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Biotechnologie verleiht Superkräfte

Das Wissenschaftsjahr 2020/21 widmet sich dem Thema Bioökonomie. Knapper werdende Ressourcen und Nutzflächen bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung, Klimawandel und Rückgang der Artenvielfalt – all dies sind globale Herausforderungen. Eine Umstellung ist daher notwendig: weg von einer Wirtschaftsform, die auf fossilen Ressourcen basiert, hin zu einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaftsweise – der Bioökonomie. Elisabeth Zelle vom Forschungszentrum Jülich gewährt einen ganz persönlichen Einblick.

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Illustartion: Irene Küberl, Institut für Bioorganische Chemie 2021
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Jährlich werden fast 60 Millionen Tonnen Kunststoff auf Erdöl-Basis produziert, von denen nicht mal 10 Prozent recycelt werden. Plastik vermüllt unsere Erde bis in den letzten Winkel. Plastik gibt es überall, und noch schlimmer als die sichtbaren Plastik-Berge ist das sogenannte Mikroplastik. Plastikbrösel, die mit dem bloßen Auge nicht erkennbar sind. Aber nur, weil man sie nicht sieht, heißt es nicht, dass es uns nichts angeht. Das Mikroplastik landet im Wasser (Gewässer und Abwasser) und kann von Kläranlagen nicht aus dem Wasser gefiltert werden – was drin ist, bleibt auch drin. So kommt es, dass auch wir das Mikroplastik mitessen, mittrinken und auch einatmen. Der Zahn der Zeit macht auch vor Plastik nicht halt, aber leider nur im Schneckentempo. Ganze 450 Jahre werden benötigt, bis die Natur ein Plastik-Behältnis zersetzt hat.

Wir stehen hier vor einer schier übermenschlichen Herausforderung. Wie schön wäre es, einen Superhelden zu haben, der sich für uns um das Problem kümmert, der mit seinen Superkräften das Plastik zertrümmert oder ins All schießt oder noch besser in etwas völlig Neues, Wertvolles umbaut! Klingt unmöglich? Biotechnologen sind gerade auf der Suche nach diesen Superhelden, die gegen die Plastikmüll-Apokalypse kämpfen, und sind dabei auf einem vielversprechenden Weg. Anders als Superman, Spiderman oder gar Plastic Man sind diese Superhelden allerdings nur wenige Mikrometer groß. Wie das Mikroplastik sind sie meist unsichtbar, aber dennoch überall dabei.

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2016 wurde der erste Plastik fressende Superheld mit Namen Ideonella sakaiensis entdeckt: Japanische Forscher fanden ein Bakterium, das Plastikflaschen anknabbert. Die kleinen Helden ergreifen die PET-Flaschen und lassen sie erst wieder los, wenn sie den Kunststoff zu Wasser und Kohlenstoff verdaut haben. Allerdings reichen die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Ideonella noch lange nicht aus. Es handelt sich um überaus launische Superhelden, die gerne auch mal Pausen einlegen. Trotzdem zerlegen sie das Plastik in Monaten und nicht mehr Jahrhunderten.

„Jülicher Biotechnologen packen das Thema nun von zwei Seiten an: Sie züchten Bakterien, die den Plastikmüll schneller zersetzen. Aber die neuen Superhelden sollen das weggeworfene Plastik nicht nur abbauen, sondern daraus sogar noch wertvolle Bausteine für umweltverträgliche Produkte produzieren. Das Ziel: aus vermeintlich wertlosen Reststoffen wertvolle Rohstoffe gewinnen.“

Da Super-Ideonella sehr langsam wächst und arbeitet, sind Forscher auf der Suche nach weiteren Superhelden beziehungsweise ihrer genetischen Information. Vielversprechende Kandidaten entdeckte man im Nordatlantischen Müllstrudel – einer der fünf weltweit bekannten Müllinseln. Meeresbakterien der Sorte Pseudomonas aestusnigiri können ebenfalls Kunststoffe verwerten, und unter ihren Verwandten gibt es Bakterien, die sich bereits im Labor bewährt haben. Pseudomonas putida – ein Bodenbakterium, das sogar von Koffein leben kann. Pseudomonas putida ist der klassische Superheld. Denn wie Spiderman haben die Bakterien nicht von Anfang an ihre Superkräfte. In seiner bisherigen ‚zivilen Identität‘ ist es in der Reinigungs-Branche unterwegs. „Pseudomonas putida ist sehr robust und ein alter Bekannter, wenn es zum Beispiel um die biologische Reinigung von kontaminierten Böden geht: Es überlebt selbst in einer Umgebung mit hohen Werten an Schad- und Giftstoffen“, erklärt Prof. Nick Wierckx vom Jülicher Institut für Biotechnologie (IBG-1). Wie genau erfolgt nun die Verwandlung von Pseudomonas putida in den plastikabbauenden Superhelden Plastomonas?

Zauberkunst (Doktor Strange), fortschrittliche Technologie (Batman) oder eine biologische Veränderung (Spiderman): Die Möglichkeiten, um übermenschliche Fähigkeiten zu erlangen, sind vielfältig. Diese Möglichkeiten haben die Jülicher Forscher im Labor auch zur Hand und nutzen sie, um Pseudomonas putida seine Superkräfte zu verleihen. Plastomonas ist also noch mitten in der Verwandlung zum Superhelden. Doch die ersten Schritte sind gemacht. Mit den modernen Möglichkeiten der Biotechnologie lässt sich so vielleicht die Welt zumindest von einem Teil des Plastik-Mülls befreien.

Dabei wollen die Jülicher Biotechnologen die Bakterien nicht auf einzelne Plastikarten anwenden, sondern den Bakterien Appetit auf möglichst viele verschiedene Plastiksorten machen. Dazu kochen sie ihnen eine Brühe aus verschiedenen Kunststoffen. Diese unsortierte Plastiksuppe wird unter Zugabe aufgereinigter Enzyme (Biokatalysatoren) erhitzt. Ähnlich wie die Enzyme, die unsere Nahrung verdauen, können diese neuartigen Enzyme innerhalb weniger Tage die verschiedenen Kunststoffarten verdauen, die in der Natur nach 400 Jahren noch nicht zerfallen wären – slow cooking. Wie im Schongarer werden die Kunststoffe vorverdaut und den Bakterien so ihre Arbeit erleichtert. Unsere Superhelden bekommen also einen Helfer an die Hand. Es entsteht eine Brühe mit Plastikschnipseln. Diese Plastiksuppe wird an Pseudomonas putida verfüttert. Die Bakterien bauen diejenigen Kunststoff-Schnipsel ab, für die sie (oder ihre neue Enzymausstattung) geeignet sind – was nach Abschluss der Verwandlung eine Fülle diverser Kunststoffe sein sollte.

Damit wäre die Aufgabe unserer Superhelden eigentlich erfüllt. Die Jülicher Forscher gehen aber noch einen Schritt weiter. Sie wollen das Plastik nicht nur zersetzen, sondern darüber hinaus in wertvolle Chemikalien umwandeln – wir wünschen unseren mikrobiellen Superhelden einen guten Appetit!


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