Start Magazin Gesundheit Mit dem Raumschiff Enterprise unterwegs im menschlichen Gehirn

Mit dem Raumschiff Enterprise unterwegs im menschlichen Gehirn

Zehn Jahre lang haben 500 Forschende die unendlichen Weiten entdeckt und kartographiert. Der Abschluss des Human Brain Projects wurde jetzt im Forschungszentrum Jülich gefeiert.

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Foto: Stephan Johnen
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Wie funktioniert unser Gehirn? Lässt sich das Bewusstsein erforschen? Und was macht uns zu Menschen? Mehr als 500 Forscherinnen und Forscher aus 155 Institutionen in 19 Ländern haben im Rahmen des Human Brain Projects (HBP) modernste Methoden entwickelt, um ein tiefgreifendes Verständnis der Struktur und der Funktion des menschlichen Gehirns zu erlangen und diese Erkenntnisse in die medizinische Anwendung und die Entwicklung neurobasierter Technologien umzusetzen. Das HBP ist eine der größten Forschungsinitiativen Europas und wird nach zehn Jahren in diesem September erfolgreich abgeschlossen. Im Forschungszentrum Jülich wurde nun das Projektende mit einem wissenschaftlichen Symposium gefeiert.

„Wir haben großartige wissenschaftliche Einsichten erhalten, neue Therapien für Patienten angestoßen und eine Forschungsplattform geschaffen, die ihres gleichen sucht“, brachte Professorin Katrin Amunts vom Forschungszentrum Jülich als wissenschaftliche Direktorin des Projekts die Ergebnisse auf den Punkt. Die weltweit bislang einzigartige Bündelung von Ressourcen und Know-how habe es ermöglicht, neue Einsichten in die Hirnstruktur zu erhalten – „von Makro zu Mikro“. Dabei wurden neue digitale Werkzeuge entwickelt und mit der Forschungsplattform EBRAINS, sozusagen das elektronische Gehirn des Projekts, ein für die Wissenschaft weltweit abrufbarer Datenschatz geschaffen. Dieser soll als Grundlage weiterer Forschung dienen und kontinuierlich erweitert werden. „Das Gehirn ist eines der komplexesten Systeme überhaupt, es muss im Netzwerk und interdisziplinär erforscht werden“, unterstrich die Jülicher Wissenschaftlerin den kooperativen Ansatz. Forschungs- und Fördermittel in Höhe von 607 Millionen Euro standen für das Projekt zur Verfügung.

Katrin Amunts, Direktorin des HBP und des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich.
Foto: Forschunsgzentrum Jülich
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An Superlativen wurde bei der Abschlussveranstaltung nicht gespart. Neben mehr als 120 Doktorarbeiten entstanden über 3000 wissenschaftliche Publikationen, ein digitaler Atlas des Gehirns, der nicht nur die bislang detaillierteste jemals angelegte Karte des Organs ist, sondern auch Informationen darüber gibt, welche Funktion die entsprechende Region ausübt, und die Plattform EBRAINS: „Das Human Brain Project ist das Flaggschiff europäischer Forschung“, bilanzierte der Dürener SPD-Bundestagsabgeordnete Dietmar Nietan. Er verglich die über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Captain Kirk und der Crew der Enterprise, die im Dienste der Forschung dorthin gehen, wo zuvor noch niemand war. Doch handelt es sich beim HPB nicht um Science Fiction, sondern um wegweisende Grundlagenforschung, die neben der wissenschaftlichen auch eine gesellschaftliche Dimension hat. Nietan: „Sie haben die Grundlagen dazu gelegt, viele Krankheiten hoffentlich heilen zu können“.

Foto: Stephan Johnen

Bereits im Verlauf des Projekts haben Forschungsteams beispielsweise Prototypen von Implantaten entwickelt, die die Neuronen im Gehirn stimulieren und beispielsweise helfen können, Blindheit und Querschnittslähmungen zu überwinden. Auch zur Behandlung psychischer Erkrankungen und demenzieller Veränderungen, die allesamt mit der Wirkungsweise unseres Gehirns verknüpft sind, gibt es vielversprechende Ansätze. Untersucht werden auch Therapiemöglichkeiten nach Schlaganfällen und die Schaffung „digitaler“ Zwillinge des Hirns, um beispielsweise die Wirkweise von Medikamenten zu simulieren oder ganz individuelle neurochirurgische Eingriffe zu entwickeln.

Das menschliche Gehirn mit seinen 86 Milliarden Nervenzellen und mehr als drei Millionen Kilometer „Verkabelung“ ist vermutlich der beste Hochleistungsrechner der Welt. Kaum verwunderlich also, dass auch die Informatiker und Techniker im Rahmen des Projekts versucht haben, neuronale Strukturen der Datenverarbeitung nachzubauen. Die so entstandenen Superrechner haben erst ermöglicht, die unfassbaren Datenmengen der Untersuchungen weltweit nutzbar zu machen – und auch hier ist noch Luft nach oben, beispielsweise beim Energieverbrauch: Trotz seiner Superpower kommt ein Gehirn mit weniger Watt aus als Ladegeräte moderner Smartphones.

Foto: Stephan Johnen

Kurzum: Je besser das Verständnis der Struktur des Gehirn wird, desto größer werden auch die Möglichkeiten in Informationstechnologie und Medizin. „Sie haben moderne Wissenschaft in ein neues Zeitalter geführt“, bedankte sich Dr. Gustav Kalbe als Vertreter der Europäischen Kommission für die geleistete Arbeit. Während der Abschlussveranstaltung wurde schnell klar: Hier wird kein Schlusspunkt gesetzt, vielmehr geht es mit viel Schwung weiter. Die weltweit erste Initiative in der Gehirnforschung ist Keimzelle für viele neue Projekte und internationale Partnerschaften. Die Crew der Enterprise wird auch in den kommenden Jahren noch viele unentdeckte Regionen bereisen.

Feierten den erfolgreichen Abschluss des HBP (v.l.): Dr. Peter Jansens, Mitglied des Vorstands des Forschungszentrums, Prof. André Syrota, Vorsitzender des HBP Stakeholder Board und des Vorstands der EBRAINS AISBL, Prof. Yannis Ioannidis, Universität Athen und EBRAINS Modelling Services des HBP, Dr. Gustav Kalbe, kommissarischer Leiter von DG Connect C Digitale Exzellenz und Wissenschaftsinfrastruktur, Prof. Katrin Amunts, Direktorin des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich, Dietmar Nietan, Mitglied des Deutschen Bundestags, Axel Fuchs, Bürgermeister der Stadt Jülich, Thomas Lippert, Direktor Jülich Supercomputing Centre am Forschungszentrum Jülich. Foto: Forschungszentrum Jülich

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Stephan Johnen
Kein Muttkrat, aber im Besitz einer Landkarte. Misanthrop aus Leidenschaft, der im Kampf für Gerechtigkeit aus Prinzip gerne auch mal gegen Windmühlen anreitet. Ist sich für keinen blöden Spruch zu schade. Besucht gerne Kinderveranstaltungen, weil es da Schokino-Kuchen gibt, kann sich aber auch mit Opern arrangieren.

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