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„Geisterteilchen“ helfen Forschern

Wissenschaftler der Borexino-Kollaboration haben zum ersten Mal die Existenz des sogenannten CNO-Fusionszyklus in der Natur nachgewiesen: Sie entdeckten solare Neutrinos, die aus diesem Prozess stammen. Auch kluge Köpfe aus Jülich sind mit dabei.

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Im Detektor entstehen bei den seltenen Reaktionen mit Neutrinos winzige Lichtblitze. Einzelne Lichtteilchen, Photonen, werden detektiert von etwa 2000 Sensoren, die an den Wänden der den Szintillator umschließenden Edelstahlkugel angebracht sind und Licht in elektrische Impulse umwandeln. Foto: BOREXINO Collaboration
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In der Sonne ist der nun nachgewiesene CNO-Zyklus selten aber wichtig: Denn es wird angenommen, dass massereichere Sterne vorherrschend durch diesen Fusionsprozess Energie erzeugen. Geforscht wurde für die Phänomene des Universums tief unter der Erde: Mit dem 1400 Meter tief und in der Nähe von Rom liegt das  Observatorium, in dem die fast unbeobachtbaren „Geisterteilchen“ Kenntnisse ermöglichten. Denn durch die kleinen Teilchen könnten Erkenntnisse über die solare Kernfusion erlangt werden.

Zur Erklärung: Die Sonne ist in ihrem Kern ein gigantischer Fusionsreaktor. In ihrem Inneren verschmelzen bei einer Temperatur von rund 15 Millionen Grad fortlaufend Wasserstoffkerne miteinander und bilden so – über eine Kette verschiedener Reaktionen – das Element Helium. Dabei senden sie stetig unterschiedliche Strahlung und Partikel aus. Einige davon sind die Neutrinos. Milliarden davon durchdringen auf der Erde in jeder Sekunde jeden Quadratzentimeter, völlig unbemerkt und ungestört. Diese Eigenschaft, Materie ungehindert zu durchdringen, macht sie zu idealen Sonden, um einen näheren Einblick in den solaren Fusionsofen zu gewinnen: Sie liefern direkte, unverfälschte Informationen über die Verhältnisse im Zentrum der Sonne.

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Forschungszentrum mit im Forscherteam

„Die Sonne erzeugt ihre Energie in den komplizierten Ketten von Kernreaktionen“, erklärt Livia Ludhova, eine der beiden aktuellen wissenschaftlichen Koordinatorinnen der Borexino-Kollaboration und Leiterin der Neutrino-Gruppe des Jülicher Instituts für Kernphysik am Forschungszentrum, die entscheidende Beiträge zu den Ergebnissen des Experiments lieferte. „Der Schlüsselprozess ist die Fusion von Wasserstoff zu Helium, das sogenannte Wasserstoffbrennen. Nach dem gängigen Sonnenmodell läuft dieses durch zwei theoretisch gut verstandene Mechanismen ab.“

Im Zentrum der Forschung stand dabei der CNO-Zyklus, auch bekannt als Bethe-Weizsäcker-Zyklus. „Er wird ermöglicht durch das Vorhandensein von Elementen schwerer als Helium im Sternenplasma, die direkt an der Fusionsreaktion beteiligt sind – Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff“, so Ludhova. „Daher auch die Bezeichnung CNO-Zyklus. Sie leitet sich aus den chemischen Symbolen dieser Elemente ab.“ Der CNO-Zyklus, erzeuge Energie und strahle ein ganzes Spektrum von Neutrinos ab.

Von Wasserstoff zu Helium

„Aufgrund der großen Anzahl massereicher Sterne wird angenommen, dass der CNO-Zyklus im Universum der primäre Mechanismus für die stellare Umwandlung von Wasserstoff in Helium ist“, so Ludhova. Für unsere Sonne – einen Stern mit einer vergleichsweise geringen Masse – spielt der Prozess jedoch nur eine sehr untergeordnete Rolle. „Wir vermuten, dass er für etwa ein Prozent ihrer Energieproduktion verantwortlich ist“, erklärt die Physikerin. „Der Prozess ist theoretisch gut begründet. Doch bis jetzt ist es nie gelungen, ihn experimentell zu beobachten.“

Denn die gleiche Eigenschaft, die Neutrinos so geeignet macht, Informationen aus dem Zentrum der Sonne bis zur Erde zu bringen, macht es auch besonders schwer, sie „einzufangen“: Sie durchdringen Materie nahezu ungehindert – und damit auch Messinstrumente. In dem Observatorium lassen sie sich nur nachweisen, wenn ein Neutrino zufällig mit einem Elektron kollidiert, auf das es einen Teil seiner Energie überträgt. Bei der anschließenden Bewegung des Elektrons wird diese in Form eines winzigen Lichtblitzes frei. Man benötigt große Detektoren, in denen von den Billiarden Neutrinos einige wenige pro Tag tatsächlich mit der Materie in Wechselwirkung treten und nachgewiesen werden können.

Und genau das wurde im Boxrexino-Experiment umgesetzt: Durch eine direkte Beobachtung von Neutrinos, die in diesem Fusionsprozess erzeugt wurden. „Wir haben das Vorhandensein von CNO-Neutrino-Wechselwirkungen mit hoher statistischer Signifikanz nachgewiesen“, erklärt Ludhova. „Wir konnten so auf den Gesamtfluss von CNO-Neutrinos auf der Erde zurückschließen, rund 700 Millionen pro Sekunde auf einen Quadratzentimeter – etwa ein Hundertstel der gesamten Anzahl von solaren Neutrinos.“

„Der Nachweis der CNO-Neutrinos stellt einen bedeutenden Meilenstein dar“, erklärt Livia Ludhova. „Er ebnet den Weg zum Verständnis der Zusammensetzung des Sonnenkerns, insbesondere seiner sogenannten Metallizität.“ Diese in der Astrophysik gebräuchliche Bezeichnung bezieht sich auf die Häufigkeit von „schweren“ chemischen Elementen in Sternen und ist eine der wichtigsten offenen Fragen in der heutigen Sternenphysik. „Der Borexino-Detektor hat damit erneut eine Pionierrolle bei der Erforschung der Sonne gespielt und die verborgensten Prozesse entschlüsselt, die unseren Stern am Leben erhalten.“


Das Borexino-Observatorium

Das Instrument, das diese Messung ermöglichte, ist das Borexino-Observatorium, in dem bereits seit 2007 Daten über Neutrinos von der Sonne gewonnen werden. Die Anlage befindet sich im größten Untergrundlabor der Welt, dem Laboratori Nazionali del Gran Sasso in Italien. Kernstück von Borexino ist ein sehr dünnwandiger kugelförmiger Nylonballon, in dem sich 280 Tonnen einer speziellen Szintillator-Flüssigkeit befinden. Bei den seltenen Reaktionen mit Neutrinos entstehen darin winzige Lichtblitze. Einzelne Lichtteilchen, Photonen, werden detektiert von rund 2000 Sensoren, welche das Licht in elektrische Impulse umwandeln. „Die von den Neutrinos deponierte Energie, ein wesentlicher Parameter der Analyse, ist mit der Menge des detektierten Lichts korreliert“, erklärt Livia Ludhova. „Damit diese empfindliche Messung überhaupt möglich ist, musste die natürliche Radioaktivität im Borexino-Gerät um mehrere Größenordnungen auf ein noch nie dagewesenes Niveau verringert werden. Darüber hinaus wurde der gesamte Detektor in den letzten Jahren thermisch stabilisiert, was den Borexino Phase-III-Datensatz ermöglichte, der bei der CNO-Entdeckung verwendet wurde.“

Zum Schutz vor kosmischer Strahlung befindet sich der Tank unter einer 1400 Meter dicken Dolomitstein-Schicht im Gran Sasso-Gebirgsmassiv in der Nähe von Rom. Trotzdem sind immer noch einige der kosmischen Teilchen in der Lage, den Detektor zu erreichen – und die gesuchten Neutrino-Signale zu überschatten. Um diese weitere Quelle des Hintergrundes zu reduzieren, haben die Wissenschaftler ausgefeilte Analysetechniken entwickelt, die Ereignisse unterdrücken, welche die Identifizierung der seltenen Neutrino-Signale erschweren.


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