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„Die Pest ist es, die uns entzweit“

Ein Rückblick auf Seuchen in Zeiten des Corona-Virus

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Der heilige Rochus von Montpellier, 1520, Foto: Peter Jülich
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„Die Pest ist es, die uns entzweit. Sie trennt die sich liebenden und beraubt uns der Frucht unserer Jahre.“ So heißt es in Albert Camus Theaterstück „Der Belagerungszustand“ (L’état de siège, 1948). Es ist weit weniger bekannt als sein Roman „Die Pest“ von 1947. Dabei wurde es im Nachkriegsdeutschland relativ häufig aufgeführt. Die parabelhafte Handlung verleitete dazu, die Pest politisch als Manifestation des Nationalsozialismus darzustellen. Camus ging es aber weniger um aktuelle Zeitbezüge, als um die Darstellung allgemeingültiger menschlicher Reaktionen auf eine existenzielle Bedrohung.

Die Corona-Krise unserer Tage hat die Gefahr von Krankheiten mit epidemischen Verlauf für die Menschheit wieder aktuell werden lassen. Für uns eine weitgehend ungewohnte Erfahrung, die wir theoretisch reflektieren konnten, deren praktisches Erleben aber den Ernstfall voraussetzt. Dieser ist nun eingetreten. Er erinnert uns daran, dass die Menschheit über Jahrtausende hinweg Krankheitswellen verschiedenster Art ausgesetzt war, die sich beschreiben, vielleicht mitunter auch lindern, aber nicht heilen ließen. Zur latenten Gefahr, die von Grippewellen ausgeht, sei folgender Hinweis gestattet: In der Bundesrepublik Deutschland gab es 1957/1958 und 1968/1969 jeweils durch Grippewellen einen Krankenstand, der teilweise das öffentliche Leben lahmlegte und viele Tote kostete (20.000–30.000 bzw. 40.000). Überlegungen zu einem „Lockdown“ gab es damals nicht. Er ergab sich teilweise zwangsläufig aus dem Umstand, dass so viele Menschen krank waren, dass in einigen Ruhrgebietsstädten beispielsweise die Schulen geschlossen werden mussten. Die öffentliche Wahrnehmung dieser Ereignisse in der Presse tendierte gegen Null. Waren die Erfahrungen von Tod und Verderben aus zwei Weltkriegen noch so nahe, dass man die Ausnahmesituation als solche gar nicht wahrnahm?

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Der Erste Weltkrieg hinterließ nicht nur eine seelisch und körperlich geschundene Welt, sondern mit der sogenannten Spanischen Grippe eine Epidemie mit aus heutiger Sicht unvorstellbaren Opferzahlen von geschätzten 27 bis 50 Millionen Toten. Den Namen erhielt die Influenza dadurch, dass über sie das erste Mal in der spanischen Presse berichtet wurde. Für Jülich liegen keine genauen Erkenntnisse vor, wie sich hier die Spanische Grippe ausgewirkt hat. Im Gedächtnis der Jülicher ist sie aber nicht haften geblieben. Kommen wir aber auf die „Geißel der Menschheit“ schlechthin zurück: die Pest. In den Zeiten des epidemischen Auftretens der Pest vom 14. bis 18. Jahrhundert in Europa – die Krankheit selber ist viel älter und lässt sich schon bei jungsteinzeitlichen Bauern nachweisen – wurde das Bakterium durch Ratten beziehungsweise Flöhe übertragen. Auch für Jülich sind zahlreiche Pestwellen dokumentiert, wobei nicht immer klar ist, ob es sich wirklich jeweils um die durch das Bakterium „Yersinia pestis“ ausgelöste Krankheit handelt. Alle Formen epidemisch auftretender Krankheiten wurden nämlich als „Pest“ bezeichnet. Im späten 16. Jahrhundert errichtete die Stadt Jülich mit Unterstützung des Landesherrn ein Fachwerkbau als Pesthaus vor den Toren der Stadt im Bereich hinter dem heutigen Schwanenteich, um die Kranken unter Quarantäne stellen zu können. Neben Räumen für das Kranken- bzw. Sterbelager gab es hier auch eine Kapelle. Bei der Belagerung Jülichs im Jahr 1610 wurde das Pesthaus bereits zerstört und nicht wiederaufgebaut. In Jülich erinnert an die Pest noch das Rochus-Patrozinium der Kirche im Heckfeld, ist doch der Hl. Rochus von Montpellier der Schutzpatron gegen die Pest.

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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