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Brückenschlag (2)

Dass Jülich fast zur Insel werden kann, wenn den Menschen in der Stadt die Überfahrmöglichkeiten über den Fluss genommen werden, war im wahrsten Sinne des Wortes vier Wochen lang erfahrbar. Erfahrbar durch Umwege. Große Erleichterung herrschte, als am 17. August die Rurbrücke für den Verkehr wieder offen stand. Ein Grund, einmal näher hinzugucken.

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Fotos: Volker Goebels
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„Alle Brücken in Jülich gehören mir!“, sagt Robert Helgers, Leiter des Tiefbauamtes mit Selbstbewusstsein in der Stimme. Er hat nachgezählt: Es sind 65. „Das sind außergewöhnlich viele für eine solche Stadt wie Jülich.“ Sie führen über Straßen, Mühlenteiche, Bäche und Flüsse in und um die Kernstadt. Unterschieden werden sie nach der Art ihrer Nutzung (Fußgänger- und Fahrradbrücke, für Autoverkehr oder Wirtschaftsverbindung), nach der Art ihres Materials (Holz, Beton, Stahl) und ihrer Konstruktion. Normalerweise werden Brücken, so erklärt der „Herr der Brücken“, alle drei bis sechs Jahre geprüft. Nach dem Hochwasserereignis im Juli stehen jedoch alle verbindenden Übergänge jetzt zur Sonderprüfung an. „Das ist wie das Zeugnis in der Schule“, erklärt Helgers, „daraus ergibt sich der Handlungsbedarf.“

Dringender Handlungsbedarf besteht an einer Brücke, die nicht in das „Hoheitsgebiet“ des städtischen Tiefbauamtes fällt: die Rurbrücke. Hier hat StraßenNRW das Sagen. Bei der Brückenprüfung im August wurde das Material im wahrsten Sinne „abgeklopft“: Schon der Klang verrät dem Fachmann, ob ein Hohlraum entstanden ist und ein Schaden vorliegen kann. Diese Stellen müssen freigelegt und gegebenenfalls neu verfüllt werden. Schadensverdacht liegt auch dann vor, wenn Betonteile durch den „Hammerschlag“ absplittern oder abblättern. Jede der über 1000 Nieten muss geprüft werden. Einige glänzen bereits durch Abwesenheit. „Einige Nieten sind entweder durch Rost oder Wasser verloren gegangen, aber eine Brücke kann auch bei geringen Verlusten gefahrlos benutzt werden“, teilte Torsten Gaber, Pressesprecher von StraßenNRW, mit. Das gilt nicht, wenn die Wiederlager, also das Mauerwerk, auf dem die Brücken am Ufer stehen, unterspült ist und Schaden genommen haben kann. Zu prüfen sind selbstredend auch die Brückenpfeiler und schließlich der Untergrund der Brücke – also die „Fahrbahn von unten“. Hier kam es zur unliebsamen Überraschung: Dort, wo das Wasser stand, so ergab die Prüfung, ist es zu Schäden im Beton gekommen. Die Folge: Das Urteil eines Statikers muss eingeholt werden. Handelt es sich um behebbare oder dauerhafte Schäden?

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Darum ist auf bislang unbekannte Zeit die Brückennutzung für Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen eingeschränkt. Verbots- und Umleitungsschilder am Kreisverkehr B55 weisen frühzeitig auf diese Einschränkung hin.

Die Zukunft der rund 75 Jahre alten Rurbrücke ist perspektivisch entschieden. „Wir planen schon den Neubau der Brücke“, teilt Torsten Gaber auf Nachfrage mit. Die heutige Rurbrücke entspricht nicht mehr den Standards, wie Gaber erläutert: „Aktuell gibt es keine richtigen Bürgersteige und keinen Radweg. Außerdem hat der Verkehr seit 1948 deutlich zugenommen.“ Entsprechend wird die 85,34 Meter lange Rurbrücke vermutlich in die Breite gehen und mehr als die derzeitigen 10,50 Meter messen.

Exkurs: Kleine Baugeschichte
Die heutige Rurbrücke liegt wohl in der Nähe der Stelle, an der schon die Römer eine Flussquerung anlegten. Der Grund: Hier ist der Weg über die Rur am schmalsten, es gab keine Steilufer und Fuhrwerke konnten an der „Furt“ den Fluss gut überqueren.
1793 wurde die damalige Holzbrücke bei der Verteidigung der Stadt abgebrannt, um die französischen Revolutionstruppen die Überqueren des Flusses unmöglich zu machen – vergeblich. Die Besatzer nahmen Jülich dennoch ein. Nach dem Friedensschluss 1801 startete die Neubefestigung der Stadt und in diesem Zuge wurde eine Schleusenbrücke mit 15 Toren gebaut, die im Bedarfsfall geschlossen werden konnten, um das Vorfeld der napoleonischen Festungsanlage zu fluten. Zur Umsetzung kam dieses Vorhaben allerdings nicht: Bei geschlossenen Toren war die Brücke zu schwach, um dem Wasserdruck standzuhalten. Zudem hätte ein Stau vor der Brücke die Defensionsgalerie der Festung überschwemmt, so dass diese hätte gar nicht mit Soldaten besetzt werden können.
Rund 100 Jahre hielt dieses Bauwerk dennoch: 1902 überstiegen die Reparaturkosten den Nutzen und 1903 entstand ein Neubau über vier steinernen Pfeilern mit drei steinernen Bögen. In diesem Zusammenhang kam der „Durchstich“ des Brückenkopfes und Öffnung der alten Römertrasse 1911. Die neue Brücke wurde zum beliebten Fotomotiv und Titelseite der „Rurblumen“, der Wochenendbeilage des Jülicher Kreisblattes.
Im 2. Weltkrieg wurde die Brücke stark beschädigt – unter anderem auch durch ein Hochwasser 1944. Und wieder einmal wurde eine Brücke aus Verteidigungszwecken zerstört – diesmal brannte sie nicht ab, sie wurde gesprengt. Auf diesen Ruinen errichteten die Amerika eine stählerne Notbrücke. Schon 1948 wurde auf Drängen der Alliiierten die heutige Brücke errichtet. Der Grund auch hier ein militärischer: Man wollte im „Kalten Krieg“ gewappnet sein und garantiert Kriegsmaterial an die Front bringen können. All das ist nachzulesen im Buch „Jülich gestern – Jülich heute“. Auch dieser Bau wird ab 2022 wohl Geschichte sein.

Mit etwa einem Jahr Bauzeit rechnet der Pressesprecher anhand der Erfahrungswerte von StraßenNRW für den Neubau inklusive vorherigem Abriss. „Dies hängt von der Bauweise und der Art der Brücke ab, die noch nicht festgelegt sind. Natürlich ist auch die Witterung während der Bauzeit ein entscheidender Faktor“, gibt Torsten Gaber zu bedenken. Eine Behelfsbrücke zur Entlastung ist nicht vorgesehen. Sie würde Spielraum für den Neubau der Brücke nehmen, und es würde zusätzlich Zeit kosten, sie zu errichten. „In der Zeit können wir mit dem Bau schon beginnen“, erläutert Gaber. Der Baubeginn könnte eventuell bereits im vierten Quartal 2022 sein.

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Dorothée Schenk
Freie Journalistin, Redakteurin (gelernt bei der Westdeutschen Zeitung in Neuss, Krefeld, Mönchengladbach) und Kunsthistorikerin (M.A. in Würzburg) Gebürtige Sauerländerin und Wahl-Jülicherin.

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