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Lebensreisende Liselotte Schmitt

Eine gebürtige Jülicherin ist Liselotte Schmitt nicht. Das erzählt sie mir gleich als erstes, als ich sie in ihrer Wohnung am Wallgraben besuche. Ja, richtig gelesen: Frau Schmitt wohnt mit Hilfe ihrer Tochter noch alleine mit ihren 100 Jahren. Geboren wurde sie 1919 im Borussenviertel in Dortmund, da wo auch immer die Fußballer einquartiert waren. Auf meine Frage, ob sie denn Fußballfan sei, antwortet sie, dass sie schon gerne ab und an Fußball schaue.

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Liselotte Schmitt. Foto: Andrea Esser | Fotomontage: la mechky +
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Sie wächst mit zwei älteren Geschwistern, einer Schwester und einem Bruder, auf. In jungen Jahren wäre sie aufgrund der schlechteren medizinischen Verhältnisse fast an Diphterie gestorben. Davon habe sie sich aber dann doch vollständig erholt. Sie lernt im Handel und arbeitet lange als Kassiererin. 1942 heiratet sie ihren Mann, der als Soldat auf Urlaub zu Hause ist. Im gleichen Jahr wird auch ihre Tochter Christel geboren, ihr einziges Kind. Sie wollte auch immer nur ein Kind haben, das betont sie mehrfach. So schlechte Zeiten damals, da wären mehr Kinder einfach verrückt gewesen. Die ersten Jahre ist sie mit ihrer Tochter alleine in Kriegszeiten. 1944 wird das Haus, in dem die beiden wohnen, ausgebombt, und sie bekommt in Barup ein Zimmer zugewiesen. Wenigstens sei die Schwester in der Nähe gewesen, da habe man sich ab und an sehen können. 1946 kommt ihr Mann zurück und bekommt gleich eine Stelle bei der Regierung in Honnef. Das Heimweh ist aber zu groß, so dass die Familie schon 1949 wieder zurück nach Barup zieht. Der Mann arbeitet als technischer Leiter bei Hoesch, sie ist Hausfrau. Die Schmitts leben ein ruhiges Leben. Ihre Mutter sei immer eine stille, genügsame Frau gewesen, für die Familie da. Sie äußere auch heute leider nur wenig Wünsche, so ihre Tochter Christel Petrick im Gespräch.

Mit 60 Jahren wird Liselotte Schmitt Witwe. Ihre Tochter ist da bereits in Jülich angekommen, deren Mann hat aufgrund der Verlegung des Max Planck Instituts von Mühlheim eine Stelle in der damaligen KFA bekommen.

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Zusammen mit vier Freundinnen unternimmt Frau Schmitt ab da viel. Die Damen gehen auf einige Touren vor allem in Deutschland und Österreich. In diesem Zusammenhang wird Lotte mit dem Golf erwähnt. Doch, doch, oft habe sie sich schon auch Sorgen um ihre Mutter gemacht und wäre immer sehr erleichtert gewesen, wenn die Meldung gekommen wäre, dass alle gut angekommen seien. Denn noch mit über 80 Jahren wurden diese Reisen unternommen, so Christel Petrick, und immer mit dem Auto.

Ihre Mutter habe sich immer fit gehalten, körperlich im Turnverein und den Geist zum Beispiel beim Singen im Theaterchor. Eine sehr schöne Sopranstimme habe sie gehabt. Auch eine talentierte Strickerin sei sie gewesen. Außerdem hat sie leidenschaftlich Kreuzworträtsel gelöst. Noch heute seien die Jüngeren zum Beispiel in der Tagespflege vom großen Wissensspektrum der heute 100-Jährigen überrascht. Noch mit 80 lebt sie alleine, nur unterstützt durch wöchentliche Einkaufsbesuche der Tochter. Erst zehn Jahre später, mit 90, stimmt Frau Schmitt zu und zieht in eine der gerade fertig gestellten Wohnungen am Wallgraben. Schön sei es hier, eine nette, angenehme Nachbarschaft. Die Nähe zur Innenstadt habe sie in den ersten Jahren ihres Lebens in Jülich weidlich ausgenutzt und den ein oder anderen Kaffee dort getrunken. Heute ist sie nicht mehr so gut zu Fuß, geht aber immer noch gerne mit der Tochter spazieren, auch Treppen steigen klappe noch problemlos. Dreimal täglich schaut Tochter Christel mittlerweile nach dem Rechten und bringt auch das Essen vorbei.

Sie überlege schon, ob ein Umzug in die Seniorenresidenz nicht langsam angeraten wäre. Nicht unbedingt, weil die Mutter jetzt mehr Hilfe benötige, sondern weil dort einfach viel mehr Programm und Gesellschaft geboten sei, jetzt da sie nicht mehr alleine rausginge.
Ob sie sich denn je überlegt hätte, so alt zu werden? Frau Schmitt lacht: Quatsch, da rechne ja keiner mit, 100 Jahre zu werden… Und dann kein bisschen weise.

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Andrea Eßer
In Jülich geboren und dann nach der Schule ab in den Süden zum Studium der Wortjonglage. Nach einer abwechslungsreichen Lehrzeit mit den Prominenten dieser Welt, überwog das Heimweh nach dem schönen Rheinland und Jülich im Speziellen. Deckname Lottofee, liebt ihre Familie, Süßigkeiten, Kaffee, alles Geschriebene und Torsten Sträter. Anfällig für sämtliche Suchtmittel (nur die legalen natürlich). Hat schon mal eine Ehrenurkunde gewonnen und ihre erste Zeitung bereits mit zehn Jahren herausgegeben. Hauptberuflich strenger Händchenhalter eines Haufens vornehmlich junger Männer. Der Tag hat notorisch zu wenige Stunden für alle Pläne und kreativen Vorhaben, die meiste Zeit etwas verwirrt.

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