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Gelbfieber

in Jülich

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Foto: la mechky+ / Kristina Schadowski
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Ich erreiche Jülich in der Nacht. Die Fahrt vom Flughafen bis hier war nicht ohne. Ein leichter Rutscher im Kreisverkehr in Ellen und die gelb blinkende Stabilitätsystemkontrollleuchte mahnte mich zur Vorsicht. Obwohl die Straße trocken erschien, war es glitschig. Es ist wirklich kalt, sehr kalt. Ein frostiger Januar prägt die letzten Tage und Nächte mit seinen in grau und braun tendierenden Farben. Am Himmel tagsüber manchmal ein Stück blau oder nur blau. Sogar das grün der Raureifwiesen zwischen der Autobahn und hier war im Licht der Scheinwerfer grau. Durch die glitzernde Reflektion des nächtlichen Raureifs schon fast eisblau. Tatsächlich heller als der salzgetrocknete Asphalt, der im Licht der LED Scheinwerfer fast weiß erscheint. Begleitet von der schwarzen Linie des Straßenrands auf dem hin und wieder noch ein Schneebrocken balanciert um nicht von der Kante zu fallen. Und tatsächlich sind die einzigen gelben Flecken in einer frostigen Winternacht wie dieser Verkehrsschilder „Niederzier 1 km“ und die nervösen Blinker meiner Verkehrsgenossen. Das gelbe Ortsschild am Wasserwerk empfängt mich unter einer zarten Schicht von Eisblumen. Titelgeschichte Herzog – Thema gelb. Komisch, tatsächlich empfängt mich die Heimatstadt des Herzogs gelb. Mein Blick schärft sich – wo ist das nächste gelb – da, die Ampel an der Kreuzung Wiesenstraße Römerstraße springt von rot auf gelb…… und dann grün. Ampelschicksal. Lange kein gelb dann unter der Eisenbahnunterführung ein gelber Pfosten, vermutlich zur Markierung der Gasleitung unter der Bahngasse. Da das Schild der Bushaltestelle am Mädchengymnasium, grünes H auf gelbem Grund.
Müsste jetzt eigentlich abbiegen, kille den grünen Armaturenpfeil und fahre weiter geradeaus. Jet Tankstelle – Flash – Gelbfieber?! Die Post mit ihren Briefkästen. Ein Taxi kreuzt. An der Zitadelle links Richtung Manu, in großen dunklen gelben Lettern „Panciera“, seit über 50 Jahren Symbol für Eisspezialitäten, Sommer, Sonne, Erfrischung. Kurz vor Karneval macht er wieder auf – also zur Winteraustreibung – zum Ende der Zeit ohne natürliches gelb. Also dann, wenn die „Sternchen“ in ihrem gelben Smoking auflaufen, beschwipste Jungmänner in Biene Maja Kostümen von einem Blümchen zum nächsten schmetterlingen.

Foto: la mechky+ / Kristina Schadowski

Mir wird immer deutlicher klar, wie selten gelb im Winter ist und schon kommt mir der winterdepressive Gedanke, ob es gelb in der winterlichen Natur überhaupt gibt? Krass, warum spielen die jetzt im Radio „Yellow Submarine“? Das gelbe U-Boot der Beatles. Im Zeichentrick animierte Pilzköpfe tanzen in einer paradoxen Szenerie um ein gelbes U-Boot. Flower Power Pop – Pop of Cola – Afri Cola – Bluna – Fanta – Kaiserperle Limonade aus goldgelbem Strohhalm. Lange her. Gelbfieber. Die gelbe Kontrollleuchte meiner Tankanzeige geht an. Was geht hier ab? Linnicherstraße – am weißen Penny auf rotem Grund und gelbem Punkt vorbei – Pub am Horizont – in der Lichterkette 2 gelbe Glühbirnen. Winterkaltes Aral – blau – oder Shell frühlingsgelb? Ist der Sprit bei Shell eigentlich gelb und der von Aral blau? Und der von Esso? Sitzungsplakat der KG Ulk mit gelbem Wappen. Spenraths Renault gelb. Gibt es im Winter natürliches Gelb?
„N’ Abend Papi“, begrüßt mich mein Sohn in der Küche. „Hast Du auch noch Hunger, komme gerade erst vom Sport. Spiegelei oder zwei oder drei?,“ fragt er breit grinsend. Zack, die Pfanne auf den Herd, Kühlschrank auf, 5 Scheiben Schinken, 5 Eier, 5 Scheiben Brot. Aus der Pfanne glänzen die bruzzelnden Eigelb entgegen. Es gibt also doch auch im Winter ein natürliches Gelb – wenn auch versteckt unter nicht rauer Schale.

Foto: la mechky+ / Kristina Schadowski
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Der nächste Morgen weckt mich mit kräftigen Sonnenstrahlen durch die Rolladenritzen. Gespannt ziehe ich an dem Gurt und schaue hinaus. Nein, auch am Tag ist Wintergelb in der Natur nicht zu erblinzeln. Ok, ganz vereinzelte immergrüne Sträucher, Spezies mir unbekannt, haben gelbe Flecken. Auf mich künstlich wirkend, gezüchtet. Jülich und sein Gelb geht es mir wieder durch den Kopf.Radioaktivität wird mit einem sehr eindeutigen Zeichen markiert. Ein schwarzer Propeller mit drei Flügeln auf gelbem Grund. Trotz Jülichs radioaktiver Vergangenheit existiert das Zeichen in der Stadt und öffentlich nicht. Wenn dann nur nuklearmedizinisch offiziell. Meine Heimatstadt, Symbiose aus Forschung, Tradition und Geschichte hatte in rheinischem Mental an die unbändige aber teuflische Nuklearkraft geglaubt. So zerstört wie nach einer Atombombe, fast schon zum Denkmal der Zerstörung geworden, trotzdem wieder aufgebaut. Dann vor einigen Jahren die Realität auf der Überholspur – plötzlich unangekündigt ohne Blinker. Nukleare Störfälle in der damals noch KFA waren vertuscht worden. Hätten sonst vielleicht außerhalb des Zauns des Abenteuerspielplatzes im Stetternicher Forst die gelben Warnschilder ermahnt keine Maiglöckchen, Steinpilze oder Maronen zu sammeln? Keine Kühe grasen zu lassen, Rüben im Boden zu lassen? Betrug, dass die Verantwortlichen nicht den Mut hatten, am Tag X ihre Fehler einzugestehen. Mutig, mehr feige, eine ganze Stadt, die eigene Familie, Freunde zu betrügen. Oder waren die Wissenschaftler schon lange nicht mehr da, damals als das alles transparent wurde? Ein dunkelgelb schwarzer Fleck auf unserer Stolzweste als Forschungsstadt. Und natürlich die Frage, wissen wir wirklich Alles, was damals passiert ist? Waren und sind die Jülicher zu gutgläubig, zu loyal. „Atomkraft, nein Danke!“ Ende der 70er, entlockte in Jülich eher ein müdes Lächeln als Nachdenken. Jülich hat gelernt. Was passiert mit Tihange, bevor was passiert und wenn es passiert, was passiert dann mit unserem Jülich, das symbiotisch mit der „KFA“ seit 60 Jahren neben Löchern die Region prägt? Hambacher Wald abholzen, Dörfer und Höfe umsiedeln, Loch buddeln, Kohle raus gegen Kohle für Haus und Hof. Das mit der KFA hat doch auch geklappt. Dann die Risse in den Häusern, eine Schneise weil der Boden lebt. Löwenbräu, Schlusches Eck – weg. Vergessen über die Jahre. Gelbe Lamers Bagger, zack, rumms, quasi über Nacht. Doch die Jülicher lieben ihre Stadt weiterhin, feiern. Karneval, Weinfest, Bierbörse. Sich 3x jede Woche das Marktvergnügen gönnen können. Das gibt es nicht oft und schon so lange ich denken kann. Und dort, jede Menge gelb. Annanasgelb, Apfelgelb, Bananengelb, Honiggelb, Paprikagelb – danach Biergelb im Liebevoll – und bald wieder davor, treiben wir noch den Winter aus – Gründonnerstag, Tulpensonntag, Rosenmontag, Veilchendienstag mit dem Lazarus, der Beerdigungsszenerie an der Rur, mit bunt lautem Feuerwerk. Karneval, der Weg in den Frühling mit Blumentagen. Dann werden bald den Schneeglöckchen die ersten Krokusse und Osterglocken folgen, ihre grüne Neugierigkeit in die Luft stecken. Und irgendwann endlich platzen die Knospen. Ostern übernimmt – bunte Eier – innen alle gelb. Auf allen Wiesen und in den großen und kleinen Beeten, unzählige Blüten, die farbenfroh den Sieg über den Frost feiern. Der Schlossplatz hat sich von Weihnachtsmarkt und Zelt erholt und frisches Grasgrün ist der Teppich für Kastanien- und Lindenblüten. Im Zitadellengraben vereinzelt versprengte Hyazinthen und Primeln. Und rund um Jülich strahlt der Raps mit der Sonne um die Wette. Rund um Jülich – dieses Mal quer durch Jülich. Wohl das berühmteste gelbe Kleidungsstück der Welt wird dieses Jahr durch Jülich flitzen. Mit seiner Karawane aus Sponsoren-, TV-, Mannschafts- und Security Fahrzeugen.  Ein Höhepunkt in der Geschichte unserer Sportstadt. Es werden nur Sekundenblicke auf das gelbe Shirt sein, Minuten schauen, warten dann hinterherblicken. Vorbeifahrenden Fahrtwind spüren, die Kraft der Pedalisten endet im Hauch. Sirrrrrrrrr. Vorbei.


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