Start Magazin Geschichte/n …plötzlich war Frieden

…plötzlich war Frieden

„Wir, die hier Unterzeichneten, handelnd in Vollmacht für und im Namen des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht, erklären hiermit die bedingungslose Kapitulation aller am gegenwärtigen Zeitpunkt unter deutschem Befehl stehenden oder von Deutschland beherrschten Streitkräfte auf dem Lande, auf der See und in der Luft gleichzeitig gegenüber dem Obersten Befehlshaber der Alliierten Expeditions-Streitkräfte und dem Oberkommando der Roten Armee.....“ So unterzeichneten es in Berlin am 8. Mai vor 75 Jahren das Oberkommando der deutschen Wehrmacht.

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Blick auf den Marktplatz. Links die Ruine der städtischen Festhalle, die frühere Jesuitenkirche, Mitte die Propsteipfarrkirche 1945. Foto: Stadtarchiv
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„Die Bevölkerung hat es fast teilnahmslos hingenommen“, schildert Dr. Heinz Bierth den 8. Mai 1945 in Jülich. Kein Freudentaumel, dass der Krieg zu Ende war? Das klingt aus heutiger Perspektive befremdlich, unverständlich. Die Gründe sind einfach. Dr. Bierth erklärt: Die Jülicher seien zuallererst mit ihrem ganz persönlichen Überlebenskampf befasst gewesen und den existentiellen Fragen, wo sie Obdach und Nahrung bekämen. Helmut Scheuer hat für sein Buch „Wie war das damals? Jülich 1944-1948“ mit einer Vielzahl von Augenzeugen gesprochen und sie zu Wort kommen lassen. Sie haben ihm erzählt, wie sie in der Trümmerstadt verwesende Leichen sahen, Trostlosigkeit herrschte und Krankheit, der stetigen Gefahr ausgesetzt, auf Minen zu treten – und nicht einmal ein Baum habe stand, berichtete Heinrich Casson, ab 1947 Stadtdirektor von Jülich.

„Erstmal waren die Leute erleichtert, dass der Krieg ein Ende hatte, dass kein Schuss und keine Bomben mehr fielen. Auf der anderen Seite war die Ungewissheit, wie verhält sich die Besatzung. Es war da eine lähmende Ungewissheit und Furcht, was wird. Das ist schwer zu beschreiben.“ Allerdings sagt der heute 92-jährige auch, wie klug sich die Amerikaner verhalten hätten, indem sie die Menschen vor allem in Ruhe gelassen hätten, so dass die Jülicher ihr Leben langsam wieder auf bauen konnten – einen gewissen Alltag wie auch ihre Häuser.

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Erst ganz allmählich „sickerte die Nachricht durch“ sagt Dr. Bierth, der zu der handverlesenen Schar von 70 bis 100 Menschen gehörte, die 1945 zum Kriegsende bereits in die Heimatstadt zurückgekehrt waren. Vermutlich aus dem Radio habe er von der Kapitulation und dem beginnenden Frieden erfahren. Tatsächlich gibt es auch im Jülicher Stadtarchiv keine Dokumentation, wie die Nachricht „Es ist Frieden“ sich in der Stadt verbreitet hat. Eine eigene Lokalzeitung gab es nachweislich noch nicht. „Ich vermute, es gab entweder Flugblätter oder eine öffentliche Bekanntmachung. Diese wird vermutlich entweder bei der Militär-Regierung in der Linnicher Straße, am provisorischen Rathaus, oder an der Notkirche ausgehangen worden sein. Aber das sind nur Spekulationen“, teilt Susanne Richter auf Nachfrage mit.

„Als wir in Jülich ankamen, kamen wir in eine tote Stadt“

formuliert es Dr. Bierth. „Es gab nur Trümmer und wir waren als Zivilisten alleine.“ Mit seinem Vater Josef war der 17-jährige Heinz schon im März mit dem Fahrrad aus Berg bei Zülpich nach Jülich gekommen. Die Mutter blieb am Ort der Evakuierung zurück. Querbeet über die Feldwege, so hat er Dr. Bierth erzählt, schlugen sich Vater und Sohn in die Heimatstadt durch. Trampelpfade, die an Trümmerbergen und mit Wasser vollgelaufenen Bombentrichtern vorbeiführten, gaben eine gewissen Orientierung in der völlig zerstörten Stadt bis zur katholische Volksschule an der Düsseldorfer Straße. Von dort aus konnten sie in die Aachener Straße blicken und auf das Elternhaus: „Vater unser Haus steht noch!“ soll er ausgerufen haben. Lediglich mehrere Artillerietreffer hatten die Wände beschädigt und Fenster und Türen fehlten, so dass der Wind durchs Haus pfiff. Die Räume boten dagegen ein Bild der Verwüstung. Im Keller richteten sie sich notdürftig ein – wie so viele Jülicher, die vor allem eins suchten: Ein Dach über dem Kopf. In seinem Buch dokumentiert Scheuer auch, dass von 1663 Häusern der Stadt 1247 Häuser mit 3291 Wohnungen zu 100 Prozent zerstört waren.

Näher am Geschehen als der damals 17-jährige Heinz Bierth konnte kaum einer sein: Sein Vater Josef, von Hause aus Lehrer, war nicht NSDAP-Mitglied gewesen und wurde deshalb am 1. Mai 1945 vom Stadtkommandanten der amerikanischen Besatzer zum Bürgermeister ernannt. „Eine fürchterliche Tätigkeit. Es war keine Verwaltung da, um für die Stadt und die Bewohner etwas zu tun.“ Erst allmählich seien die Verwaltungsbeamten zurückgekehrt, aber „das war eine Verwaltung, die nur aus Belastungen bestand. Mein Vater hatte als Bürgermeister kein Geld, keine Organisation Das hat ihn fürchterliche Kraft gekostet.“ In einem Brief den Helmut Scheuer ins sein Buch aufgenommen hat, schildert Bürgermeister Bierth: „Hier in Jülich sieht es immer noch traurig aus. Es fehlt eben an den allernötigsten Baumaterialien, Maschinen, Werkzeugen usw. Es sind cirka 2500 Menschen wieder hier, die zu einem Drittel in Kellern hausen (…) Ich selbst hoffe bald abgelöst zu werden, denn die Aufgaben des Wiederaufbaus kann nur durch ganz befähigte und erfahrene Verwaltungsbeamten durchgeführt werden. (…) Jedenfalls werde ich es nicht mehr lange durchhalten können.

Diese kurze Amtszeit ist die schwerste Zeit meines Lebens gewesen.“

Den Brief schrieb Josef Bierth Ende Juli. Sein Sohn Heinz erzählte Helmut Scheuer, unter welchem Druck der Vater gestanden habe, der nicht auf „Augenhöhe“ sondern im Verhältnis Besiegter zu Siegermächten arbeiten musste. Nach anfänglicher Weigerung, eine Liste von jungen Leuten für ein Minensprengkommando zusammenzustellen, musste sein Vater sich den Anweisen der Allierten beugen. Neben Engländern kamen bei diesem Einsatz auf dem Gelände der Obstplantage Bellartz bei Broich die zwei Minenräumer Martin und Denneburg ums Leben „Dieses Unglück hat meinen Vater bis zu seinem Tod verfolgt.“

Bis 8. Oktober blieb Josef Bierth Bürgermeister. Er wurde auf eigenen Wunsch vom Amt entbunden und starb im Folgejahr.

„Eine Zeit, die wir erlebt haben, die wir nicht vergessen können“, fasst es Dr. Heinz Bierth zusammen.


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