonders abhängig, wie man das in besonderem Maße in diesem Jahr auch sieht. Ich sag den Leuten immer: Wir reden viel übers Wetter, und oft wird gesagt, dass wir darüber kühmen. Ich erwidere: Ihr kühmt aber, weil ihr am Wochenende nicht grillen könnt. Für uns ist es aber existentiell.“ Schnell geht das Gespräch vom „Hölzchen aufs Stöckchen“ über die arbeitsteilige Wirtschaft, Landwirtschaft 4.0, die längst mit dem Einzug der Digitalisierung in der Landwirtschaft Realität sei, die Teller-Tank-Diskussion (Bebauung der Felder mit Agrartreibstoffen wie Raps statt Nahrungsmitteln, Anm. d. Red), den Einfluss der Gesellschaft auf Biodiversität, die eben auch auf die Gestaltung der Gärten und den fehlenden Gartengürtel um die Ortschaften, den einstigen „Hotspots der Biodiversität“, wie ihn Gussen nennt, zurückzuführen ist, bis zum Insektensterben, über das er jüngst beim NaBu in Münster einen Vortrag gehalten hat. Spürbar ist sofort: Da ist Leidenschaft im Spiel. Die Schüchternheit, die ihm in Haus Overbach auf dem Zeugnis bescheinigt wurde, wie Gussen lächelnd erzählt, ist offenbar Geschichte.

Mit 24 Jahren, noch vor dem Abschluss des Diploms in Landwirtschaft an der Uni in Bonn, hat Erich Gussen den Hof vom Vater übernommen. Lange Zeit war er sich nicht sicher, ob hier seine Zukunft liegen würde, denn während Otto-Normalarbeitnehmer monatlich sein Gehalt bekommt, Beamte sogar schon Geld bekämen, ehe sie gearbeitet haben, heißt es für den Landwirt: „Wir säen im Herbst im Feld aus im Vertrauen in die Zukunft, dass wir im nächsten Jahr ernten, wovon wir unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Das kann mit einem Hagelschlag weg sein – oder durch Dürre.“ Der Landwirt wünscht sich, dass auch Bauern ein Risiko- und Vorsorgesystem aufbauen könnten und in guten Jahren – statt den Gewinn versteuern zu müssen– Rücklagen bilden können. Für Großunternehmen ist dieses Verfahren laut Gussen schon lange Praxis.

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Dass er sich trotzdem für die Staffelübernahme entschieden hat, mag mit dem neuen Arbeitsfeld zu tun haben, das sich unverhofft 1986 auftat. Denn nach Physik, Maschinenbau, Jura, BWL, Chemie, Biologie und Anatomie der Nutztiere im Grundstudium Landwirtschaft fiel die Entscheidung für den Schwerpunkt „Pflanzenproduktion.“ Zu dieser Zeit war der Vater bereits Partner eines Züchters, der im Rheinland einen Standort gesucht hatte, an dem er sein Zuchtmaterial testen konnte. Wie immer lautet die Fragestellung: Welche Sorte ist besonders widerstandsfähig, standfest auch bei Regen, ertragreich, welcher Boden besonders geeignet… Und so legten Gussens „Versuchsfelder“ an.

Stetig erweitert hat Erich Gussen diesen Land-Wirtschaftszweig. Heute stehen mehrere 1000 verschiedene Stämme in seinen Feld, und so sind ein großer Teil seiner Ernte, die er einfährt, „Daten“. Denn die unterschiedlichen Sorten müssen beurteilt, gesichtet und dokumentiert werden. Anfangs ging es noch mit Stift und Papier aufs Feld, das hieß: Abends musste alles in den PC eingegeben – „mit zwei Floppy-Laufwerken: eins fürs Programm und eins zum Abspeichern mit 516 KB“ – und dann per Disketten an die Züchter verschickt werden. Heute geht alles per Pocket-PC, per Mail und Computersteuerung auf dem Parzellen-Mähdrescher, der bestens geeignet ist für die 10,5 Quadratmeter „kleinen“ Testfelder. 140 Stunden hat Erich Gussen auf dem Parzellen-Mähdrescher innerhalb der konzentrierten Erntetage zugebracht – und war trotzdem immer in Bewegung. Alle sieben Meter gilt es anzuhalten, der Computer muss bedient werden, Proben gezogen, Kontrollen ausgeführt werden. Da der Parzell-Mähdrescher einen geringeren Korntank als die Großmaschinen hat, muss er öfter geleert werden. Inzwischen hat Erich Gussen Unterstützung von zwei Mitarbeitern und einem Saisonarbeiter.

Die neuen Sorten werden beim Bundessortenamt angemeldet. Ein großer Unterschied zur Patentanmeldung, denn mit diesen Sorten kann frei weitergezüchtet werden. Und schon ist ein neues Themenfeld offen: CRISPR/Cas9, die neue Methode, in der DNA gezielt Genmaterial einzufügen. Das verkürzt den Züchtungsprozess, spart Geld und wäre laut Gussen wichtig für die mittelständischen Bauern, weil der Züchtungsschritt verkürzt werden kann, ohne gentechnisch veränderte Pflanzen zu erzeugen. Darum nennt Erich Gussen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, das Verfahren als Gentechnik einzustufen, eine „verpasste Chance“.

Sich einzumischen, zu Wort zu melden und zu engagieren gehört zur Grundhaltung von Erich Gussen. Sein Botanik-Prof. Wolfgang Franke, „er trug immer Fliege“, wetterte gegen die Bonner Stadtplanung, und deren Einfluss auf den Luftaustausch innerhalb der Stadt, und muss wohl gesagt haben: „Ich erwarte von Ihnen, die Sie eine so umfassende Ausbildung genießen, dass Sie sich engagieren.“ Der Ex-Student zuckt die Schultern: „Irgendwie ist der Spruch hängengeblieben.“ Und so ist Erich Gussen außerdem im Rat der Stadt Jülich und im Kirchenvorstand der Pfarrei Hl. Geist oder greift auch zur Tastatur und schreibt Bundespräsident Steinmeier einen persönlichen Brief, in dem er ihn aufforderte, sich zum allgemeinen Verhalten der Gesellschaft zu positionieren, die verbal und im Verhalten in den sozialen Medien entgleist, gegen das Bauernbashing in den Medien, weil Kinder von Bauern in Schulen gemoppt werden und neben dem Wort zum Insektensterben auch ein Wort zum Bauernsterben zu verlieren, denn in den letzten 30 Jahren haben 75 Prozent der Bauern aufgegeben. Eine steile Stirnfalte treibt Erich Gussen ins Gesicht, wenn er den Satz hört: „Es muss was gemacht werden.“ Seine Entgegnung: „Mach einen Vorschlag! Nur festzustellen, dass etwas nicht in Ordnung ist, ohne etwas tun zu wollen, das funktioniert nicht.“

Und was mit Entspannung? Die kommt immer wieder freitags. Dann setzt sich Erich Gussen ans Schlagzeug. Eine Leidenschaft, der er seit Schulzeiten im Orchester von Haus Overbach und in der Schulband frönt. War es damals noch „BAP rauf und runter“, hat er sich mit seiner seiner Band „Rotten Tigers“ heute eher der Rockabilly Musik verschrieben. Zu hören war die Formation beim letzten Rockdorf-Festival in Flossdorf. Sein Bandkollege hatte jüngst sogar noch mal an einer „Tolle“ versucht. „Mittlerweile reicht es aber dafür nicht mehr“ grinst Erich Gussen.


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