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Konserven vom „Gurkes“

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Luftbild des Jülicher Heckfeldes von Westen mit dem Werk der Düsseldorfer Senfindustrie Otto Frenzel im Jahr 1970. Foto: Stadtarchiv Jülich
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Wenn man in Jülich vom „Gurkes“ sprach, war über mehr als drei Jahrzehnte klar, was damit gemeint war: die Produktionsstätte der Düsseldorfer Firma Frenzel an der Elisabethstraße. 1960 hatte die Firma „Iven und Sturm“ mit der Produktion von Sauerkonserven in den Hallen der ehemaligen Firma Kinofilm begonnen. 1962 übernahm die „Düsseldorfer Senfindustrie Otto Frenzel“ die Produktion in Jülich.

Rasch wurde klar, dass die Betriebsstätte den Ansprüchen an eine zeitgemäße Konservenproduktion nicht genügte. Bereits 1964 wurde die Herstellung in eigene Werkshallen an der Elisabethstraße verlagert, die sich bald als zu klein herausstellten und mehrfach erweitert wurden. Auch wurde ein Gleisanschluss an die Jülicher Kreisbahn angelegt. Heute befindet sich hier die Spedition Boos. 1977 übernahm die Düsseldorfer Senfindustrie die Firma Feinkost Appel und nannte sich seitdem „Appel & Frenzel“. Appel Feinkost war ein Traditionsunternehmen aus Hannover, das unter anderem Fischkonserven herstellte. Das bis 1973 in Familienbesitz befindliche Unternehmen musste Mitte der 1970er Jahre seinen Betrieb einstellen, nachdem es 1975 an Frenzel verkauft worden war. Die Produktionsstätten, unter anderem das Stammwerk in Hannover, wurden geschlossen und die Produktionsstrecken teilweise nach Jülich überführt. Anfang der 1990er Jahre kam es zu einer Umfirmierung von Appel & Frenzel in die Löwensenf GmbH Düsseldorf, die heute noch besteht.

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Knapp 300 Mitarbeiter hatte das Werk in Jülich, wobei der Frauenanteil etwa zwei Drittel der Belegschaft umfasste. Die Arbeitskräfte wurden vor allem im Ausland angeworben. Ein beachtlicher Teil des Stammpersonals kam aus Portugal, wobei die Familien überwiegend in werkseigenen Wohnungen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Betriebsstätte lebten. Hinzu kamen regelmäßig irische Saisonarbeiter. Mitte der 1980er Jahre zeichnete sich ab, dass der Absatz für die in Jülich hergestellten Produkte stagnierte, ja sogar rückläufig war. Damals standen 90 Mitarbeiter zur Disposition. Ein Schwerpunkt der Produktion lag auf Gurken, die auf den Feldern in der Region angebaut wurden. Der Landwirt C. Cremer aus Boslar hatte ein eigenes Gerät zur Gurkenernte entwickelt. Auf zwei an einen Traktor montierten Auslegern lagen insgesamt 18 Erntehelfer, die die reifen Gurken pflückten, wobei sich das Erntegerät 100 Meter pro Stunde fortbewegte.

Auch die Gewürze wurden in unmittelbarer Nachbarschaft zum Werk angepflanzt, so beispielsweise Dill oder der durch seine blauen, sternförmigen Blüten bekannte Borretsch, der noch heute zum Jülicher Stadtbild an Wegesrändern und in Gärten zählt. Zu den in Jülich von Anfang an hergestellten „Frenzli-Spezialitäten“ gehörten Spanischer Salat, Hollywood-Salat sowie Mixed Pickles (bestehend aus Gurken, Zwiebeln, Tomaten, Paprika, Möhren und Blumenkohl). Die Produktion in Jülich wurde schließlich Ende März 1999 eingestellt. Recherchiert man im Internet nach Appel & Frenzel in Jülich, sind die Treffer überschaubar. Interessant ist eine Anekdote über den Einsatz einer mechanischen Rechenmaschine aus dem Jahr 1938 bei der Verdienstberechnung im Jülicher Werk im Jahr 1969. Auf den Hinweis, dass eine elektrische Rechenmaschine die Arbeitszeit halbieren würde, konterte der Chef: „Und was wollen sie den Rest des Tages machen? Oder möchten sie nur noch halbtags beschäftigt werden?“

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Guido von Büren
Eine echte Muttkrat und mit unbändiger Leidenschaft für Geschichte und Geschichten, Kurator mit Heiligem Geist, manchmal auch Wilhelm V., Referent, Rezensent, Herausgeber und Schriftleiter von Publikationen, Mitarbeiter des Museums Zitadelle und weit über die Stadtgrenzen hinaus anerkannter Historiker, deswegen auch Vorsitzender der renommierten Wartburg-Gesellschaft

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