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Op jede Eck wird he gepreck

Uwe Mock zu Gast bei Präsident Hein Ningelgen

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Op jede Eck wied he gepreckt | Foto: HERZOG
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Heute darf ich Euch wiederum einen ganz besonderen Menschen nahe bringen. Der hysterische Präsident der Historischen Gesellschaft Lazarus Strohmanus Jülich sitzt mir in seinem Wohnzimmer gegenüber und er ist der Erste, der mir eine Flasche Bier anbietet, bevor es losgeht. Ich habe auch für alle Fälle mal den Schlafsack mitgenommen, weil ein Präsident immer viel zu erzählen hat.

 

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Uwe: Hallo Hein!

Hein: Joden daach, Herr Kolleje!

 

Uwe: Machen wir das Interview auf platt, hochdeutsch oder lateinisch?

Hein: Ich kann mal hochdeutsch versuchen, aber das hab ich lange nicht benutzt.

 

Uwe: Klären wir den Leser erstmal über den privaten Hein auf. Deine Vita, Hein.

Hein: Ich heiße Heinrich Ningelgen und mein Alter kann man ausrechnen. Am 28.10.1948 geboren, 8 Jahre katholische Volksschule, dann die Lehre als Zimmerer bei meinem Vater. Am 11.06.1976 habe ich meine Meisterprüfung abgelegt. Und seit 1996 bin ich Präsident der Gesellschaft.

 

Uwe: Du bist jetzt zarte 64 Jahre alt, der Lazarus über 300 Jahre. Wie bist Du zur Gesellschaft gekommen?

Hein:  Im Prinzip bin ich dazu genötigt worden. Ich sollte irgendwann 1954 oder 55 die Lazarusuniform anziehen, habe ich mich aber vehement geweigert. Ich wollte Indianer sein! Dann sollte ich für ein Foto die Lazaursklamotten anziehen, aber ich wollte ja nicht, ich wollte ja Indianer sein! Trotzdem bekam ich die Uniform übergezogen und es wurde ein Foto gemacht, was mir gar nicht passte, ich wollte ja…! Nach dem Foto zog ich dann wieder die Indianersachen an und die machten auch ein Foto in den Indianersachen.

 

Uwe: Aber irgendwann bist Du dann auch in die Kindergruppe gekommen…

Hein: Ja, damals ging der Zug schon morgens an unserer Schule vorbei. Rosenmontag war frei, aber Dienstag mussten die Kinder alle im Köstüm in die Schule. Ich bin in Lazarusuniform zur Schule gegangen und als der Zug an der Schule vorbei ging, bin ich einfach aufgestanden, habe mich an`s Fenster gestellt und runtergeguckt. Nach mehrfacher Aufforderung stand dann mein Lehrer neben mir und sagte: ”Heinrich, du hast jetzt schulfrei, geh mit dem Lazarus!” Alle anderen mussten bleiben.

 

Uwe: Das Brauchtum einer historischen Gesellschaft hat sich doch sicher auch im Laufe der Zeit verändert…

Hein:  Natürlich, eine Brauchtumsgesellschaft erneuert sich ja dadurch, dass sie neue Ideen aufnimmt und alten Ballast abwirft. So nimmt man aus jeder Zeit immer nur das Beste mit. Im 18. Jahrhundert zogen die Lazarusbrüder ja noch im schwarzen Frack und Zylinder durch die Stadt. Nur die Strohpuppe war als Bauer gekleidet und hatte Kittel an.

 

Uwe: Und wie entstand dann die „Lazarus-Uniform“?

Hein:  Als die Franzosen hier waren, haben sie sich an unseren Spottversen gestört, weil sie die nicht verstanden. Und die katholische Kirche störte sich an unserem Gesang und gemeinsam wollten sie unser Brauchtum verbieten. Also setzten die Lazarusbrüder sich mit der kath. Kirche an einen Tisch und es wurden Kompromisse geschlossen. Die Kirche hat dann mit den Franzosen verhandelt, so dass das Verbot ad acta gelegt wurde. Seit dieser Zeit ziehen die Lazarusbrüder nicht mehr im schwarzen Anzug, sondern im Bauernkittel mit Kappe in den vier Kirchenfarben durch die Stadt. Man hat das Brauchtum zwar verändert, aber eigentlich ist alles geblieben, wie es war.

 

Uwe: Als Tradition kann man auch das Präsidentenamt in eurer Familie sehen.

Hein: Ich habe das Amt von meinem Vater übernommen, aber wenige wissen, dass auch mein Urgroßvater und Taufpate bereits Präsident der Gesellschaft war und zwar genau 100 Jahre vor mir. Er hatte das Amt von 1896 bis 1914 inne.

 

Uwe: Hoffst Du, dass Deine Nachfolge in der Familie bleibt?

Hein: Äh, das erzähl ich dir, aber bitte ohne Mikrofon. (…)

 

Uwe: Aha… Kommen wir zum Hauptdarsteller, der Puppe. Ist die von Anfang an Bestandteil beim Lazarus?

Hein:  Der Brauch mit der Puppe ist nachweislich schon viel älter als die Gesellschaft. Es gibt Bilder und Wandteppiche, die zeigen, dass es diesen Brauch bereits im 13./14. Jahrhundert gab. Nur kann man nicht genau feststellen, ob es auf diesen Bildern eventuell echte Menschen waren, die da geprellt wurden. Im Mittelalter war alles ja etwas härter. Die Spottverse dienten ja dazu, Fehlverhalten und Missgeschicke der Menschen aufzuzeigen. Wie man erzählt, wurden dann diese Menschen mit dem Tuch geprellt, später wurde das durch die Strohpuppe ersetzt.

 

Uwe: … die ja immer wieder in die kalte Rur geschmissen wird, die arme …

Hein:  Die ist doch dann tot. Das ist halt die Beerdigung und das ist in Jülich schon immer so gewesen. Andernorts wird die Puppe verbrannt, wie z.B. in Düsseldorf die Nubbelverbrennung.

 

Uwe: Die Puppe ist aber auch irgendwann mal wieder „aufgetaucht“, wie war das?

Hein: Ha, zweimal. Beim ersten Mal, ich kam grad nach Hause, geht das Telefon. Polizeiwache Jülich: „Wir haben jemand aufgegriffen, der offensichtlich zu Ihrer Gesellschaft gehört. Er kann sich nicht mehr artikulieren, hat keine Papiere dabei und wir wissen nicht weiter.“ Da habe ich gesagt, sie sollen den in die Ausnüchterungszelle legen und morgen ist er wieder fit. Die Polizisten fingen an zu lachen. Irgendwer hatte wohl die Puppe aus dem Wasser gezogen und in der Bongardstraße an die Wand gelehnt. Als eine Streife vorbei fuhr, haben die den wohl mitgenommen. Auf die Frage, was sie jetzt damit machen sollen, habe ich denen gesagt, sie sollen sie wieder in die Rur schmeißen, da gehört sie hin.

Das andere Mal kamen 2 junge Burschen und ein Mädel zum Abschlussball in die Stadthalle. Alle drei klatschnass bei Temperaturen um 0° und sie hatten die Puppe dabei. Sie hätten gehört, sie bekämen 50 Mark dafür. So ein blödes Gerücht. Wir haben jedem 5 Biermarken gegeben um sich aufzuwärmen.

 

Uwe: Nicht nur die Puppe, auch die Besen sind ja echte Handarbeit…

Hein: Die Besen machen wir auch seit drei Jahren selber, einfach weil es keine Besenbinder mehr gibt.  Wir haben einen Besenbinder-Lehrgang in Belgien gemacht und dort holen wir auch die Heide für die Besen.

 

Uwe: In den letzten Jahren hat sich die Gesellschaft wieder etwas verjüngt…

Hein: Stimmt. Im Moment scheint die Zeit zu sein, in der sich junge Leute für dieses Brauchtum wieder interessieren. Daher freuen wir uns natürlich sehr über diese Entwicklung.

 

Uwe: Dann hoffe ich mal, dass es so weiter geht, danke fürs Gespräch und wünsche euch allzeit eine Hand voll Tuch unter de Pupp.

Hein: Kann ich jetz widder platt kalle…?

 


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