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Schwer beschäftigt in der Traumstadt

Kid A im Ruhestand

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Büro des Bürgermeisters der Stadt Jülich | Grafik: HZG
Büro des Bürgermeisters der Stadt Jülich | Grafik: HZG
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piep piep……….piep piep………..piep piep………….piep piep………….piep

mit der gleichen, mechanischen Handbewegung wie jeden Morgen habe ich soeben meinen Wecker in den Schlafzustand zurück versetzt. Mit meinem rechten Auge erblicke ich wie jeden Morgen diese unfassbare, in digitaler Weise angezeigte Zeit – 06:30 Uhr. Warum gehöre ich zu dem Teil der Menschheit, der bereits um 06:30 von einem Nerv tötenden elektronischen Etwas gepeinigt wird, warum bin ich kein Vogel, der um 06:30 schon seit 2 Stunden frohen Mutes durch die Gegend fliegt……….piep piep………piep piep………piep piep………piep……warum verwechsle ich jeden Morgen die Off-Taste mit der Snooze-Funktion……..warum……..warum……warum…………?

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Den Wecker könnte man ja zur Not einfach zerstören um seine Ruhe zu haben, aber jetzt kommt eine zweite, viel bedeutendere, absolut unumgängliche, unerbittliche weitere Schlaafraubstehaufkomponente hinzu – meine Frau: „Los Kid, raus aus den Federn, du hast doch heute wieder so viele Termine, sonst kommst du noch zu spät, das wollen wir doch nicht, oder?“

Ich trotte ins Badezimmer – Duschen, Föhnen, Anziehen – weißes Hemd – pinke Krawatte – dunkelgrauer Anzug – schwarze Lackschuhe – danach gehe ich ins Esszimmer, wo meine Frau schon mit Müsli, Pampelmusensaft, Obst und einer Tasse Roibuschtee auf mich wartet. Gleich bin ich fit. (Würg)

Bürgermeister Büro | Grafik: HZG
Bürgermeister Büro | Grafik: HZG

„Mensch Kid“ sagt sie „seit du Bürgermeister bist, sehen wir uns so selten“. Ich überlege kurz, ob ich ihr antworten soll: „Frau, ein Bürgermeister gehört nicht einer einzigen Frau, ein Bürgermeister gehört der ganzen Stadt“, aber das erscheint mir dann doch irgendwie politisch zu unkorrekt, obschon ich ein Liebhaber von unkorrekten Gags bin. Ich belasse es mit einem lapidaren „jaja“ und raschel ein wenig mit dem heutigen Lokalteil. Auf Seite 1 ist ein großer Bericht über die feierliche Eröffnung der neuen Baseballanlage der Jülich Dukes hinter den Zwölferplätzen.

Die Tribünen bieten ausreichend Platz für die Fans, die Umkleiden sind auf dem neuesten Stand, das Vereinsheim ist äußerst schmuck geworden und die Eröffnungsfeier war ein riesengroßes Fest.

Gleichzeitig wurde auch das Zehnerstadion und der Zwölferplatz einer Generalüberholung unterzogen, so dass die Feier ein Ort der Glückseligkeit für alle anwesenden Gäste und Freunde der erfolgreichen Baseballer war.

Die Zeitung titelt: Bürgermeister Kid A. mit erstem Home Run – Eigeninitiative der Dukes wird gelobt und belohnt.

Die Zeit rennt! Keine weitere freie Minute für das ausgiebige Lesen der Zeitung kann ich heute freischaufeln – heute ist terminmäßig Einiges angesagt. Schnell nochmal ins Bad, Krawatte nach hinten geschlagen – Zähne putzen – runter – Küsschen – und ab aufs Dienstrad Richtung Rathaus.

08:00  Treffen mit dem örtlichen Personalrat – das sogenannte Vierteljahresgespräch.

Bei meinem Amtsantritt hatte ich der Personalvertretung meinen uneingeschränkten Willen zur vertrauensvollen Zusammenarbeit angeboten. Das Gespräch findet in lockerer Atmosphäre statt, die meisten Gremiumsmitglieder duzen mich, weil wir uns von früher kennen. Großes Gelächter erzeugt der Vorschlag der Personalvertretung, wegen der anhaltenden Platzprobleme in der Stadtverwaltung das Bürgermeisterbüro in der Mitte des Schwanenteiches im Entenhäuschen einzurichten. Grundsätzlich kann ich mich mit dieser Insellösung zwar anfreunden, muss aber mangels Einstellungsermächtigung für die Stelle eines Fährmanns diesen Vorschlag zurückweisen.

11:00 Treffen im Kulturbahnhof. Ich bin mit dem Leiter des Kulturbahnhofes verabredet. Seitdem der Kulturbahnhof auch die Geschicke des Brückenkopfparks lenkt, hat sich in Jülich viel getan. Das Kulturangebot ist mittlerweile riesig. Im Brückenkopfpark finden unter dem renovierten Zelt Woche für Woche in der Sommersaison Konzerte, Theateraufführungen und Comedy-Veranstaltungen statt. Dies war anfangs nur mit der großzügigen Unterstützung der Jülicher Industrie- und Kaufmannschaft möglich. Jetzt, zwei Jahre später, läuft der Laden, der Park fährt annähernd eine schwarze Null.

Ganz besonders stolz ist mein Gegenüber auf das gemeinsam mit dem Kulturbüro der Stadt Jülich veranstaltete Open Air Festival vor 3 Wochen im Park. Wer hätte vor Jahren gedacht, dass in Jülich Bands wie Deichkind, Cro und (für die Altpunks) Fehlfarben aufspielen würden – mir auf jeden Fall hat es gefallen, wobei mir der Auftritt von Heino noch am deutlichsten vor Augen ist – vielleicht liegt es am Alter.

Die Abrechnung ist gemacht – kleiner Gewinn! Wir einigen uns auf eine Wiederholung im nächsten Jahr.

13:00 – Eine Eilmeldung tickert über mein Smartphone: Anschlag auf den Indemann – Unbekannte, die sich Kommando „Hier gibt’s Nur Die Rur“ nennen, haben einen Anschlag auf den Indemann verübt, der Ausleger des Stahlkolosses zeigt plötzlich Richtung Jülich und in großen Lettern ist „Nur Die Rur – Jülich ich komme“ auf einem Banner am Haupt des Wahrzeichens zu lesen.

Hoffentlich ist mein Sohn nicht dabei gewesen.

14:00 Besuch Frau Ofenrohr – 85. Geburtstag

Anlässlich Ihres Geburtstages habe ich es mir nicht nehmen lassen, mit einem schönen, von mir bezahlten Blumenstrauß bei Frau Ofenrohr vorstellig zu werden, um Ihr zu gratulieren.

Frau Ofenrohr kenne ich aus dem Friseursalon Hilde Brand, dort haben wir uns zum ersten Mal kennen gelernt. Auch heute mustert sie mich und stellt fest, dass es mal wieder Zeit für einen Besuch im Salon wäre: Jung – mit dem Kopp kasste bald nit mieh rejiere!! O.K. sie hat recht, aber wann, aber wann, aber wann!!

15:00 Treffen Werbegemeinschaft Jülich

Das Erntedankfest steht vor der Tür. Es werden ein paar Infos ausgetauscht zum Ablauf der Eröffnung, zu den diversen Sperrungen im Innenstadtbereich und zum diesjährigen Programm.

Auf meine Empfehlung hin hat die Werbegemeinschaft für den Samstagabend erstmalig die Stimmungskapelle der CCKG, Les6KölscheinCola, unter Vertrag genommen. Man verspricht sich davon insbesondere wieder ein größeres Publikum vor der Hauptbühne auf dem Markplatz und auch einen gewissen Qualitätssprung. Ich versichere nochmals den Anwesenden, dass man mit dieser Band alles richtig gemacht hat – das Erntedankfest wird garantiert ein Erfolg!

18:00 Uhr – Wieder im Bürgermeisterbüro.

Ich muss diverse Festreden vorbereiten. Mein Vorgänger hatte sich bei runden Geburtstagen dem Sprechgesang (Rap) verschrieben, ich hab mit dieser „Tradition“ gebrochen und halte stattdessen Festansprachen als rheinische Büttenreden ab. Bisher bin ich bei den Vereinen damit gut angekommen.

Ich rufe noch kurz im Kulturbüro an und bestelle mir zügig 4 Abo-Karten für die neue Theatersaison. Mittlerweile muss man sich dranhalten, denn Theater boomt wieder. Seit es im Theater wieder was zu lachen gibt, geht der Jülicher auch wieder hin…

20:00 Uhr – Versammlung des Fördervereins Hexenturm Jülich.

Seit geraumer Zeit wehen über dem Hexenturm rot-weiße Fahnen. Der Förderverein hat mit erheblichem Aufwand den Hexenturm renoviert und nutzt die Räumlichkeiten als Versammlungs- und Veranstaltungsort für eigene und fremde Events.

Auch andere Vereine können nach wie vor unser einzigartiges Denkmal nutzen. Dieses Modell hat sich als Glücksfall für die Stadt erwiesen und es wird beratschlagt, ob auch andere historische Gebäude in Jülich über ähnliche Trägerschaften für eine solche Nutzung in Frage kommen.

22:00 Uhr – endlich zu Hause

Ich bin müde, meine Frau reicht mir noch einen kleinen Imbiss und schon liege ich im Bett, ausgelaugt aber zufrieden. Morgen ist wieder ein anstrengender Tag, morgen werden die Pläne für den Stadthallenneubau auf dem Gelände der ehemaligen Schirmerschule dem Stadtrat vorgestellt.

Ich bin gespannt, wie die Fraktionen sich positionieren werden.piep piep…………piep piep………piep piep……………….piep piep…………….piep….piep piep…………piep piep………piep piep……………….piep piep…………….piep

Die Stimme meiner Frau raunzt mich an mit der Frage: „Musst du heute nicht ins Amt?
Wie ins Amt, welches Amt? Wer bin ich und noch viel wichtiger: Was bin ich?“
Mir schwant Schlimmes………..alles war nur ein Traum………..dieser verdammte Wecker mit seiner blöden Off/Snooze-Funktion.

Ich sitze aufrecht im Bett, mir dreht sich der Magen und die Liedtextzeile „das war alles nur geträumt, das kann doch alles gar nicht wahr sein“ ist jetzt bittere Realität. Aber warum eigentlich – mein Entschluss steht fest – Isch kandidiere – Bürgermeisterwahl 2015

Dieser Text wurde für die aktuelle Ausgabe „Recycling“ wieder neu veröffentlicht und ist ursprünglich vom 23. Juni 2013.

 


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