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Strahlende Aussichten

Strahlende Gesichter im Anblick des Weihnachtsbaums. Die berühmten leuchtenden Augen im Widerschein der brennenden, vielleicht auch elektrischen Kerzen. Ein jedes Jahr wiederkehrendes Phänomen angesichts einer als typisch deutsch angesehener Kultur.

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Grafik: Daniel Grasmeier
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„Leitkultur“ war vor ein paar Jahren ein von der einen Seite vielbenutztes, von der anderen ein viel gescholtenes Wort. Brauchen die Deutschen eine eigene Kultur, und falls ja, was ist das überhaupt: eine deutsche Kultur? Schwierig zu beantworten, aber das Weihnachtsfest dürfte mit hundertprozentiger Sicherheit dazuzugehören. So rein gefühlsmäßig. Es besitzt genügend Strahlkraft, um die Herzen mehr oder weniger aller Bundesbürger zu erwärmen. Wenn auch nur eine kurze Adventszeit lang.

Bereits im Urchristentum soll es Krippendarstellungen basierend auf Lukas und Matthäus gegeben haben, wenn auch zunächst noch ohne Maria und Josef. Und von Franz von Assisi wird erzählt, dass er das Weihnachtsgeschehen bereits mit lebenden Menschen und Tieren nachgestellt haben soll. Die ersten Krippen, wie wir sie kennen, sind offenbar dann 1562 in Prag und 1607 in München aufgestellt worden und fanden kurz darauf viele Nachahmer.

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Wie schade wäre es da, wenn diese, wie ich finde, hübsche Tradition nach all den Jahrhunderten einfach wegfiele, und die von umsatzträchtigen Versandhäusern gekauften Geschenke mehr oder weniger liebevoll unter den mehr oder weniger aus Plastik bestehenden Weihnachtsbäumen überreicht werden, ohne dass abendliche Heiligkeit außer als Wortbestandteil noch irgendeine Bewandtnis hätte.

Dann hätte der Weihnachtsmann in seinem ureigensten Sinne als Botschafter einer klebrig-süßen Limonadenindustrie sein hehres Ziel erreicht. Kommerz as Kommerz can. Der Kommerz um des Kommerzes willen. Eben the Kommerz Side of Life.

Übrigens: Auch wenn der Weihnachtsbaum nicht der christlichen Gesellschaft entspringt, hat er zumindest Wurzeln in vielen unterschiedlichen Kulturen und wird bereits im 15. Jahrhundert erwähnt. Und in seinen „Leiden des jungen Werthers“ lässt Goethe seinen Antihelden am Sonntag vor Weihnachten vom aufgeputzten Baum im Haus seiner Angebeteten schwärmen. Mehr deutsche Kultur geht kaum. Da trauen sich sogar aufgeklärte Germanisten, ein Strahlen im Lichterschein zu offenbaren.

Apropos Krippendarstellungen: Als ich hörte, dass die Weihnachtskrippe in Rassismusverdacht gekommen sei, und dies revidiert werden sollte, entsprang sich mir wie eine Rose der Gedanke: Ach, wird jetzt Jesus dunkelhäutig dargestellt? Immerhin wird dessen ureigenstes Aussehen kaum dem hellhäutigen und womöglich blond blauäugigen Schema entsprochen haben, wie es hierzulande häufig interpretiert wird.

Was wiederum auch seinen Sinn hat. So ist der Identifikationsfaktor wesentlich größer, wenn die Figur so aussieht wie Menschen, die man tagtäglich um sich hat. Daher existieren ungezählte Versionen von Jesus Christus, die sich in Darstellung und Aussehen teils krass voneinander unterscheiden und der jeweiligen Kultur angepasst sind.

Aber es wurde schnell klar, dass es sich nicht um das Jesuskind handelt, das übrigens bereits ziemlich früh in Krippendarstellungen vorkam, sondern um eine Gruppe mit fast ähnlich langer Tradition. Nein, um Maria und Josef handelt es sich nicht, die sind wie bereits gesagt erst viel später dazugekommen.

Hier geht es um Kaspar, Melchior und Balthasar. Obwohl Erst- und Letztgenannte bislang weiterhin ziemlich unbedenklich erscheinen, hat es doch den Mittleren getroffen. Was hat der schwarze Mann nur angestellt, dass er ins Aus gestellt werden soll?

Wie es so meine Art ist, wollte ich erst einmal recherchieren, ob nicht eine begründete Absicht dahintersteckt, ehe ich mich zu Unrecht aufrege. Laut Zeitungsnachrichten gehe es um „klischeehafte oder diskriminierende Darstellungen der Heiligen Drei Könige in Weihnachtskrippen“, die nach Einschätzung der katholischen Kirche ersetzt werden sollten. Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, setzt sich offenbar für Darstellungen ein, “in denen dunkelhäutige Menschen sich wiedererkennen können”.

Faktisch geht es um die Holzfigur des Melchior in der Weihnachtskrippe der evangelischen Münstergemeinde in Ulm, die 1920 von einem ansässigen Holzbildhauer geschnitzt worden ist. Dieser hat übrigens die gesamte Krippe produziert.

Um mir selbst ein Bild davon zu machen, schaue ich mir Abbildungen davon im Internet an. Okay, die Entscheidung ist zugegebenermaßen nachvollziehbar. Mit seinen schwülstigen Lippen, den großen runden Creole-Ohrringen und der blauen und der roten Feder an der Krone besitzt er typische Eigenschaften eines rassistisch geprägten Klischees über die Bewohner Afrikas. Was einerseits für 1920 wohl auch typisch war.

Und andererseits soll es ja auch eben einen Bewohner Afrikas darstellen, um die Bedeutung der Geburt Jesu für die ganze Welt hervorzuheben. Denn die drei Spontangäste, die dem Neuankömmling huldigten, stellten Vertreter der Menschen aus den Teilen der damals bekannten Welt dar. Eben ein hellhäutiger Europäer, ein dunkelhäutiger Afrikaner und ein Asiat, der von der Hautfarbe her eher dem Erstgenannte glich, weil früher besagter Kulturkreis eher von arabischen Menschen vertreten wurden, da der Kontakt zu Indern, Japanern oder Chinesen eher spärlich ausfiel.

Und hey, bei allem Rassismus ging es bei den Huldigern nicht um irgendwelche dahergelaufene, womöglich flüchtige und unterdrückte Sklaven, sondern um Könige. Dies waren renommierte Personen hohen Rangs, deren bloße Anwesenheit und demütige Haltung den hohen künftigen Rang des kleinen Wesen in der Welt demonstrieren sollen. Und zwar gegenüber einem Wesen, das noch keine Möglichkeit hatte, irgendeine Lebensleistung vorzuweisen, oder dessen Geburtsort irgendeine gehobene Stellung einer herrschenden Dynastie verriet. Immerhin geht es dabei um nichts anderes als den Heiland.

Wie sollen Menschen aussehen, die dem Heiland huldigen? Und wie sollten sie nicht aussehen? Ist es richtig, dass wir über Menschen urteilen, die ein ganz bestimmtes Bild von Menschen im Kopf haben und dabei arg vom damaligen Zeitgeist inspiriert wurden? Wie werden wohl andere Menschen uns beurteilen, die wir bestimmte Bilder von Menschen im Kopf haben und dabei vom jetzigen Zeitgeist inspiriert werden?

Ist es richtig, dass wir in einem diffusen vorauseilenden Gehorsam Entscheidungen treffen, um vorgeblich anderen Menschen gerecht zu werden und dabei doch unseren eigenen Willen und unsere Vorstellungen durchsetzen auch über die Köpfe und Vorstellungen anderer hinweg? Dass wir sogar soweit gehen, dass wir andere Vorstellungen zensieren? Denn etwas anderes ist es nicht. Mit Zensur sollte wie mit anderen restriktiven Vorhaben in einer Demokratie äußerst vorsichtig umgegangen werden.

Und jeder Fall sollte für sich gesehen und beurteilt werden. Das ist mühsam und zeitaufwändig, aber es sollte immer noch der Grundsatz gelten: in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Die Unschuldsvermutung ist anzuwenden und die Schuld nachzuweisen. Nicht andersherum.

Wer meint, dies sei unrealistisch oder ungerecht, dem sei dagegengehalten, dass diese Voraussetzung sogar noch recht drastisch und hart ist. Immerhin gibt es auch andere Thesen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Oder: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Oder: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Und zwar ohne jegliche Vorbedingung unsererseits.

Demut ist immer noch eine der unterschätztesten Tugenden. Aber ich finde es sinnvoll, dass wir immer wieder daran erinnert werden. Und auch daran, wofür Jesus Christus geboren und gestorben ist. Zumindest einmal im Jahr. Damit wir nicht immer hadern mit dem, das wir nicht haben, oder dem, wie es hätte sein können, sondern zufrieden mit dem, was wir haben, und mit denen, die um uns sind. Wäre dies nicht ein schöner und unter anderem auch deutscher Kulturwert, den es sich lohnt, in die Welt hinaus zu tragen?

Und dass wir uns einfach auch darüber freuen, was uns andere Menschen und ihre Kulturen schenken so wie Kaspar, Balthasar und Melchior. Denn das Miteinander ist ein Nehmen und Geben. Und zwar ohne dass das Eine gegen das Andere aufgewogen wird. Damit der Gedanke und das Bemühen im Mittelpunkt stehen und nicht das Geschenk. Und wenn dies noch ginge, dann nicht nur an diesem einen Tag, sondern an allen.

Damit der Heilige Abend ein völkerverbindendes Ereignis sei, an dem sich die Menschen ohne, Mißgunst, Neid, Habgier oder gar Hass begegnen. Halt Frieden auf Erden. Hach, wäre das schön: ein richtig fetter Frieden…

In diesem Sinn: ein strahlendes Weihnachtsfest!


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