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Was ich noch sagen wollte…

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Die Kolumne aus Jülich | Grafik: Sebastian von Wrede
Gisas Kolumne | Grafik: Sebastian von Wrede
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Manchmal ist das ja so eine Sache mit der Freude – also mit der eigenen und der der anderen. Mit der, die man bereitet, und der, die man selber gemacht bekommt. Freude verdoppelt sich, wenn man sie teilt. Und wer dann noch selber Freude daran hat, anderen welche zu bescheren, kann sich sogar um ein Vielfaches mehr glücklich schätzen. Weihnachten ist wie keine andere die Zeit der Freude, des Schenkens und Geschenkebekommens. Als Kind des Ostens ist mir die Freude an Bananen und Apfelsinen zur Weihnachtszeit wohl in die Wiege gelegt worden. Doch im Gegensatz zu vielen anderen kann ich das Klischee vom nach Bananen und Apfelsinen in der Schlange stehenden Ossi persönlich nicht bestätigen. Wir hatten immer welche. Und das kam so: Besagter Wiege noch nicht einmal entwachsen, erfreute ich laut Überlieferung die Gemeinde bei meiner Taufe pünktlich zum ersten erlebten Weihnachtsfest mit Gesang während der Zeremonie. (Der weit verbreitete Reflex, unter der Dusche zu singen, hat bei mir also schon sehr zeitig eingesetzt.) Ob es dafür auch erstmals eine zu Babybrei zerquetschte Banane gab, entzieht sich meiner Kenntnis. Kaum konnte ich auf meinen kurzen Beinen stehen, erweiterte ich auch mein weihnachtliches Gesangs-Repertoire. Nun musste meine Mama, tätig in einem kirchlichen Krankenhaus, auch an den Feiertagen die dort verbliebenen Patienten behandeln. Da die Kinderkrippe geschlossen hatte, durfte ich Knirps mit. An der Decke der Krankenzimmer strahlte ein großer apfelsinenfarbener Weihnachtstern und ich stellte mich darunter auf ein Stühlchen und trällerte den Patienten „O Tannenbaum“ vor, derweil meine Mama sie massierte. Ich wurde an jedes einzelne Krankenbett gebeten, wo ich artig knickste und als Dank von den Weihnachtstellern der Patienten Apfelsinen und Bananen in die aufgehaltene Rockschürze gelegt bekam. Ob die Freude der Patienten über den Gesang größer war als die meiner Mutter über das Obst, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich so meine erste Lektion in „Freude haben durch Freude schenken“ bekam. Und auch, dass Vorfreude die schönste Freude ist, stimmt. Diese weitere Lektion habe ich mir  – ebenfalls als Kind zur Weihnachtszeit – selber erteilt, als ich die Spannung und Neugier vor dem Fest nicht aushielt und im Wohnzimmerschrank dem Schnüffeltrieb nicht widerstehen konnte. Entdeckt habe ich eine wunderschöne Taschenuhr an einer silbernen Kette. Die Vorfreude ließ mich kaum schlafen. Mit großen Augen öffnete ich am Heiligen Abend meine Geschenke. Mein Bruder neben mir seine… Seine Freude war groß über seine neue Taschenuhr. Allerdings definitiv nicht so groß wie meine tagelange Vorfreude. Mir stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Ein Geständnis war unumgänglich. Ich verteidigte mich mit der Behauptung, es hätte im Schrank so laut getickt, dass ich zur selbstlosen Rettung meiner Familie nachsehen musste, ob das nicht eine Zeitbombe sei. Statt Schimpfe über diese offensichtliche Lüge (nicht aufgezogene Uhren ticken nicht!) gab es herzliches Lachen. Und seitdem alle Jahre wieder, wenn es zu Weihnachten ans Auspacken der Geschenke geht. Manches bekomme ich vorher ans Ohr gehalten mit der Frage, ob ich mal hören wolle, ob es tickt. Ich freue mich von Herzen immer wieder darüber, dass wechselnde Erzähler und Zuhörer ihrerseits solche Freude daran haben. Eine Taschenuhr habe ich bis heute nicht. Die Vorfreude darauf bewahre ich mir gern. Alle Jahre wieder…

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Gisa Stein
Aus dem Herzen der Lutherstadt Wittenberg in die Herzogstadt gekommen und angekommen: "Wenn ich erlebe, dass Menschen weite Wege gehen, gar von anderen Kontinenten anreisen, um die Jülicher Zitadelle zu besichtigen, entwickle selbst ich als "Immi" eine gewissen Stolz..."

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