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„Keine Parallelgesellschaften zulassen!“

Auch mit seinem neuen Buch schaffte es der Herzchirurg aus Sri Lanka, Umeswaran Arunagirinathan – kurz „Umes“ - schon zum zweiten Male im Dietrich-Bonhoeffer-Haus Menschen zu berühren. Zu seiner Lesung „Grundfarbe Deutsch. Warum ich dahin gehe, wo die Rassisten sind“, hatte die Stadt Jülich in Kooperation mit der Evangelischen Kirchengemeinde Jülich und der Integrationsagentur NRW Jülich eingeladen. Anlass war der Internationale Tag gegen Rassismus. Beatrix Lenzen, Sozialplanerin der Stadt Jülich, begrüßte Umes als guten Bekannten. In Jülich lebten 120 Nationen, zeigt sie die Relevanz des Themas auf.

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Umeswaran Arunagirinathan kam zum Tag gegen Rassismus nach Jülich. Foto: Sonja Neukirchen
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Umes, der „Privatmensch“, der er gerne sei, zeigt sich nahbar und freundlich, nicht anklagend, aber kritisch analysierend, mit dem Fokus auf Lösungen für die großen Herausforderungen der Intergration. Sein Vortrag war überwiegend frei vorgetragen und eine anschließende, rege Fragerunde zeigte, wie brennend das Thema in den Köpfen der Bürger ist. Lag der Schwerpunkt der letzten Lesung eher auf seinem Flüchtlingsschicksal, so waren es dieses Mal auch Auseinandersetzungen über seine „Selbst-Verortung“ als Deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund, der jedoch die „Grundfarbe Deutsch“ trage. Das sei eine emotionale Beschreibung und bedeutet, dass er sich mit den demokratischen Werten und der Verfassung identifiziere.

Die großen Aufgaben von Deutschland als aufnehmendes Land zahlreicher Flüchtlinge formuliert er aus Sicht eines gut integrierten Einheimischen, mit Brückenidentität. Er sieht es als seine Aufgabe an, mitzuwirken bei der Integration anderer, denn er ist ein Teil geworden von Deutschland. Er selbst geht dahin wo die Rassisten sind. Um etwas zu verändern. „Viele Menschen haben dieses Schicksal, aber sie sprechen nicht“, weiß er von anderen in seiner Situation. Schon auf sprachlicher Ebene sieht er Veränderungsbedarf etwa beim Begriff „illegaler Flüchtling“. „Man kann nur illegal nach Europa kommen“, kritisiert er die gängige Wortwahl.

 Beatrix Lenzen, Sozialplanerin der Stadt Jülich, hatte den Autor Umeswaran Arunagirinathan eingeladen. Foto: Sonja Neukirchen
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Umes Engagement und Positionen kann nur verstehen, wer zumindest einen Teil seines Flüchtlingsschicksals kennt. Auf symbolischer Ebene beschreibt er seinen Integrationsprozess, indem er sich mit einem „Mangobäumchen“ vergleicht, das mit kleinen Wurzelansätzen ausgepflanzt wurde, um hier in seinem Heimatland dann tiefe Wurzeln auszubilden. „Natürlich bin ich nicht über Nacht zu einer deutschen Eiche geworden.“ Wichtigste Voraussetzung für eine Integration sei die Sprache: „Wir müssen den Dialog fördern.“ Muttersprache sei wichtig, aber mindestens genauso wichtig sei die Sprache des Wohnlandes. Rausgehen, ein Praktikum machen, das ruft er allen zu, die ein ähnliches Schicksal haben wie er.

Integration sei ein beidseitiger Prozess des Aufeinanderzubewegens: der Einwohner und der Flüchtlinge, die nicht in der Tür stehen bleiben sollten. Doch er sieht auch heute noch ein paar Unterschiede zur hiesigen Kultur: „In Deutschland hätte ich nicht gelernt, dass ich für meine Familie auch Verantwortung trage“, sagt er. Er selbst besucht seine Mutter in Sri Lanka regelmäßig. Erst seit zwei Tagen sei er nun zurück aus seinem Geburtsland und folgt schon wieder seiner Mission, mit Lesungen aufzuklären – am liebsten übrigens vor Schulklassen. Oft erlebe er, dass die Kinder seiner eigenen Patienten als Herzchirurg keine Zeit für die Eltern hätten, wenn sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Dann schimpfe er auch mit diesen Angehörigen, sagt er offen über seine kulturelle Prägung.

Als er mit 12 Jahren weinend und mit Angst in Sri Lanka alleine weggehen musste, war er der älteste Sohn seiner große Familie gewesen und damit fiel ihm kulturell die Aufgabe zu, sich später um seine Eltern zu kümmern. Da Krieg herrschte, wollten seine Eltern ihn in Sicherheit bringen. Sowohl der Onkel als auch seine Mutter hatten sich in einen Schuldenberg gestürzt, um ihm das zu ermöglichen. Ein Flüchtlingshelfer musste organisiert und bezahlt werden. Die Flucht gelang, nach langen Monaten Zwischenstation in Togo und anderen Orten. Er erinnert sich an eine Anekdote, die auch die Wurzel des Buches gewesen sei: Ein Bundesgrenzsoldat in von ihm angstbesetzter Uniform gab ihm am Frankfurter Flughafen ein Stück Schokolade. „Meine Anspannung, meine Angst waren weg.“ Kleine Geste mit großer Wirkung. Es koste nicht viel, den Dialog zu eröffnen, so Umes. So schwer die Reise hierher war, so schwer war später auch das Bleiben in Hamburg, wo der ehrgeizige junge Tamile mit „Biss“ sich durch die Schulfreunde heimisch fühlte. Dass er sein Medizinstudium beginnen konnte, gelang nur mit viel Unterstützung unter Ausnutzung sämtlicher Spielräume von Recht und Verwaltung: „Ich bin noch immer hier, weil wunderbare, ehrenamtliche Menschen sich für mich eingesetzt haben.“ Und er fühle sich nicht mehr fremd.

Interessiert folgte das Publikum der Lesung. Foto: Sonja Neukirchen

Doch auch als Arzt wird er oft noch mit Vorurteilen konfrontiert. Durch andere Mediziner selbst sei ihm nahegelegt worden, den Weg der Spezialisierung zum Facharzt gar nicht erst zu gehen aufgrund seiner Herkunft. Und auch bei seinen Patienten begegnet er Vorurteilen und gehe damit offen um: Solche, die sogar Hakenkreuze kritzeln, denen sei er am Ende oft der liebste Arzt, beschreibt er. Seine Methode: Freundlichkeit. Rassismus vergleicht er mit einem bösartigen Tumor. „Manchmal kann man das heilen.“ Aber auch bei hartnäckigem Rassismus gelte es zu integrieren. „Wir dürfen keine Parallelgesellschaften zulassen“, findet er. Deshalb sei es wichtig, eine einzige Grundfarbe zu haben. Auch Begriffe zu verbieten bringe nichts. Das spalte nur die Gesellschaft, rät er in Richtung der Politik.


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