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Mut | Wut

Ein kurzer, knackiger Titelreim. Auch wenn er etwas Grunziges hat: Watt mutt, dat wutt? Etwas hochdeutscher gefragt:

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Illustration: Sopio Kiknavelidze
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Geht es um Mut zur Wut oder Wut macht Mut? So wie sich die derzeitige Sprachlage nicht nur im Internet darstellt, lehne ich beide Versionen ab. Weil für mich diese Kombination nicht passt – weder die eine noch die andere.

Es treffen da zwei Begriffe aufeinander, die nichts miteinander zu tun haben und schon gar nicht haben sollten, sofern man einigermaßen vernunftbegabt ist. Denn dann wird man erfahren haben, dass Wut ein schlechter Lebens- und Entscheidungsberater ist. Wütend waren und sind wir sicherlich alle gelegentlich – doch hat das in den entsprechenden Situationen uns oder andere weiter oder nur weiter aufgebracht? Wer jetzt schon aufgebracht Ja! sagt, braucht nicht, aber sollte weiterlesen.

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Jegliche über ein kontrollierbares Maß gärende oder kochende Emotion „schädigt Sie, Ihr Denken und Ihre Umgebung erheblich“ – sollte neben anderem auf dem Lebensbeipackzettel stehen. Den kriegen wir aber leider nicht, sondern Tauf-, Konfirmations- / Kommunions-, Hochzeits- und sonstige Sprüche, die meist so banal sind wie unser Umgang mit ihnen: schöön, daanke! – und schoon vergessen. So sinnvoll manche auch gewesen sein mögen in ihren Hinweisen auf Glaube, Liebe, Hoffnung. Ja, selbst dieses wunderbar-wunderliche Gefühl der Liebe trübt bis eliminiert unseren vielleicht wirklich vorhandenen Verstand. Und verwandelt sich. Bei manchen zu angenehmer, bei anderen zu immer übler werdender Gewohnheit und kippt bei letzterer zu Unerträglichkeit. Gebiert erst Unstimmigkeiten, dann Ärger und schaukelt sich in gegenseitig anwachsendem Unverständnis gegebenenfalls sogar zu Wut auf. Warum macht der / die nicht (mehr) das, was wir wollten? Wir? Wollten? Oder wünschten? Oder einfach nur erwarteten?

Ein Schema, das sich auf der persönlichen Ebene seit Jahrtausenden durchzieht, die Jahrtausende durchzieht. Und ins Gesellschaftliche verlagert und verlängert. Deswegen läuft es auf die Politik bezogen anscheinend auch nicht anders. Man favorisiert, selbst wenn man sich für Genaueres wie ihr Programm nicht sonderlich interessiert, eine Partei oder zumindest ihre vermeintliche Richtung, gewöhnt sich an sie. Und dann macht die auf einmal Dinge, die einem nicht passen. Eine Zeitlang sieht man darüber hinweg. Dann meckert man rum, was natürlich nichts ändert, geschweige denn verbessert – bis einem der Kragen platzt. Dann nehme ich mir halt eine andere! Und so wird aus dem zunächst nur Ärger-Bürger ein Wut-Wähler, der nicht wirklich wählt, sondern die neue nur nimmt, um der alten eins auszuwischen. Dass die neue schlimmer ist als die alte – wurschtegal. Die alte hat mich enttäuscht, kann die neue nur besser sein. Da gibt es keine Gegenargumente, die nehme ich jetzt! So erscheint mir das mehr als ein Viertel unserer Bevölkerung derzeit bestimmende Verhalten. Es wird nicht mehr nur auf hohem Niveau gejammert, sondern auf niederem reagiert. Ängste, an deren Ursachen jeder von uns eifrig beteiligt ist (Jaja, der blöde Klimawandel, den mache ich doch nicht! Und laut AfD gibt‘s den gar nicht, na also!) bilden ihre immerhin gefühlte Hilflosigkeit in Wut um. Endlich wieder ein starkes Gefühl, dem man hemmungslos freien Lauf lassen kann.

Wie gesagt, Wut ist ein schlechter Berater.

Und: Wo bleibt der Mut? Verunglimpfungen und Hassbotschaften zu versenden, dafür braucht man in Deutschland keinen, selbst wenn man glaubt, sich damit „den Mächtigen“ entgegenzustellen. Da empfehle ich andere Staaten, da würde derartiges Mütchen schnell gekühlt.

Nein, ich meine den Mut, sich unbequemen Herausforderungen zu stellen, auch den eigenen Ängsten, und (wer hat‘s sinngemäß so gesagt?) „wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, nicht ihn bedienen zu lassen von einer Gleichgesinntenblase. Mut ist nicht der des Helden, der vorwärtsstürmend für Volk und Vaterland nur zufällig nicht erschossen wurde. Sondern der derer, die sich gegen solche „Helden“ dafür einsetzen, dass diese in ihrem verblendeten Tatendrang keine werden. Wir sollten nicht nur, wir müssen diesen Mut aufbringen. Wir haben einen Krieg vor der Haustür, auch die im Vorgarten sollten wir in unserer Globalisierung nicht unterschätzen. Und müssen deshalb die, die auch uns derzeit gegen einen größenwahnsinnigen Kleinzar verteidigen, unterstützen; sonst steht der bald im Flur und dann nicht mehr im Fernsehen, sondern vor unserem Bildschirm. Das kostet jetzt Geld – doch später mehr, nicht nur Geld. Und dann all diese Gleichgültigen, Kleinmütigen, denen nichts anderes einfällt als ihr nächstes Auto, ihr nächster Urlaub. Da darf nichts weniger werden, obwohl es in vielerlei Hinsicht schon zu groß, zu viel ist.

Was war letzten Winter – schon vergessen? Die Gasspeicher… Ogott! Wir sind durchgekommen dank vernünftiger Regelungen, und nun sind die Speicher wieder voll – wer hat auch dafür gesorgt? Eine völlig unfähige Regierung, die aus vorherigen Versäumnissen und Fehleinschätzungen einer anderen immerhin den von interessierter Seite immer noch propagierten Zusammenbruch verhindert hat.

Also bitte: Mut – kein nettes: „Wir schaffen das!“, sondern ein vernünftiges „Wir können das schaffen, aber nur gemeinsam.“

Und nur ohne Wut, sondern mit Verstand und Engagement, mit Verständnis und Toleranz. Die sollte allerdings nicht über Gebühr und Vernunft Verständnislose und Intolerante einbeziehen, sondern so ausschließen, wie diese uns. Solange wir noch die Mehrheit sind. Auch dazu ist nötig: Mut.


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