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Alles für lau?

Wenn es im Sommer so richtig heiß ist, macht der Deutsche... Was? Richtig: ein Feuer! Natürlich um zu grillen. Nachdem er (und natürlich auch sie) den ganzen Tag und als wahrer Sonnenanbeter sich selbst auf dem als Platzhalter fungierenden Handtuch gelegen hat, bis die Haut eine ähnliche Konsistenz angenommen hat wie das Grillgut. Und abends gibt es kaum etwas Schöneres, als bei einem weiteren Bierchen, Cocktail oder zur Abwechslung einem schönen Glas Rotwein die wunderbare warme Luft zu genießen, halt in einer lauen Sommernacht.

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Grafik: Daniel Grasmeier
Grafik: Daniel Grasmeier
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Kein Wunder, dass dieses Thema auch in romantischen Gedichten wie Otto Julius Bierbaums „Gefunden“ aufgegriffen wird: „Laue Sommernacht; am Himmel / Stand kein Stern; im weiten Walde / Suchten wir uns tief im Dunkel, / Und wir fanden uns.“ Hugo Hartung beschwört mit dieser Assoziation in seinem Buch „Ich denke oft an Piroschka“ sogar Jugenderinnerungen herauf: „Draußen wurde es wieder heiß an den Mittagen, und es blieb lau bis tief in die Nacht hinein.“

Eigentlich ein äußerst angenehmes, wohltuendes Gefühl, das auf der emotionalen Meta-Ebene damit verbunden wird. Wie kommt es nun, dass „lau“ im Umgangssprachlichen so negativ besetzt ist? Vielleicht weil es in unserer Welt voller Anglizismen zu sehr nach „low“ klingt, also nach gering, ordinär, schlecht? Vielleicht weil es sich vom Reim-Klang her in schlechter Nachbarschaft / Gesellschaft mit „mau, flau, klau, Sau“ befindet?

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Ein lauer Regen mag ja ganz nett sein, aber halt was für Warmduscher. Ja, und? Was ist gegen eine warme Dusche auszusetzen? Muss denn alles immer extrem sein? Ist man nur ein richtiger Mann (oder eine richtige Frau), wenn es richtig heiß oder richtig kalt ist? Wieso kann es da überhaupt ein „richtig“ geben? Existiert dann auch ein „falsch“? Falsch heiß oder falsch kalt?

Wenn Homos warme Brüder sind, was sind dann Heteros? Heiße Brüder? Was für einen Sinn ergibt das überhaupt? Viele Menschen würden sich darüber freuen, im Winter ein warmes Plätzchen zu haben. Und wenn es nur ein lauwarmes ist. (Ich spreche hier nicht von einem Keks, der frisch aus dem Ofen kommt!)

Sogar der Begriff „für lau“ hat so einen faden Beigeschmack. Als ob etwas, das es für „ümmesons“ gibt, nicht viel wert sein könne. Weswegen eine Tasse Kaffee in von Obdachlosen angelaufenen Orten oft 50 Cent kostet oder eine Veranstaltung zumindest ‘n paar Euro fuffzich. Vereine und Jugendheime lassen ihre Mitglieder und Besucher zuweilen auch die Räume und das Mobiliar in Eigenarbeit gestalten, damit dadurch eine Beziehung entsteht und pfleglich damit umgegangen wird. Denn Geld hat nicht nur einen Wert, sondern auch eine Wertigkeit. Nicht umsonst heißt es: „Wir kaufen mit dem Geld, das wir nicht haben, Dinge, die wir nicht brauchen, um damit Menschen zu imponieren, die wir nicht mögen.“

Aber alles für lau? Dass Kosten immer sehr relativ sind und das Finanzielle sich zuweilen hinter Sach- und Dienstleistungen verstecken, hat Anne Gatzen bereits sehr schön in ihrem Geschwister-Artikel „Alles für Lau“ beschrieben: „Für den Ehrenamtler ist seine Tätigkeit nicht ‚kostenlos‘, denn die Tätigkeit kostet ihn Zeit. Für den Empfänger/die Gesellschaft ist das Ehrenamt auf keinen Fall ‚umsonst‘, denn es gestaltet das Zusammenleben und macht Sinn.“

Ich würde sogar ein ganzes Stück weiter gehen und behaupten, dass in der Gesellschaft und unserem Zusammenleben vieles wegbrechen würde, wenn es keine „Für-Lauer“ mehr gäbe. Im Gegenteil, Ehrenamt wird immer mehr benötigt, denn die Kommunen haben kein Geld. Dabei werden viele scheinbar kostenlose Dienstleistungen gerne in Anspruch genommen.

Damit meine ich nicht nur die Mitarbeit in Obdachlosen- und Flüchtlingscafés. Vieles auf sportlichem und kulturellem Terrain wird ehrenamtlich geleistet. Auch in der Kinderbetreuung sowie in der Seniorenarbeit. Und niemand sollte Hauptamtliche in die Pflicht nehmen, nur weil sie anwesend sind. Oftmals arbeiten sie nämlich weiter in einem Bereich, in dem sie sich auskennen, auch wenn die eigentliche Arbeitszeit schon längst vorbei ist und niemand mehr dafür aufkommt. Über eine womöglich apokalyptische Zukunft möchte ich da nicht weiter nachdenken: Wie lässt sich Arbeit in Kindertagesstätten und Pflegeeinrichtungen weiterführen, wenn es keine Kirchensteuern mehr gibt, von der auch Verbände wie die Caritas existieren?

Obwohl natürlich eine Entlohnung völlig unterschiedliche Gestalt annehmen kann. Auch das hat Anne Gatzen trefflich formuliert: „Mein Ehrenamt gibt mir viel zurück – Wertschätzung, Kollegialität, Freundschaft, schöne Momente, die ich mit anderen teilen kann. Mich ehrenamtlich einzubringen ist für mich eine persönliche Form von Glück.“

Schade ist nur, dass zuweilen genau dies den Für-Lauern vorgeworfen wird. „Das machst Du ja nur aus eigenem Geltungstrieb. Du willst Dich lediglich unentbehrlich machen. Das ist Deine Art, um mit wichtigen Leuten in Kontakt zu kommen.“ Die Vorwürfe lassen sich bestimmt beliebig erweitern. Und sie treffen womöglich auch hier und dort auf die eine oder andere Person zu. Aber interessanterweise wird ein solches Statement gerne von Menschen abgegeben, die ansonsten sich nicht viel um soziales Engagement kümmern. Quasi als Legitimation zum Nichtstun.

„Ich schreibe Blogs im Internet, um auf das Unrecht in der Welt hinzuweisen“, ist einer meiner Lieblings-Sprüche, der mir bei unpassender Gelegenheit so aufgetischt wurde. „Ja, aber was tust Du als praktische Hilfe?“, lautete daraufhin meine Frage. Es hätte auch eine rhetorische sein können, denn die Antwort blieb mein Gegenüber schuldig. Auf mein Angebot, dass ich seine Blogs lesen würde, wenn er sich monatlich nur eine Stunde ehrenamtlich engagieren würde – egal wo, darauf ging er nicht ein, sondern versuchte sich, verbal drumherum zu winden. Da half auch kein stupides mehrmaliges Wiederholen.

Dabei kann ich nicht behaupten, dass ehrenamtliche Tätigkeit für mich eine persönliche Form von Glück bedeutet. Eher dass es ein Unglück ist, wenn diese Arbeit liegen bliebe, wenn ein Vakuum entsteht, weil Ehrenamt nicht funktioniert. Vielleicht bin ich da ja doch sehr von der paulinischen Rechtfertigungslehre inspiriert. Nach dieser ist das Himmelreich nicht durch die Erfüllung des Gesetzes und dem Wirken von guten Taten zu erlangen, sondern das Heil ist uns bereits durch unseren Glauben zugesprochen. Dadurch sind wir frei, um Gutes zu tun.

Woran ich glaube? Dass es noch viel zu wenig Menschen gibt, die etwas Gutes für lau tun. Und dass es noch viel zu wenig Menschen gibt, die dies honorieren. Und wenn es nur mit guten Worten oder Gedanken ist.


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