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Abspecken

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Foto: RyanMcGuire/ pixabay
Foto: RyanMcGuire/ pixabay
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Karneval ist vorüber, carne vale, lebe wohl, Fleisch, Muskelgruppen strafft euch, Körperlängen reckt euch, Fettpolster adieu. Fastenzeit. Vorbei das süße Leben. Darf ich im Karneval auch als Pummelchen süß sein, als Taschenformat Obelix bei gleicher Breitenwirkung auf halber Höhe oder als flauschige, schwarz-gelb getupfte Hummel mit kurzen Flügeln und langen Wimpern, aus der Spaß, jetzt wird es wieder ernst.

Das Regiment des Body-Maß-Index beginnt. Formen hat es ja immer gegeben, z.B. die des Anstands. Wir 68er hatten sie gegen die des Aufstands getauscht und das heutige in Form sein ist so etwas wie die Form als Inhalt. Design oder nicht sein… mahnten uns früher Kruzifixe daran, die Seele in Form zu halten, so sind es heute piktografische Turner und Jogger, die auf Anhöhen, Kreuzwegen und unter Linden das in Form sein fordern. Früher half einem beim Abspecken wenigstens das Rauchen, aber das darf man ja auch nicht mehr.

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Parallel zur Form als Inhalt ist die möglichst größte Menge davon das zweite Kriterium. Wo man die Form mit der möglichst größten Menge multipliziert, um den Idealzustand zu erreichen,  da wird die  Größe an sich zum zweiten Parameter. In der Mobilitätsgesellschaft zeigt sich das an der ständig wachsenden Flotte von Großraumlimousinen. Als die uneingeschränkten Herrscher der linken Spur der Autobahnen, wird ihnen eine Begegnung mit ihresgleichen in Innenstädten zum Problem: einer müsste weichen. Der Fuchs des Äsop hat sich wieder einmal überfressen. Er passt  nicht mehr durch den Spalt in der Küchenwand, durch den er hereinkam und es naht der Koch mit dem Beil. Natürlich steht auch die körperliche Größe hoch im Kurs, da freuen sich die Orthopäden, aber die nehmen das Skalpell. Also abspecken.

Die Welt der Dinge ist in ihrer Substanz Physik und Chemie. Es kümmert sie also nicht, wenn eine anerkannte Kapazität wie meinetwegen Isaac Newton bei der Berechnung von planetarischen Umlaufbahnen Fehler macht. Ihr Kurs bleibt stabil und hundert Jahre später entdeckt man den Fehler und korrigiert ihn. Errechnet aber ein Volkswirt exorbitante Gewinne oder stellt eine Berühmtheit den neusten Look vor oder ein Guru einen neuen Erlösungspfad, dann gibt das einen Trend.  Mit anderen Worten, die menschlichen Umlaufbahnen knicken ein.

„Aufgepost“ lautete der alberne Slogan, mit dem sich die Deutsche Bundespost als Telekom und Aktienunternehmen an der Börse aufstellte. In den Werbekampagnen warben smarte Mitvierziger in ergonomisch optimierten Schreibtischstühlen und philosophierten, dass man da unbedingt dabei sein müsse. Und da man nicht nur schlank und fit sondern auch clever zu sein hat, wurde der Sog gewaltig. Der Run auf die Aktie begann und endete als Flop, zumindest für die Aktionäre. Die Aktie speckte ab, brach ein und erreichte erst 5 Jahre später wieder knapp den Ausgabepreis.

Du und ich sind eben nicht in erster Linie Physik und Chemie, unsere Umlaufbahnen sind extrem labil und mehr von der Psychologie, von Wort und Suggestion bestimmt. Wer nicht in ist, der ist out, ein Zustand, der für eine als Gruppenwesen angelegte Spezies extrem mit Angst besetzt ist. Jeder sucht sich auf die angesagten Plätze zu retten, dort klumpt es sich dann: Stau und Überfüllung im gesamten Mittelfeld. Die Abgehängten halten sich schamvoll im Dunklen oder punkten wie Klaus Wowereit mit flotten Sprüchen: arm aber sexy. So etwas hat das Zeug zum Trend.

Natürlich lassen sich alle höheren Organismen konditionieren, aber schon bei Schlittenhunden soll das mit erheblichem Aufwand verbunden sein und kein Hund geht dazu über, seine Jungen selbst für den Schlitten zu erziehen. Beim Sapiens hingegen heißt es, wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen.

Wieso heißen eigentlich die Einkünfte von Abgeordneten Diäten? Ein Blick in den Plenarsaal lässt da wenig Diätisches erblicken. Die Bezeichnung Diät kommt von griechisch díaita und wurde ursprünglich im Sinne von „Lebensführung“/„Lebensweise“ verwendet. Die Diäten sind hier also keine Reduktionskost, sondern sollen einer angemessenen Lebensführung dienen. Aber was ist angemessen? Der Blick in die Kulturgeschichte zeigt da sehr uneinheitliche Tendenzen.

„Nichts im Übermaß“ stand in eine Säule des Tempels von Delphi gemeißelt zu lesen, aber bei Retsina und Schafskäse ist das ja auch kein Kunststück. Für uns von den Auslagen Gepeinigten heißt das maßvoll schlemmen, aber das ist natürlich ein Widerspruch in sich.

In der Kunst ist das Stillleben ein durchgängiges Genre, Hummer und Austern liegen neben Limonen und Trauben, Likörweine und Gebäck zeigten die Fülle der Welt, die meist nur den Bessergestellten ein Begriff war. Der Rest war froh mit Getreidebrei, aber immerhin wurden ihnen auch die Gemälde vorenthalten. Aber auch auf denen schleicht sich bald das Vergängliche ein, eine Schmeißfliege sitzt auf der Auster, Küchenschaben nagen am Obst. Da ist es nicht mehr weit bis zu Totenkopf und Fastenzeit.

Die Fastenmonate Februar und März waren ursprünglich die Monate, an denen die Wintervorräte verbraucht und so rasch nichts Neues in Aussicht war. Da war gut fasten. Kein Tier bekommt in diesen Monaten seine Jungen, aber der Mensch deckt sich rund um das Jahr mit Nachwuchs ein. Dazu kommt, dass im März der Bauer die Rösslein einspannt, Pflügen, Eggen, Aussaat. Fastenzeit ist Schwerarbeit. Vermutlich hätte eine auf Ethik gerichtete Fastenzeit andere Monate gewählt und in einem fränkischen Landgasthof erfuhr ich beim Obstwasser, dass das Märzenbier nicht nur stark im Alkoholgehalt ist. Es enthält vor allem die Kalorien, die man zur Feldarbeit braucht.

Fasten, das ist etwas anderes als Diät. Diät ist Schonkost, der Magen sauer, die Leber geschwollen, die Galle versteint- man rät zur Diät… Fasten dagegen ist eine Einübung des Verzichts und verhält sich zur Diät wie die Gymnastik zum Rollstuhl. Angesichts heutzutage jederzeit verfügbarer Köstlichkeiten eine echte Charakterbildung. Also Stoßseufzer zum Himmel und ran an den Speck. Aber nur wenn´s der eigene ist.

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Dieter Laue
Dieter ist hauptberuflich Künstler. Laue malt seine Bilder nicht, sondern er komponiert und improvisiert wie ein Jazzmusiker. Sein freier Gedankenfluss bring die Leser an die verschiedensten Orte der Kunstgeschichte(n). Er lässt Bilder entstehen, wo vorher keine waren. In Bild und Schrift.

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