Ein guter Tag war dieser 14. September, der auch Denkmal-Tag ist. Ein Tag, an dem Türen geöffnet werden und an dem man hinter Kulissen gucken kann, die sonst verborgen bleiben. Ein guter Tag vor allem deshalb, weil das erste Mal seit über 25 Jahren in Jülich wieder mehr als 60 Prozent sich entschieden haben, an der Demokratie teilzunehmen. Vor zehn Jahren, so zeigt ein Blick in die Annalen, waren es erschütternde 49,27 Prozent. Fünf Jahre später immerhin 57,12 Prozent, die zur Wahl gingen. Diesmal weist die Statistik 64,13 Prozent Wahlbeteiligung für Jülich aus, die deutlich über dem NRW-Landesdurchschnitt von 56,8 Prozent liegt. Ein guter Tag daher aus meiner Sicht.
Denk-mal-nach-Tag, Blick hinter die Kulissen. „Realitätsverlust“ warf mir eine Wählerin vor, weil ich am Wahlabend die SPD als Wahlsiegerin kürte – „Gewinnerin trotz Verluste“ schrieb ein anderer. Der Blick aufs Ergebnis zeigt: Die CDU ist stärkste Fraktion geblieben bei einem Minus von 3,79 Prozent. Die UWG JÜL ist angetreten, um stärkste Fraktion zu werden, ist auf Platz 2 gelandet und zwar mit Verlusten. Abwärtstrend statt Aufwertstrend bei einem Minus von 1,24 Prozent – und das trotz eines wirklich phantasievollen und guten Wahlkampfs. Die Grünen haben 4,22 Prozent eingebüßt, die FDP 2,98 Prozent. Die SPD dagegen hat nur 0,38 Prozent verloren, keinen Sitz verloren und statt dessen erstmals seit 1999 zwei Direktmandate geholt – damals waren es zwar fünf, in den Folgejahren aber nur eins oder keins. Wenn das kein Erfolg ist. Die Analysen müssen die Parteien jetzt vornehmen. Aber eins ist klar:
Addiert man die Verluste der Parteien, kommt man fast auf das Ergebnis der Afd. Die Rechtspopulisten sind erstmals im Jülicher Stadtrat vertreten – ebenso wie Die Linke, die 2009 einen Einzelkämpfer stellten, der dann in das Grüne Lager gewechselt hat. Gewusst haben alle vorher, dass die Rechtspopulisten in den Rat einziehen werden. Es ist keine Überraschung. Stellen müssen sich aber jetzt alle Fraktionen dem Thema des gemeinsamen Umgangs. Auf dem PolitTALK des HERZOGs im Kulturbahnhof haben alle Fraktionen einer Zusammenarbeit mit der AfD eine Absage erteilt. Marco Johnen stellte aber auch richtig fest: „Wir können nicht verhindern, dass sie mit uns für einen Antrag abstimmen.“ Soweit die Startlinie. Was daraus in den kommenden fünf Jahren wird und wie sich die politische Kultur in Jülich entwickeln wird, ist die große Unbekannte.
Schon nach der Bundestagswahl im Februar, als in Jülich 17 Prozent aller Stimmen an die rechtspopulistische Partei gingen, habe ich kommentiert: „Es muss gelingen, in den Dialog zu gehen, Bewusstsein zu schaffen, dass Jülich für Aufbruchstimmung, Mut und Solidarität für alle steht. Es gilt, die 17 Prozent Menschen in Jülich ernst zu nehmen.“ Ich glaube immer noch nicht, dass 17 oder 12,82 Prozent der Jülicherinnen und Jülicher für eine Abschaffung unserer Verfassung und unseres Grundgesetzes stimmen würden, die unsere Grundrechte auf Meinungsfreiheit und übrigens auch das Wahlrecht verbrieft. Das aber genau steht auf der Agenda der AfD und kann nicht oft genug wiederholt werden.
In den Wahlkampf gezogen ist die AfD in Jülich mit Bundespolitik. Es gab auch auf Nachfragen keine Aussagen, wie sie unsere Stadt mitgestalten wollen. Bürgermeisterkandidatin Melina Hoppe, die einen der fünf Sitze erhalten wird, soll auf diese Frage sinngemäß gesagt haben: „Nächste Woche kommt unser Kreistagsabgeordneter, der kann das beantworten. Ich kenne mich in Jülich nicht so aus.“ Was nach meiner Auffassung also von entscheidender Bedeutung ist in den kommenden fünf Jahren: Aussagen anhören, öffentlich machen und konfrontieren – das bedeutet auch „ernst nehmen“. Ansonsten kann man nur tun, was eigentlich absurd ist, den Slogan aufgreifen: Wählt die Lösung, nicht das Problem.