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„Nichts schönreden oder kleinreden“

Viel Wertschätzung erfuhr Horst Grothe bei seiner offiziellen Verabschiedung aus dem Amt des Pfarrers der evangelischen Kirche in Jülich. Beim Gottesdienst und anschließender Feier im Bonhoeffer-Haus waren Weggefährten, Freunde und Kollegen dabei. Sie überließen ihm nicht nur Andenken, die er auf dem neuen Weg von Jülich mitnehmen sollte, sondern unter anderem auch einen roten Faden, den er nicht verlieren solle. Es war allerdings nur ein „kleiner Abschied“, denn als künftiger Seelsorger in Aachen bleibt sein Wohnsitz dennoch Jülich.

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Horst Grothe. Foto: Dorothée Schenk
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„Herr Grothe, Sie arbeiten demnächst in der Justizvollzugsanstalt Aachen?“, habe ihn ein Mann in einer Begegnung fröhlich gefragt und im Nachsatz gemeint: „Herr Grothe! Ich war auch schon da!“ Lachend erzählte der scheidende Pfarrer diese Anekdote, die aber nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken reize. „Es zeigt, das Mauern durchlässig sind. Dass sie nichts Endgültiges sind – oder nur für die wenigsten.“ Sie seien vorübergehend notwendig, um andere vor Straftaten zu schützen und auch den Tätern Impulse zum Umdenken ebenso wie Ausbildungschancen zu bieten. Darin sieht Horst Grothe den Wert seines neuen Aufgabenbereichs.

Viel Dankbarkeit brachte Horst Grothe über Begegnungen und Erfahrungen in seiner Predigt zum „Abschiedsgottesdienst“ in der Christuskirche zur Sprache. Symbolisch deckt er den Tisch mit „ganz vielem, was mir hier geschenkt wurde in den vergangenen Jahren in Jülich“. Dazu gehörten ein Koran, ein Beutel Waschpulver und ein großer Kochtopf.

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Die Ökumene ist ein Schwerpunkt für Horst Grothe gewesen. Sie hätte er erst in Jülich richtig kennengelernt und in diesem Miteinander sogar bei der Einsegnung eines Wegekreuzes in Koslar einmal einen Sprengel mit Weihwasser in der Hand gehabt, wie er lächelnd erzählte. Ebenso prägend seien die Erfahrungen im interreligiösen Dialog, der vor allem auch mit dem Namen des verstorbenen Pfarrers Dr. Peter Jöcken verbunden gewesen sei. Aber auch einem, „der Gott die Ehre gibt“: Hussein Eljajieh, der Leiter und Mitbegründer des Islamischen Zentrums Jülich. Ein Mensch, den er einen Glücksfall für Jülich nannte und mit dem die Begegnung offenkundig stets ein Gewinn gewesen ist für Horst Grothe.

Stellvertretend – dafür stand der Kochtopf – dankte er dem Engagement der Menschen um Walburga Mertens, die den Mittagstisch in der evangelischen Kirche angeboten haben. Daraus erwuchs Weiteres: Walburga Mertens Ehemann Theo, eingefleischter Katholik, sei eines Tages zu ihm gekommen, um einen Gesprächskreis zu gründen: positives Denken und Handeln. Eine Veränderung im Geist ermögliche ein neues Handeln, was dem Leben dienlich sei. Eine Initiative, für die Horst Grothe dankbar war und die er gerne aufnahm.

Aber auch kritisch Bedenkenswertes wurde beim Namen genannt, eingeleitet mit den Worten: „Was ich nie vergessen werden.“ Gemeint ist die Erschütterung, Betroffenheit angesichts der Verhaftung eines Mitarbeiters, dem Kindesmissbrauch und Verbreitung von Kinderpornografie via Internet vorgeworfen wurde. Jemand, dem man nichts Böses zugetraut hätte, den er seinen Freund genannt habe. Die drängenden Fragen der Kindergarteneltern und die Wut auch gegen seine Person, weil er zum Schweigen verpflichtet war – und das alles „in einer Kirche, in der Kinder Gottvertrauen lernen sollen“. Selbstkritisch bekannte Horst Grothe: „Ich war sprachunfähig in meiner Wut und Hilflosigkeit – das war nicht sehr professionell, weil ich auf so etwas nicht gefasst war.“

Nähe und Distanz in der Kirchengemeinde seien ein schwieriges Feld, gab Grothe zu bedenken. Da würden auch Grenzen überschritten. Der Vertrauensvorschuss, den Pfarrerinnen und Pfarrer genössen, sei verführerisch, da seien Vorsicht und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst vonnöten. „Da muss man genau hinschauen, da darf man nichts schönreden oder kleinreden.“ Auch auch Tränen seien wichtig: „Sie öffnen uns die Augen. Das ist auch ein Gabe Gottes an uns, solche Erfahrungen machen uns stark, machen uns sensibel. Schutzbefohlene zu beschützen, das ist so wichtig.“

Eine Einrichtung, die dafür in Jülich stehe, sei auch das Café Gemeinsam, dessen Gründung auf Pfarrerin Latour zurückgehe, mit der Horst Grothe damals das evangelische Seelsorger-Duo gab. Mutig sei es gewesen, dazu ja zu sagen, und auch heute noch sei es für Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen seien, eine wichtige Adresse – denn es ermögliche eine „Adresse“, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen erst möglich mache.

Angesichts der „Dankespredigt“ wurde noch einmal deutlich, dass Pfarrer Horst Grothe viele Aufgaben mit Herz betreut hat und hier sicher zunächst ein Vakuum hinterlässt. Wie zu hören ist, ist das Presbyterium aber bereits für eine Nachfolge in Gesprächen: „Eine bewährte Pfarrerin unseres Kirchkreises, Frau Elke Wenzel, hat den Kreis-Synodal-Vorstand aus persönlichen Gründen um Versetzung in eine andere Gemeindepfarrstelle gebeten“, steht im neuen Gemeindebrief zu lesen. Bereits Ende August hat das Presbyterium, „nachdem es ein ausführliches Gespräch mit Frau Pfrn. Wenzel geführt hat, einstimmig beschlossen, ihre Versetzung nach Jülich bei der Landeskirche und beim Kreissynodalvorstand zu beantragen. Sollte dieser Antrag positiv beschieden werden, dann könnte die zweite Pfarrstelle unserer Kirchengemeinde zu Beginn des Jahres 2022 in Vollzeit wieder neu besetzt sein.“


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