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Wissenschaft zum „Anfassen“

In entspannter bis geselliger Atmosphäre von komplexen Themen und Zusammenhängen erfahren – geht das? Es geht, scheint es bei der Sommerwerkstatt "Open Minds" der Victor Rolff Stiftung, die im Science College in Barmen stattfand.

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Kunst ertasten. Foto: Victor Rolff Stiftung/ Claus Langer
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Acht Tage lang haben sich Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren über unterschiedliche Themen informieren können und Projekte dazu entwickelt. Die Stipendiaten aus dem Regierungsbezirk Köln, die sich allein über Interesse für und nicht über Noten in naturwissenschaftlichen Fächern qualifiziert haben, befassen sich tagsüber mit Forensik und Verbrechensermittlung, nachhaltigem und energieeffizientem Bauen sowie „Kunst zum Anfassen“ – wie Kunst für Menschen mit Sehbehinderungen erfahrbar ist oder sein könnte. Abends gibt es Vorträge zu unterschiedlichen Themen für Alle. Obwohl der vordergründige Fokus auf MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) liegt, sind – allen Klischees zum Trotz – etwa zwei Drittel der Jugendlichen weiblich.

Die Unterschiedlichkeit in den Charakteren der Jugendlichen ist schon in den Vorträgen zu spüren, mit denen die Jugendlichen den anderen ihre Themen vorstellen. Zwischen „kahoot“-Quiz, klassischem Vortrag mit SMART Board-Unterstützung und interaktivem Einfühlversuch mit Knetmasse, Bildbeschreibung und Gegenstände Ertasten mit simulierter Sehbehinderung sind die Ansätze der Wissensvermittlung ganz unterschiedlich. Doch sind auch die Zuhörenden immer mit Interesse dabei – es werden viele Rückfragen gestellt und fleißig mitgeschrieben. „Wie hieß das Verfahren von der letzten Folie nochmal?“, wird nachgefragt, oder ganz praktisch: „Wieso haben denn die Ziegel Löcher, wie funktioniert das?“

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Foto: Victor Rolff Stiftung/ Claus Langer
Die Jugendlichen haben sich über die wenigen Tage zu ihren komplexen Themen ein Expertenwissen angeeignet, das Gäste staunen lassen kann. Detailliert erklären die „Forensiker“, anhand welcher Faktoren die DNS unterschieden werden kann ebenso, wie die Aufklärung darüber, dass ein „Knallzeuge“ nur einen Knall gehört hat und sich den Rest – vielleicht unterbewusst – zusammenreimt, aber sicher ist alles gesehen zu haben. Beim nachhaltigen Bauen wird über die Beschaffenheit und Nachhaltigkeit der Bau- und Dämmmaterialien gesprochen, aber auch über die Leistung und Wirtschaftlichkeit von Solarpanelen und die Frage „Was ist eigentlich ein Plus-Energie-Haus?“. Falls es doch mal Unsicherheiten auf Rückfragen gibt sind immer auch Erwachsene mit Expertenwissen zur Stelle, um die Vortragenden zu unterstützen. Und im letzten Raum werden Möglichkeiten und Hindernisse der Kunst für Menschen, die eine Sehbehinderung haben – wie man erfährt sind Menschen mit einer Sehleistung unter zwei Prozent legal blind – unter anderem beim Umsetzen von ertasteten Figuren in eigene Knetmasse-Kunstwerke erfahrbar. Eine Teilnehmerin zeigte sich nach Abnehmen der Augenbinde fasziniert: „Ich wusste, dass da eine Hand ist, aber die einzelnen Finger habe ich gar nicht gespürt!“ – Das Interesse und den Wissensdurst merkt man Allen an.

Das Ziel der Veranstaltung ist es, so Na Young Shin-Vogel als Referentin Bildung der Victor Rolff Stiftung, interdisziplinäres Denken und Arbeiten zu fördern. Darum ist auch der Zusatz „Ferienakademie“ weggefallen und die „Sommerwerkstatt“ geblieben. Häufig sei es eine Hemmschwelle, wenn im schulischen Kontext, über Noten in MINT-Fächern gedacht würde. Dabei sei das Verständnis dafür, wie die individuellen Stärken eingebracht werden können, wichtiger. Ein Jugendlicher habe zum Beispiel nach einem abendlichen Vortrag über den Druck von Organen gesagt, er hätte lieber mehr zum biologischen Aspekt gehört, denn der technische sei ihm bekannt. Sie habe daraufhin entgegnet, dass er sich dann ja überlegen könne, wie er sein Wissen im Gruppenprojekt anwenden könne.

Open Minds Sommerwerkstatt 2023 im Science College. Foto: Victor Rolff Stiftung/Claus Langer
Damit keine Ermüdungserscheinungen auftreten, so spricht Shin-Vogel aus der Erfahrung der ersten Tage, gibt es zwischen den einzelnen Präsentationsrunden eine „aktive Pause“. Da gibt es etwa eine Übung, die Science College Leiter Philipp Mühlheims anleitet: Einen Impuls mit einem lauten „Pow!“ oder „Boom!“ weitergeben. Manch einer kennt dies vielleicht auch aus einem Theaterkurs. Die Stipendiaten scheinen jedenfalls ihre helle Freude zu haben, mehrmals geht ein Lachen durch die Runde. „In der nächsten Pause machen wir das in kleineren Kreisen und wenn ich nicht wenigstens ein Mal pro Sekunde ein Pow höre, dann komme ich vorbei“, droht Mühlheims scherzend. Der Ton ist entspannt und einander zugewandt.

Dies spiegelt sich auch darin wider, dass die Jugendlichen bis in die Abendstunden diskutieren – mit den Vortragenden, aber auch anderen Erwachsenen und unter einander und zu den unterschiedlichsten Themen, wie Shin-Vogel beeindruckt erzählt. Auch Weltprobleme und Kritik am Schulsystem seien dabei.


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