Milan stand auf. Das wars. Nach einer 20-Stunden-Schicht und der soeben erhaltenen Kündigung verließ er das Büro des Konzertveranstalters Becker. Weihnachten stand vor der Tür und er vor dem Nichts. Die Sonne ging auf und er fuhr mit seinem 27 Jahre alten Ford Granada zum Café Kuba. Zoë hatte heute Frühschicht und brachte ihm, den neuen Song von Lisa Bassenge auf den Lippen, eineqn doppelten Cappuccino.
„Und einen Grappa“, bat Milan.
„Alles klar bei dir?“, fragte Zoë.
„Nein, ich habe gerade meinen Job bei Becker verloren. Hab mich beim „Mitgehenlassen“ erwischen lassen. Ich Idiot. Die klauen alle, aber mich erwischt man wieder. Ist immer dasselbe“, jammerte er.
„Grappa gegen Autoschlüssel“, forderte sie.
Es war bereits ein Ritual geworden. Milan reichte ihr die Schlüssel. Seit er vor drei Monaten nach einer Tour etwas früher nach Hause kam und seine Freundin Doro mit Maikel Wanninger in flagranti erwischt hatte, fand er den Weg nach Hause meist nur über den Umweg Café Kuba.
Doro war mittlerweile ausgezogen, vielleicht zu Maikel. Es interessierte ihn nicht, nichts interessierte ihn mehr seit jenem Tag.
Zoë brachte ihm das zweite Gedeck: „Milan, das ist dein letzter Grappa. Ich habe keine Lust, dich immer abzufüllen. Wach mal auf. Hier, deine Autoschlüssel. Und wenn du wieder im Leben angekommen bist, würde ich mich freuen, wenn wir mal wieder einen Song aufnehmen könnten.“
Milan schaute Zoë genervt an, suchte nach seiner Standardausrede. Doch dann sagte er zu seiner eigenen Verwunderung: „Okay, Zoë, vielleicht hast du Recht. Ich fahr mal in den Morgen und dann sehen wir uns heute Mittag…“
Er schaute Zoë hinterher und spürte ein Lächeln. Er sah aus dem Fenster. Der Morgen war sonnig, heiter.
„Na dann, viel Glück und pass auf dich auf!“
Milan ging zu seinem goldfarbenen Granada und fuhr raus aus der Stadt. Hinter Koslar kam ihm ein Volvo mit hoher Geschwindigkeit entgegen. Er erkannte ihn sofort. Es war der Volvo von Doro. Sie fuhr und Maikel Wanninger saß auf dem Beifahrersitz. Milan fuhr weiter und wechselte die CD. Nach dieser Begegnung brauchte er die Melancholie der Waterboys. Er drehte das Fenster runter und die Boxen voll auf. Im Duett mit Mike Scott sang er „Don`t Bang The Drum“, als er gemütlich in die langgezogene Linkskurve hineinfuhr. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich dieser schwarze Mercedes vor ihm auf. Auf seiner Spur. Im letzten Moment riss er das Steuer nach links. Lieber mit dem Granada in den Graben als frontal in den Benz. Er schleuderte zweimal um die eigene Achse, aber er blieb auf der Straße. Kreidebleich stieg er aus.
Das war eine Scheißidee. Wäre er doch in der Kneipe geblieben, anstatt hier draußen das neue Leben zu suchen. Erst begegnet er der alten Liebe und danach dem Tod. Na dann Prost.
Mit diesen Gedanken ging er die Kurve zurück, um zu schauen, ob der Benz wenigstens angehalten hatte. Doch der war nicht zu sehen, weg. Beim Umdrehen sah er dann die Schneise in den Büschen. Er lief hin. Während seines Zivildienstes als Rettungssanitäter hatte er sich an Unfallorte gewöhnt. Mit geübtem Blick sah er, dass jede Hilfe zu spät kam. Die beiden Insassen lagen tot im Wagen. Den Fahrer erkannte er trotz seines blutverschmierten Gesichts. Es war Richie Wanninger, der kleine Bruder von Maikel. In den Händen hielt er eine Clownsmaske. Da stimmte etwas nicht, dachte Milan, schaute auf den Rücksitz und sah den silbernen Geldkoffer.
Und dann überlegte er nicht weiter, alles ging ganz schnell. Er packte den Geldkoffer und rannte zurück zu seinem Wagen und fuhr los.
Zweimal an einem Tag werde ich bestimmt nicht beim Klauen erwischt, dachte er sich. Zu Hause öffnete er den Koffer und zählte das Geld. Bei 3,34 Millionen schlief er auf dem Sofa ein.
15 Stunden später wurde er wach und dachte an Zoë. Er würde sie später anrufen, oder rübergehen. Er schnappte das iPad und öffnete die Jülicher Zeitung. Vier als Clowns maskierte Täter hatten einen Geldtransporter in Barmen überfallen. Die Täter flüchteten in zwei Autos, eins war kurze Zeit später in einen tödlichen Unfall verwickelt. Von den erbeuteten 4,5 Millionen Euro und den beiden anderen Tätern fehlte jede Spur.
Dann brauche ich ja nicht weiter zählen, dachte sich Milan und überlegte, wo er das Geld verstecken könnte. Erst mal im Altpapier, dachte er sich. Er nahm die Kiste Altpapier, leerte die Zeitschriften in den Geldkoffer und packte das Geld in die Kiste. Obenauf legte er zwei Jülicher Stadtmagazine und stellte die Kiste in Doros altes Zimmer, das er nur noch als Müllhalde nutzte. Den Geldkoffer schloss er wieder ab und versteckte ihn im Kleiderschrank.
Jetzt brauchte er einen guten Cappuccino und ging hinüber ins Café Kuba.
„Hallo Zoë, einen doppelten!“
Zoë drehte sich um und lächelte ihn an, und er setzte spontan ein „gut siehst du aus“, hinterher.
„Wo warst du gestern? Ich habe “ kam es spontan zurück.
„Sorry, ich habe verschlafen. Sag mal, wie lange hast du heute Schicht? Ich wollte heute Abend nach Köln, zu Max Giesinger. Hast du Lust mitzukommen?“
„Ist doch längst ausverkauft?“
„Zoë, ich brauch keine Karten, ich habe fünf Jahre da gearbeitet, ich komm da immer rein. Sag mal, du hast das doch sicherlich gehört, das mit dem Wanninger.“
„Klar, das Thema heute“, antwortete Zoë.
„Glaubst du, die Doro steckt da mit drin?“
„Frag sie doch, da kommt sie.“
„Hallo Milan“, sagte Doro und setzte sich neben ihn.
„Hallo“, entgegnete er trocken.
„Ich habe ein kleines Problem und ich dachte du könntest mir vielleicht helfen.“
„Hast du eine Bank überfallen und weißt nicht wohin?“, scherzte Milan.
„Lass die dummen Witze. Komm, lass uns mal ein paar Meter spazieren gehen, dann erklär ich dir alles.“
„Vergiss es“, sagte Milan und dann sah er die Waffe, die Doro versteckt auf ihn gerichtet hielt.
„Los, wir gehen jetzt zusammen.“ Doro stand auf.
„Okay, ich komme.“ Er ging zu Zoë unf flüsterte ihr ins Ohr, „Bitte ruf die Bullen“ und küsste sie.
Draußen, versteckt im Volvo, wartete Maikel.
„Wo ist die Kohle?“, fragte Maikel.
„Welche Kohle?“, antwortete Milan.
„Milan, wir haben dich und deinen Granada gestern gesehen. Und als wir heute Morgen erfahren haben, dass mein Bruder einen Unfall hatte und die Beute verschwunden ist, da haben wir gedacht, dass vielleicht der liebe Milan sie eingesteckt hat.“
„Richie hatte einen Unfall?“
„Okay, dann gehen wir jetzt mal ganz schnell in deine Wohnung und schauen mal nach, ob da nicht ein Koffer steht, der dir nicht gehört.“
Fünf Minuten später öffnete er seine Wohnungstür. Maikel stieß ihn hinein. Er drehte sich um und sah die Faust zu spät. Als er sich wieder hochrappelte, hörte er Maikels Lachen.
„Haha! Habe ich es doch gewusst. Sieh mal einer an, was hier im Schrank steht?“
Im gleichen Moment ertönten näher kommende Martinshörner. Maikel und Doro packten den Koffer und verließen fluchtartig die Wohnung.
Fünf Minuten später klingelte es an seiner Haustür. Milan öffnete vorsichtig.
„Herr Wimmer, ich bin Hauptkommissar Knob-loch. Ich habe ein paar Fragen. Kann ich reinkommen?“ Sie gingen in die Küche.
„Vor etwa einer halben Stunde hat uns die Kellnerin aus den Café Kuba angerufen und mitgeteilt, dass sie die beiden gesuchten Personen Wanninger und Schmitt gesehen hat, wie sie mit Ihnen in Ihre Wohnung gingen.“
„Stimmt“, antwortete Milan kurz angebunden. Und er ahnte nichts Gutes. Hätte er diesen verdammten Koffer doch stehen gelassen. Er sah sich schon im Knast, in einer Zelle mit Maikel Wanninger.
„Was wollten die beiden von ihnen?“ fragte der Kommissar.
„Doro, also Frau Schmitt, hat bis vor wenigen Wochen in diesem Zimmer dort drüben gewohnt. Wir waren sechs Jahre zusammen, bis ich sie mit Maikel, na ja, sie wissen schon. Danach ist sie ausgezogen.“
In diesem Moment klingelte das Handy des Kommissars. Herr Knobloch griff in seine Jacke. Milan schwitzte, ging zum Kühlschrank, nahm sich die Tüte Milch und trank sie aus.
„Das war mein Kollege. Die Flüchtigen hatten einen Unfall, ihre Ex-Freundin ist leicht verletzt. Herr Wanninger hat schwere Verbrennungen, er konnte gerade noch rechtzeitig aus dem brennenden Wagen geborgen werden. Der Koffer mit der Beute ist wohl verbrannt. Tja, dann fahre ich jetzt mal. Und sagen Sie ihrer Freundin herzlichen Dank, mit der Belohnung wird es nicht klappen, wenn das Geld verbrannt ist.“
Milan begleitete den Kommissar zur Tür, die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich, er hatte es geschafft. Keiner würde mehr nach der Kohle suchen, oder?
„Ach Herr Knobloch, da wär noch was. Es könnte sein, dass das Geld nicht verbrannt ist. Die Doro war mit dem Wanninger in ihrem alten Zimmer und ich habe keine Ahnung, was die da gemacht haben, ich war ein wenig ausgeknockt.“
Der Kommissar fand, was er finden sollte, Zoë und Milan verbrachten einen wundervollen Abend in Köln und teilten in dieser Nacht Bett und Belohnung.
Gelegenheit macht Liebe
oder heiter weiter...
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