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Auszeit

Woraus besteht das Leben? Aus Zeit. Schon der amerikanische Erfinder, Politiker und Gründervater Benjamin Franklin soll gesagt haben: „Liebst Du das Leben? Dann vergeude keine Zeit, denn das ist der Stoff, aus dem das Leben besteht.“ Doch wann vergeudet man (seine) Zeit und wann eben nicht? Wann ist die Zeit, die man benutzt hat, sinnvoll angelegt?

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Grafik: Daniel Grasmeier
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Im mathematisch-wirtschaftlichen Sinn wäre dies, wenn sie noch mehr Zeit generiert. Aber wie lässt sich Zeit herstellen? Was wird dazu benötigt? Vielleicht, indem man dafür sorgt, dass andere Lebewesen entstehen, die jedes für sich noch mal etwas zusätzliche Zeitspannen mitbringen.

Wenn man sich einfach dafür etwas Zeit nimmt. Oder wenn man sich generell Zeit nimmt. Dann hat man doch auf einmal mehr Zeit. Aber woher nehmen und nicht stehlen. Doch, halt, wenn es Menschen gibt, die einem die Zeit stehlen, dann wäre dies doch jedem möglich. Auch mir. Und was macht man dann mit der ganzen gestohlenen Zeit? Dies ist aber irgendwie eine Milchmädchenrechnung. Denn auch wenn ich einer anderen Person Zeit stehle, habe ich doch nicht plötzlich mehr davon. Oder etwa doch? Ja, wo ist sie hin, wenn ich sie jemandem gestohlen habe?

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Aber andererseits: Wieso sollten Milchmädchen nicht doch rechnen können?

Im biologisch-physikalischen Sinn müsste vielleicht erst einmal geklärt werden, was anzustellen ist, um Zeit zu produzieren. Also: Wenn das Leben aus Zeit besteht, woraus besteht eigentlich die Zeit selbst?

Das zu klären, kostet garantiert Zeit. Viel Zeit. Dazu müsste ich wohl erst einmal eine Auszeit nehmen. Hach, eine Auszeit nehmen.

Früher klang das noch ziemlich herrlich. Plötzlich nicht mehr so sehr. Warum eigentlich? Vermutlich, weil es jetzt eher angesagt ist, Auszeit von der Auszeit zu nehmen. Um wieder richtig reinklotzen zu können.

Ich glaube, ich genehmige mir mal eine Auszeit… Es ist schon spannend, wie bestimmte Aussagen unter unterschiedlichen Bedingungen auch unterschiedliche Reaktionen hervorrufen.

Aber auch „früher“ klingt schon, als sei man selbst ziemlich alt. Wie ein Tattergreis, der seinen Kindern erzählt: „Ja, früher, da…“ So mit dem gewissen Zittern in der Stimme, das den Zeitraum von „früher“ irgendwo zwischen „als Du noch klein warst“ und „als meine Großeltern noch lebten“ ausdehnte. Dabei ist das „früher“ von jetzt lediglich ein paar Monate her.

Also „früher“ mussten viele Menschen nahezu genötigt werden, eine Auszeit zu nehmen. Wegen des „Burn-outs“, also aufgrund von Überarbeitung, zu viel Stress, zu großer Erwartungshaltung. Aber eigentlich: Man weiß es nicht genau, was die eigentlichen Gründe sind. Oh, mal „eigentlich“ im eigentlichen Sinne benutzt.

Wenn also irgendjemand äußerte: „Ich nehme mir jetzt eine Auszeit“, dann war die Reaktion häufig ein mitfühlendes Kopfnicken, während die eigene Arbeit auf einen herabstürzte, oder man gerade aus dem einen Urlaub kam und bereits den nächsten plante, weil die aufgestauten (virtuellen) Ordner sich dermaßen auf dem (mehr oder weniger virtuellen) Schreibtisch türmten, dass jeglicher Erholungseffekt von jetzt auf gleich verflogen war.

Heutzutage ist da nur ein ungläubiges Staunen, womöglich gar nur ein Schulterzucken. Denn im Moment macht hingegen das Problem des „Bore-outs“ die Runde. Also die psychische Belastung, nichts tun zu können. Auch wenn es der Sache nicht gerecht wird, kommt mir die hübsche Geschichte von einer befreundeten Mutter in den Sinn, deren Tochter sie einmal um Hilfe bat, weil sie (also die Tochter) Langweile habe und nicht wüsste, was sie tun sollte. Die Mutter riet ihr, sich das Gefühl genau zu merken und zu verinnerlichen, damit die Tochter es später wieder in Erinnerung rufen können, wenn die Arbeit (und damit womöglich die ganze Welt) über sie hereinbreche. „Ich hätte so gern Langeweile.“

Dass die Zeit immer schneller vergeht, wenn man etwas zu tun hat, als wenn man auf etwas wartet, ist mehr als bekannt. Nicht umsonst lautet der Rat oder veranlasst der Drang, nach Umbrüchen im Leben durch Trennung oder Tod sich in die Arbeit zu stürzen, um Trauerbewältigung zu betreiben. Als Engagement für das Vergessen. Quasi.

Und woher kommt es, dass man sich zum Schluss des Lebens häufig noch etwas mehr Zeit wünscht, um nicht erledigte Dinge noch unter Dach und Fach zu bekommen? Gibt es dafür nicht genügend Raum und Gelegenheiten vorher?

Aber dafür gibt es ja schon zu Lebzeiten besagte legendäre Auszeit.

Übrigens: Wird eigentlich niemand mehr krank? Also, grippemäßig. Früher gab es alle naslang irgendjemand, den „es erwischt hat“. „Ich habe Magen-Darm.“ Ja, klar, jeder hat einen Magen und einen Darm. Und einen Rücken. Aber in dem Bereich leidet derzeit offenbar niemand mehr. Das wäre doch mal interessant für eine Untersuchung. Statistisch gesehen. Vielleicht hat Corona ja auch gesundheitlich einen positiven Aspekt. Na ja, das wäre jetzt etwas hoch gegriffen.

Also: Ich genehmige mir eine Auszeit…

Interessiert dies überhaupt jemanden?

Auszeit: Die gibt es im Sport, wenn das Spiel für eine bestimmte Zeit unterbrochen wird, um sich neue Strategien zu überlegen. Dann wird die Uhr gestoppt, die Mannschaften bewegen sich also sozusagen im zeitlosen Raum.

Zeitloser Raum, eine wunderbare Vorstellung. Im wirklichen Leben gibt es einen solchen höchstens am Rand oder in der Nähe von schwarzen Löchern, und selbst hier ist höchst umstritten, was dort überhaupt mit der Zeit passiert. Wissenschaftler haben dazu völlig unterschiedliche, teils höchst interessante Theorien. Stephen Hawking konnte darüber stundenlang referieren. Schließlich lautet sein wohl bekanntestes populärwissenschaftliches Buch „A brief History of Time“, zu deutsch „Eine kurze Geschichte der Zeit“.

Sein (Fast-)Namensvetter Stephen King hatte wiederum seine ganz eigene Vorstellung von Zeit und Auszeit wie in der verfilmten Geschichte von den „Langoliers“. Dort ist die Zeit strikt linear, nur die Gegenwart real. Daher könne niemand in die Vergangenheit oder die Zukunft reisen, einfach weil es dann keine Menschen oder irgendwelche anderen Lebewesen gibt.

Dabei ist die Zeit gar keine Linie, die immer nur geradeaus führt. So oder ähnlich hat es zumindest Albert Einstein gesehen. Um zu erreichen, dass die Zeit sich verlangsamt, brauche man sich nur immer weiter der Lichtgeschwindigkeit zu nähern. Schließlich sei Zeit keine Konstante, sondern veränderbar. Gleiches gilt für den Raum. Die Lichtgeschwindigkeit hingegen ist absolut, also immer gleich schnell. So oder ähnlich lautet die Relativitätstheorie. Geschwindigkeit ist gleich Strecke durch Zeit.

Profunde Erkenntnisse. Aber die Zeit macht bekanntlich nur vor dem Teufel halt. Den der wird niemals alt, die Küche nicht kalt. So endet selbst die schönste Auszeit irgendwann für alle Beteiligten.

Gleiches gilt hoffentlich in baldiger Zukunft auch für die erzwungene Auszeit Dank des Strahlenkranzes, der über der ganzen Welt liegt: der Corona. Genau, „Corona“ bedeutet im Lateinischen so viel wie „Kranz“. Damit wurde bei den alten Römern beispielsweise der Lorbeerkranz bezeichnet. In der Theologie gibt es den Märtyrerkrone („martyrii corona“) sowie den Heiligenschein („corona radiata“). Auch die Sonne hat natürlich eine Korona. Also eigentlich etwas sehr Positives.

„Corona“ und „positiv“: Na, das ergibt ja wohl eine prima Assoziationskette und somit reichlich Raum für Spekulationen. Das lassen wir mal schön bleiben.

Und der der griechische Begriff für „Corona“, also „Kranz“ oder „Krone“? Ja, Ackermann? Nein? Setzen, sechs. Pfeiffer? Richtig: Stephanos. Wer hätte das gedacht? Da freuen sich doch jetzt alle Stefans und Steffis (und natürlich auch Stephens), dass sich über sie so prima Scherze anstellen lassen. Leuchtende Vorbilder? Aber das ist nicht mein Bier. Auch hier gehen wir mal schleunigst weiter.

So, genug Zeit gestohlen.

Ich glaube, jetzt genehmige ich mir eine Auszeit. Kann ich das überhaupt? So mit Siegel und Stempel? Muss ich die nicht von jemand anderem genehmigen lassen? Hmm, mal die Chefin fragen.

Jetzt wird es. Zeit. Aus.


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