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Strukturwandel mit Zuversicht und Vertrauen angehen

Der Besuch des 2. Mannes im Staate ist für Jülich und die Region eine Auszeichnung und unbestreitbar zeigt es, dass die Bundesregierung die Bedeutung der Entwicklung in den Tagebaufolgegebieten verstanden hat und angeht.

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Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz nahm sich Zeit für den Austausch nicht nur der "Köpfe" und Projektträger des Strukturwandels in der Region, sondern auch mit den betroffenen Menschen vor Ort. Fotos: Dorothée Schenk
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Olaf Scholz hat sich auf Einladung seines Dürener Parteikollegen Dietmar Nietan einen Tag Zeit genommen, um sich die Projekte und Pläne vor Ort vortragen zu lassen. Das Signal: Der Vizekanzler und Finanzminister ist angetan, vor allem auch von der fortgeschrittenen Projektreife, die praktisch zur Umsetzung nur auf den Startschuss aus Berlin wartet, und von der geballten innovativen Technik in der Region, die den Strukturwandel konstruktiv begleitet. Positiv hob Scholz auch hervor, wie bereits neue Arbeitsplätze generiert würden – und zwar „nicht nur dort, wo ein Doktor-Titel zählt“, sondern eben auch in der Bandbreite der gesamten ungelernten und qualifizierten Arbeit. Der Minister sieht – unterstützt durch die Erkenntnisse des Tages – gute Chancen, dass die Energieregion auch in Zukunft Energieregion bleiben werde. Weil die Infrastruktur, die für den Energietransport jetzt schon existiert, auch weiterhin genutzt werden könnte. Gleichzeitig hat er sehr wohl gehört, so formulierte Scholz es, dass es vor allem in der Infrastruktur, Stichwort ÖPNV, nachzubessern gilt.

Olaf Scholz beim Impulsvortrag im Technologiezentrum. Foto: tee

Nachdem über Tag vor allem der Austausch mit den „Machern“ des Strukturwandels vor Ort im Mittelpunkt stand – von Brainergy-Park über DLR bis zum Forschungszentrum – stand der Abend im Zeichen des Austauschs mit den betroffenen Menschen vor Ort. Hier warb Olaf Scholz in einem kurzen frei vorgetragenen Impulsvortrag bei seinen Genossen um Vertrauen und Mut für den Prozess. Viel Verständnis äußerte er für jene, denen es nicht schnell genug geht. Eindrucksvoll schilderte Scholz seine persönlichen Erfahrungen als Oberbürgermeister von Hamburg, wo er für die Einweihung eines Projektes gefeiert wurde, das nach 14 Jahren endlich umgesetzt wurde – und die Elbphilharmonie, die immer wieder nicht fertig wurde. Genau hier formuliert Minister Scholz die Erkenntnis, dass die Verfahren vereinfacht und abgekürzt werden müssten, dass Sichtbares schneller umgesetzt werden könne – um den Menschen Mut zu machen, dass der Strukturwandel gelingt. „Es gibt nur wenige Länder, die das können wie wir.“ Technisch durch den Förderalismus, der sich auch in der Vielfalt unternehmerischer Ideen darstelle, und weil – abgekürzt – Deutschland ein reiches Land ist. „Es ist richtig, viel Geld für Strukturwandel auszugeben“, sagte Olaf Scholz. Im europaweiten Vergleich würde in die Entwicklung und Forschung Deutschland die meisten Mittel investieren.

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40 Milliarden Euro sind für die nächsten Jahrzehnte im Topf. Dazu sollen jährlich „Verstärkungsmittel“ von 500.000 Millionen aus den Fachressorts kommen. Ein Sofortmaßnahmepaket ist bereits auf den Weg gebracht. All das klingt positiv. Gleichzeitig führte Olaf Scholz vor Augen, dass eben viele Projekte angesichts des beschleunigten Zeitplans noch „gar nicht erdacht“ worden seien. Daher werde gerade in der Anfangszeit die Summen nicht in der Höhe abgerufen werden können, wie sie im Haushalt geplant sind. „Wir müssen aber ja auch sehen, dass uns am Ende nicht die Luft ausgeht“, argumentiert Scholz für die perspektivische Planung.

Auch kritischen Stimmen stellte sich Minister Scholz. Foto: tee

Als ein Credo formulierte der Bundesminister: „Man soll schwierigen Argumenten nicht ausweichen“, und zeigte, dass das nicht Worthülsen waren. Denn natürlich gab es aus den Reihen der Genossen, die sich im anschließenden Austausch zu Wort meldeten, besorgte Arbeitnehmer und Gewerkschaftsvertreter mit ihren Anliegen. Sorge bereitet etwa dem DGB Kreisvorsitzenden Ludger Bentlage, ob in den Folgeunternehmen für die jetzigen Arbeitnehmer in der Braunkohle gute Tarifverträge gelten würden, und schilderte schon aus der Vergangenheit Probleme, in neuen Unternehmen Betriebsräte zu installieren. Ja, die Verfahren würden vereinfacht, bestätigte Scholz, der hier von seinen Erfahrungen als Arbeitsrechtsanwalt und juristischer Vertreter für Betriebsräte vor 1998, vor seiner Zeit als Berufspolitiker, berichtete. Nur weil es „schicke Technik“ in Arbeitsplätzen 4.0 gäbe, würden die gesetzlichen Bestimmung gelten – auch wenn das neue Unternehmen bestreiten würden.

Als SPD-Kreisvorsitzender betonte Max Dichant, dass der Bedarf an Flächen gedeckt werden müsse. Dafür müsse sich der Bund als Liegenschaftseigentümer einsetzen. Im Klartext geht es sowohl um landwirtschaftliche als auch gewerblich zu nutzende Flächen.

Als Bitte formulierte es Dirk Schumacher als Betriebsrat von RWE Power: „Es ist eine gesellschaftliche Frage, die wir diskutieren. Was wir als Betriebsräte festgestellt haben, dass wir die Kultur verlassen haben der Auseinandersetzung und, Kompromisse zu finden. Die Politik muss ein Korrektiv sein – über Zielkonflikte zu sprechen und sie auch anzusprechen. Das ist nicht nur die Aufgabe der SPD, sondern die aller Parteien. Was in Betrieben wahrgenommen wird, ist, dass nicht über das Machbare gesprochen wird, sondern es wird eine Monstranz des Visionären vor uns hergetragen – und hier verliert die SPD die Akzeptanz der Arbeitnehmer.“ Zweifel äußerte Heiner Geiß, pensionierter Physiker aus dem Forschungszentrum Jülich, dass der Energiebedarf nur durch regenerative Energie gewährleistet sein könne. Darum, so erwiderte Scholz, werde in der Übergangszeit ja auch auf Gas gesetzt. Aber: „Wie es gelingt, diese Frage haben wir auch der Bundesnetzagentur gestellt, darum ist die Frage richtig und wichtig.“

Marco Johnen wollte gerne wissen, wie es mit Finanzierungs-Zusagen aussehe: „Können Sie uns die Sorge nehmen, dass die Mittel in die Hand genommen werden, um neue Perspektiven zu schaffen?“ „Es bleibt dabei“, sagte Scholz klar und unprätentiös. „Ich bin überzeugt, dass man sich darauf verlassen kann.“ Im Kopf und im Herzen sei der Zweifel: „Das vermiest die Stimmung.“ Darum sei das Strukturstärkungsgesetz ein wichtiges sichtbares Zeichen.

Olaf Scholz. Foto: tee

Hermann Heuser, Bürgermeister von Niederzier, griff die Begrüßungsworte von Dietmar Nietan auf, der für Einigkeit für den ausgehandelten Kohlekompromiss warb. Er sprach mit Sorge von einer Spaltung der Gesellschaft zwischen den Klimawandelleugnern und jenen, die gerne ein kurzfristiges Ende des Braunkohleabbaus wollten, sprach: „Ich kann nur bitten, den Weg, den die Bundesregierung beschreitet, auf der Grundlage der Kohlekommission (eigentlich Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung) diesen enormen Konsens umzusetzen und auch nicht in Frage zu stellen.“ Zu Recht stünde die Frage im Raum, was wäre, wenn „Olaf Scholz nicht mehr Finanzminister ist, wenn wir eine andere Regierung bekommen? Was ist dann mit diesen Zusagen?“ Heuser machte sich zum Sprecher der 19 Bürgermeister der Tagebaurandkommunen und Kraftwerkstandorte, indem er fordert: „Es bedarf eines Staatsvertrages, damit wir auch die Sicherheit haben, dass unsere Projekte und Investitionen auch langfristig zu planen.“

„In einem Staatsvertrag, in dem drinsteht: Wir werden das Notwendige tun, ohne dass das Notwendige beschrieben wird, weil es erst erdacht werden muss, ist auch ziemlich leer“, gab Olaf Scholz zu bedenken. Darum sei der Gesetzesentwurf so wichtig. „Darum haben wir uns vorgenommen, dass wir die Vorschläge aus der Region an das Gesetz hinten dranheften.“ Zentral drehe sich alles um die Frage: „Wie kann man der Lage trauen?“ Er hält kurz inne, schmunzelt verschmitzt und sagt dann: „Wenn man das Richtige wählt, wird es leichter…“ Sehr zum Amüsement der Genossen, die ihrem Bundesfinanzminister mit Gelächter und Applaus Zustimmung zollten.


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