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Austausch über DDR-Erlebnisse

Konrad-Adenauer-Stiftung leitet digitale Podiumsdiskussion zum Thema "Zwischen Widerstand und Anpassung - Leben in der DDR" mit Roland Jahn und Thomas Rachel mit dem Jahrgang 11 der Gesamtschule Aldenhoven-Linnich.

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Foto: T. Rachel
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Thomas Rachel, Bundestagsabgeordneter des Kreises Düren und Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung in Berlin, nahm Kontakt zur Gesamtschule Aldenhoven-Linnich auf und initiierte die digitale Gesprächsrunde zum Thema „Zwischen Widerstand und Anpassung – Leben in der DDR“ mit dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Roland Jahn. Die Moderation der Diskussion übernahm Angela Meuter-Schneider, Referentin der Konrad-Adenauer-Stiftung, die die Durchführung und Organisation der Veranstaltung ermöglicht hatte. Teilnehmer dieser Runde waren die Schüler des Jahrgangs 11 (EF) der GAL, die sich, angeleitet durch Studienrätin Maren Stockamp, in einer Themenreihe mit der ehemaligen DDR auseinandergesetzt hatten.

Roland Jahn berichtete aus seiner Zeit in der DDR, seiner kritischen Haltung als Bürgerrechtler und Oppositioneller gegenüber dem totalitären SED Regime. Er war einer der Mitbegründer der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena im Jahre 1983 und wurde im selben Jahr zwangsausgebürgert.

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„Warum sollten wir uns mit Geschichte beschäftigen?“, stellte Roland Jahn zu Beginn seines Vortrags in den Raum. Die Antwort auf diese Frage gab er selbst, denn er sieht es als Chance für die Gegenwart, sich mit Geschichte zu beschäftigen. „Je schärfer wir den Blick in die Vergangenheit vornehmen, desto besser können wir unsere Demokratie gestalten.“

Jahn stellte auch den Gegenwartsbezug zur aktuellen Pandemie her und den damit verbundenen Einschränkungen der Freiheit in Deutschland. „Inwieweit kann man Freiheitsrechte einschränken, ohne dass die Freiheit auf Dauer verloren geht in Zeiten einer Pandemie?“ „Wieviel Freiheit darf eingeschränkt werden, um Freiheit zu schützen?“ „Was sind die Werte unserer Gesellschaft?“ „Wie wollen wir unsere Gesellschaft gestalten?“ Dabei spielt aus Jahns Sicht das Individuum eine herausragende Rolle. Wie verhält sich der Mensch, unter welchen Umständen und welche Auswirkungen hat dies auf die Gesellschaft?

In einem Bericht aus seiner Jugend schilderte Jahn ein Beispiel, welches den Schüler Impulse für eine Reihe von Fragen im Verlauf der Gesprächsrunde gab. Er berichtete von dem Ereignis vor knapp 40 Jahren in seiner Heimatstadt Jena in der ehemaligen DDR. Dort war Jahn Teil einer Jugendszene, welche ein Leben in Selbstbestimmung anstrebte, Nischen suchte, um Erlebnisse, wie Musik hören, Feten feiern, Lesekreise oder Wanderungen in der Diktatur der DDR möglich zu machen.

Dabei nahm die Stasi diese Jugendszene in den Blick, bespitzelte sie und übte die Doktrin des Spitzel- und Überwachungsstaates aus. Die Gruppe wurde zum Staatsfeind ersten Ranges ausgerufen. Zu diesem Zeitpunkt fand der 10. Staatsparteitag der SED mit dem Beschluss statt, dass keine staatsfeindlichen Gruppierungen in die Stadt Berlin fahren dürften.

Dies wurde in der Folge für Jahns Freund zum tragischen Schicksal, denn dieser wurde auf dem Weg nach Berlin von der Stasi aus dem Zug geholt und 48 Stunden lang verhört, in die Mangel genommen, ohne Schlaf und Essen, um alles aus ihm herauszuquetschen, was er über die Jugendszene in Jena wusste. Das Unbegreifliche gipfelte darin, dass man ihn am nächsten Tag erhängt in seiner Zelle auffand. Ein Mann, 21 Jahre jung mit dem Willen ein Leben in Gerechtigkeit zu führen, war tot.

Roland Jahn formuliert noch heute die Fragen: „Wer ist dafür verantwortlich?“ „Wer hat Schuld?“ Er verdeutlichte gegenüber den Schülern, dass bis heute niemand zur Verantwortung gezogen wurde. Dieser Fall bleibt für ihn ein Beispiel dafür, dass in der DDR viele an solch einer Geschichte, die keinen Einzelfall darstellte, beteiligt gewesen waren. Jahn betonte, dass jeder die Möglichkeit gehabt hätte zu sagen: „Nein, da mach ich nicht mit!“ Eine Handlungskette über Parteileitung, Spitzel, Polizisten, Vernehmung in der Stasihaft, die zeigt, dass alle daran Beteiligten es nicht schuld gewesen sein wollen. Jahn stellte heraus, an diesem Beispiel sehr gut sehen zu können, welche Auswirkungen das einzelne Handeln haben kann.

In der Folge war die Fragerunde für den Jahrgang 11 der GAL eröffnet. Sehr interessierte und auch sehr persönliche Fragen richteten sich an Roland Jahn, der als Zeitzeuge eine sprudelnde Informationsquelle für die Schüler darstellte.

Auf die Frage: „Wie war es für Sie, als Sie Ihre Stasi-Akte bekommen haben?“, antwortete der heutige Bundesbeauftragte für Stasiunterlagen sehr ergreifend und schilderte dieses besondere Erlebnis in seinem Leben sehr detailliert. „Wenn man es schwarz auf weiß liest, weiß man, es ist wirklich passiert. Es ist passiert, dass Spitzel einen als angebliche Freunde belauscht haben oder die Eltern schikaniert wurden.“

Selbst als er später im Westen gelebt hat, wurde Jahn weiter bespitzelt. Selbst der Schulweg seines Kindes in der BRD wurde durch die Stasi dokumentiert.

Er nutzte die Einblicke in seine Akte, um Erlebnisse anders einordnen zu können, zum Beispiel in Bezug auf den Rauswurf aus der Universität. Kommilitonen haben damals über seinen Rauswurf entscheiden müssen. Aus seiner heutigen Sicht, mit der Einsicht in die Unterlagen werde klar, wie groß der Druck auf seine Kommilitonen habe gewesen sein müssen. Dieser aufgebaute Druck durch die Stasi begründet Jahns Erkenntnis, dass er den Vorwurf des Verrats gegenüber seinen Mitstudenten hat fallen lassen. 33 Jahren danach habe ein Kommilitone ihn sogar um Verzeihung dafür gebeten.

Mit vielen Menschen aus den Akten hat Jahn versucht, ins Gespräch zu kommen und dabei gesehen, wie wichtig die Akten sind. “Es ist ein Ringen um die Wahrheit.“ „Auch was in den Akten aufgeschrieben wurde, hat natürlich eine subjektive Wahrnehmung“, betonte Roland Jahn gegenüber den EFlern. „Viele Spitzel aus der Stasi-Zeit wollen keine Gespräche über die Vergangenheit und keine Aufarbeitung dieser Ereignisse. Sie wollen sich nicht mehr damit auseinandersetzen“, stellte Jahn heraus.

Auf die Frage, ob er das Gefühl gehabt habe, dass er bespitzelt würde und dies sein Vertrauen und sein Leben beeinträchtigt habe, antwortet Jahn sehr persönlich.

„Das Leben war von Angst geprägt. Jeder wusste, dass man jederzeit bespitzelt werden konnte und auch wurde. Eine Art Doppelleben wurde geführt, zu Hause wurde anders gesprochen als in der Schule“, berichtete Jahn. „Es hatte etwas Schizophrenes, denn bei vielen Dingen wurde die Stasi gewittert, selbst bei alltäglichen Dingen. So wurde ein Klima der Angst geschaffen.“

Die Nachfrage nach dem bestehenden Interesse an den Stasiakten erläutert Roland Jahn sehr ausführlich. Es bestehe immer noch großes Interesse und unterschiedliche Intentionen der Nachfragegruppen.

Die erste Gruppe bilden die Menschen mit dem Interesse an der persönlichen Akte. Man bekommt die Akten, worin der eigene Name auftaucht. Das ist der Rechtsanspruch. Über 3 Millionen Anträge auf Einsicht sind bisher bearbeitet worden. Auch Angehörige von Verstorbenen beantragen Einsicht.

Die zweite Gruppe der Nachfragenden nutzt die Akten zur Überprüfung von Parlamentariern, ob zum Beispiel jemand für die Stasi gearbeitet hat und in den öffentlichen Dienst gegangen ist.

Die dritte Gruppe nutzt die Akten für Forschung und Medien. Universitäten, die Forschungsprojekte zur Aufklärung des Wirkens der Staatssicherheit durchführen, Recherchierende für Filmprojekte und Journalisten gehören zu den Interessenten dieser Gruppe.

Roland Jahn verdeutlichte den GALliern der Stufe 11, dass die Aufbewahrung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zur Aufklärung der Deutsch-Deutschen-Geschichte beitrage und so die Sinne für die Gegenwart geschärft werden. „Die Unterlagen sind Teil des Bundesarchivs geworden. Die Akten müssen auch weiterhin offen bleiben. Sie sind ein Teil der Wahrheit, die in der DDR stattgefunden hat.“, erläutert Jahn.

Auf die Frage einer Schülerin, was er glaube, was ihn am meisten geprägt habe, antwortete Roland Jahn gegen Ende der Gesprächsrunde wie bei allen vorherigen Fragen im Verlauf des intensiven Gesprächs sehr offen und gibt den Schüler*innen am Ende noch eine kleine Botschaft mit:

„Stärke ziehen aus dem, was man an Negativem erlebt hat. Lasst euch nichts aufdrücken, seid frei, seht die Chancen mit dem Blick in die Geschichte als Hilfe für das Leben im Hier und Jetzt. Freiheit sollte selbst gestaltet werden.“


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