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Wart mal…

Da gibt es einen Raum

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Die neue App zum Warten | Foto: HZG
Die neue App zum Warten | Foto: HZG
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Ohne Einladung kommt man meist nicht hinein. Man braucht eine Karte dazu. Trotzdem geht niemand zu seinem Vergnügen dorthin – freiwillig allerdings schon mal. Es ist eine ausgesuchte Runde, die sich zusammenfindet. Täglich – außer mittwochnachmittags. Dann bleibt der Raum traditionell verschlossen. Es sind stetig wechselnde Gruppen. Ordentlich aufgereiht sitzen die Menschen Stuhl an Stuhl, diszipliniert, meist schweigend. Wenn gesprochen wird, dann leise und zurückhaltend. Hier hat oft das geschriebene Wort die Oberhand: Zeitschriften und Bücher sind beliebte Begleiter, (inzwischen allerdings auch Smartphones). Denn oft kann es geraume Zeit dauern, bis der Raum verlassen werden kann. Von alleine gehen die meisten nicht. Sie werden erst dazu aufgefordert. So ein Wartezimmer ist ein ausgesprochen ungewöhnlicher Ort. Hier kann man Menschen beim gepflegten Nichtstun zuschauen.

Was macht einen Raum eigentlich zum Wartezimmer? Weil es in einer Praxis an einer Türe steht? Fast alle Wartezimmer sehen ähnlich aus: Sicher, die Bilder an den Wänden sind andere, aber immer gibt es eine Garderobe und eben die Stühle an der Wand entlang. Es gibt solche, in denen steht ein Aquarium in der Mitte, in den meisten ist es ein Tisch mit Zeitschriften. Außerdem obligatorisch für viele Wartezimmer: Eine Spielecke für Kinder, ein Schaukelpferd oder eine Rutsche, die die Wartezeit verkürzen. Oft sind die Nutzer eine gute Kurzweil auch für die großen Wartenden, wenn sie sich gegenseitig die Bauklötze streitig machen oder von der Rutsche schubsen…Oh, warte! Das war jetzt politisch unkorrekt… oder doch normal, weil Kinder sich nun mal kabbeln? Das kommt ganz auf die Warte an…also den Gesichtspunkt.

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Warten ist die kleine Schwester der Geduld. Schwierig für Menschen, die zu Hause einen Kaffeebecher haben, auf dem steht: „Der liebe Gott gebe mir Geduld, aber zackig“. Trotzdem ist es wunderbar! Wartezimmer sind so zu sagen die verordnete „Chill-Area“, die einen entschleunigen und die Heilung schon fast greifbar machen. Hier ist nichts schlimmer, als wenn die Wartezeit zu schnell vorbei ist. Hektik ist hier ausgesperrt. Ärgerlich also, wenn der Artikel, den man gerade angefangen hat, nicht zu Ende gelesen werden kann, weil die Sprechstundenhilfe ruft. Was dann passiert, ist in den Zeitschriften in Wartezimmern zu sehen: Vandalismus! Da werden einfach Seiten aus den Magazinen herausgerissen – und so vielleicht ein Stück der Wartezimmer-Atmosphäre nach Hause hinübergerettet?

Zuweilen sind die Räume von Wartezimmern aber auch von Geräuschen wie Schnaufen und Sabbern erfüllt. Hier kommen die Eintretenden meist paarweise und sie sind sich oft in klischeehaft erstaunlicher Weise ähnlich: Groß und dunkelhaarig der Typ, der mit dem Deutsch Drahthaar durch die Türe kommt, und freundlich der etwas rundlichen Dame mit den lustigen kleinen Locken und  ihrem ebenso gewachsenen Vierbeiner zunickt. Und hier wird gerne und viel gesprochen: „Der ist aber lieb. Darf ich den Mal anfassen?“ Was ansonsten ein Tabu ist, ist hier gern gesehen. „Meine Mimmi hat sonst immer so glänzendes Fell, aber jetzt…?“ „Kiki ist immer so aufgeregt, wenn wir herkommen.“ Man beschnüffelt sich, bewundert sich und manch einer weint dem Mit-Wartenden hinterher, wenn er vorher an der Reihe ist und schon gehen darf.

Im Wartezimmer der Kinderpraxis Klughardt wacht Maskottchen Herr Pinguin über die Patienten | Foto: Praxis Klughardt
Im Wartezimmer der Kinderpraxis Klughardt wacht Maskottchen Herr Pinguin über die Patienten | Foto: Praxis Klughardt

Warten… das ist etwas, das uns in unserer schnelllebigen Zeit meist abhanden gekommen ist. Beliebt ist es auch nicht. Alles soll sofort und gleich passieren. Wenn nichts passiert, dann heißt es nicht „wart‘s ab“, sondern meist Whatsapp. Es ist ein notwendiges Übel, um ein Ziel zu erreichen. Ein weiteres Merkmal des Wartens: Es braucht ein Ziel, ein Ereignis. Warten, das ist darum das glatte Gegenteil von Langeweile. Warten hat immer mit Zeit zu tun. Nur wer zu früh kommt, kann hier warten. Im Wartesaal im Bahnhof oder der Lounge im Flughafen etwa. In letzterem kommt es – anders als im Wartezimmer, in dem alle gleich sind – gerne auf den Geldbeutel an, wie sich die Wartezeit gestaltet. Da gibt es First-Class-Warten und … sagen wir mal die Holzklasse.

Warten ist also zuweilen sehr relativ. Wer wüsste es nicht: Freudig ist es, wenn es auf Reisen geht – schier unerträglich lang wird es, wenn ein Prüfungsergebnis ansteht, nicht lang genug kann sie sein, wenn eine Wurzelbehandlung bevorsteht. Das aber wirklich beste Beispiel für die Ambivalenz des Wartens ist ein Schwangerschaftstest…– sehr relativ. Es kommt eben sehr darauf an, worauf man wartet…

Ein „Wartezimmer“ ist aber das schönste und mit den besten Erinnerungen behaftet. Es ist das, in dem die Familie sich versammelt, ehe das Christkind kommt. Bei meinen Großeltern kamen nach der Mette alle zusammen. Die Frauen gingen (Vorsicht: Klischee!) in die Küche und bereiteten das Festmahl für die Stärkung nach der Bescherung vor. Die Männer saßen rauchend und mit einem Glas geist(l)icher Getränke in der Hand im großväterlichen Arbeitszimmer. Fest verschlossen waren die Türen zum Weihnachtszimmer und wir Kinder konnten es nicht erwarten. „Freuet Euch, ’s Christkind kommt bald…“ hatten wir gesungen und doch zog sich die Zeit wie Kaugummi. Trotzdem hatte dieses „Wartezimmer“ immer etwas besonders, heimeliges und aufregendes. Und natürlich haben wir diese Tradition fortgesetzt – zur Freude der Kinder. Nur, dass ich jetzt inzwischen in das Wartezimmer „Küche“ aufgerückt bin.


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