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SPD – ein Stück Stadtgeschichte

Die Sozialdemokratie hat Geschichte geschrieben. Das ist fraglos. Mit der Industrialisierung und dem einerseits wachsenden Selbstbewusstsein, andererseits zunehmenden sozialen Schwierigkeiten der Arbeitnehmerschaft organisierten sich die neue Partei und verschaffte sie sich Gehör. Erst zögerlich gegen viele Wiederstände auch und gerade der Kirchen, dann immer deutlicher bis sie – das politische Mordor des Nazi-Regimes einmal ausgespart – in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und heute zum selbstverständlichen Kanon der Parteien gehören. Eine wechselhafte Geschichte, die sich im „kleinen“ in Jülich ablesen lässt.

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Als Ministerpräsident war Johannes Rau zu Besuch in Jülich. Foto: SPD-Archiv
Als Ministerpräsident war Johannes Rau zu Besuch in Jülich. Foto: SPD-Archiv
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Schon 23 Jahre vor der ersten Parteigründung wird 1895 am 3. Januar wird von sozialdemokratischen Bestrebungen eines Friederich Normann berichtet, derwenig später zu einem losen Zusammenschluss von Sozialdemokraten in Jülich führten. Das scheinen sie zumindest mit solchem Nachhall getan zu haben, dass 1898, am 1. Juni im Kreis Jülicher Correspondenz- und Wochenblatt nach einer Flugblatt-Verteilung zu lesen ist: „Oder sollten die Herren Sozialdemokraten wirklich meinen, dass für ihre umstürzlerischen, gottes- und kirchenfeindlichen Ideen in unserem katholischen Jülich ein günstiges Feld wäre?“

Wirklich Fuß fassen kann die SPD in Jülich, als ab 1915 das Eisenbahn-Ausbesserungswerk in Jülich Süd angesiedelt wird und rund 900 Arbeiter mit ihren Familien zuzogen:

„Sie waren das Rückgrat der SPD.“

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So kam es 1918 in der Viktoriastube zur ersten Vereinsgründung, die den Buchdrucker Hugo Freudenthal zum Vorsitzenden wählten. Schon ab 1919 zogen die Genossen in den Stadtrat ein – als Nachrücker einer der von da an bis zu seinem Tod 1961 herausragenden Sozialdemokraten: Josef Hommen. Er sollte Führungsfigur der Partei werden, wurde von den Nazis verhaftet und nach dem 2. Weltkrieg 1946 von der Militärregierung als erster Bürgermeister eingesetzt. Das hätten sich die Parteifreunde allerdings anfangs wohl kaum zu hoffen gewagt: An der Mehrheit der Zentrumspartei kommt kein Antrag vorbei, ob es um die Erhöhung der Anschaffung von Lernmittel für bedürftige Kinder von 1000 auf 3000 RM geht oder die Forderung, dieAbschreibung des städtischen Vermögens und Betriebseinrichtungen zu unterlassen und die ersparten Beträge für Wohlfahrtsetats zu verwenden. Einzig der Straßen-Umbenennung von „Rurhof“ in August-Bebel-Platz wird zugestimmt– bis 1933, seither heißt er Freiherr- vom-Stein-Platz. In diesem Jahr kommt es unter Führung des inzwischen als Kreistagsmitglied etablierten Andreas Poik zur letzten legalen Straßendemonstration nachdem Hitler Reichskanzler wurde: 600 Jülicher protestieren, einige von ihnen werden wenig später verhaftet. Die Partei wird verboten; Jülicher SPD-Politiker 1939 von den Nazis verhaftet.

Kaum zurück in Jülich, in der zerstörten Stadt leben zu diesem Zeitpunkt bereits wieder 7000 Menschen, stellt Gustav Dieden am 30. Januar 1946 den Antrag an die Militärregierung, politische Veranstaltungen abhalten zu dürfen. 17 Tage später beginnt mit einer Sitzung um 14 Uhr in der Gaststätte Schützenhof auf der Linnicher Straße die Nachkriegs-Ära der SPD, die ihren ersten Höhepunkt mit der Bürgermeisterschaft von Josef Hommen hat, der zur Amtseinführung am 11. März 1946 zum Aufbruch aufruft: „Trotz allem wollen wir den Mut nicht sinken lassen…aus den Ruinen muss neues Leben entstehen…“ und „Die Jugend muss in demokratischem Geist erzogen werden.“ SPD-Urgestein Karl-Heinz Chardin, damals Anfang 20 erzählte schmunzelnd vom ersten Wahlkampf, in dem die SPD antrat mit dem Slogan:

„Lass den dran, der was kann“.

Die CDU konterte: „Der was kann, ist ja dran.“ Die SPD wieder „Der was kann, der braucht nicht zu prahlen mit den Taten, darum wählt Sozialdemokraten.“ Ein Wahlkampf-Plakat-Dialog aus den Gründerzeiten. „Das plätscherte, das war nicht bösartig.“

Auf und abs folgen: 1956 erreicht die SPD nur einen Sitz weniger als die CDU mit 39,6 Prozent, ,um 1961 auf 29,2 Prozent abzurutschen und drei Jahres später 40,4 Prozent der Stimmen zu erringen. „Wir haben es uns aber auch selbst schwer gemacht – und des sind einige Leute dazu gekommen, die es uns schwer gemacht haben,“ sagt Karl-Heinz Chardin, seit 1947 Parteimitglied und in dieser Zeit Vorsitzender. Es ist die Zeit des zweiten Jülicher „Umbruchs“: Die Kernforschungsanlage (KFA) bringt eine neue Vielfalt und reichlich Akademiker in die Stadt, die sich der Sozialdemokratie zugeneigt zeigen.: „Wir waren stolz, den ersten Doktor in der Partei zu haben. Das kannte die SPD hier ja gar nicht…“ Allerdings kein Glücksgriff, wie Chardin rückblickend sagt. Nach dem „61er“ Wahldebakel hätte man ihn in die Wohnung des Doktors „zitiert“, wo weitere Promovierte auf ihn warteten, um ihn zur Rede zu stellen: „Mit jedem Doktortitel wurde ich kleiner“, sagte der damals „kleine Schlosser bei der Bundesbahn.“, der erst später als SPD-Parteifunktionär wurde. Es war die Zeit, in der wöchentlich im Wechsel Vorstand und Fraktion tagten, gerne bis morgens um 3 Uhr,. Einwände der Arbeiter im Vorstand: „Wir müssen morgen früh um 7 Uhr auf dem Werk sein“ wurden weggewischt mit der Bemerkung „Dann könnt Ihr ja gehen“ Sobald die KFA-Fraktion alleine gewesen sei, seien Beschlüsse gefasst worden. So schildert es Chardin in der Rückschau.

Aber auch, dass die Gemeinschaftsgrundschule mit Unterstützung des „Doktors“ durchgesetzt werden konnte, die von Klerus und CDU nicht gewollt gewesen wäre. Eine weitere Schule kam hinzu: 1970 beantragte die SPD die Einrichtung einer Musikschule. 1973 wurde sie eröffnet – das Jahr, in dem die SPD 700 Mitglieder zählte. Um diesen – nach der kommunalen Neugliederung 1972 – einen festen Anlaufpunkt zu bieten wurde 1974 das Bürgerbüro in der Wilhelmstraße eröffnet und 1977 das ASF Kleiderlädchen, dass es bis heute an der Turmstraße gibt.

Den Wahlkampf mit dem Gesamt-Konzept zur Innenstadt-Gestaltung führt Katja Böcking, nach Karl-Heinz Chardin die jüngste Vorsitzende in der Geschichte der Jülicher SPD, auf den Sieg von Heinz Schmidt zurück, der 1984 Bürgermeister wurde. Eine Ära, aus der neben der bis heute diskutierten Innenstadt-Belebung versus autofreier City und Fußgängerzone auch der Neubau des Kulturhauses am Hexenturm und die Entscheidung zur Landesgartenschau 1998 stammt. Außerdem, wie Katja Böcking betont, sei „die Pro-Kopf-Verschuldung um einige Millionen gesunken. Viele Leute sagen ja, die Sozialdemokraten könnten nicht mit Geld…“ „Es war ein Steckenpferd von Heinz Schmidt, den hab ich übrigens in die Partei geholt“ ergänzt Chardin.

Waren 1969 die ersten Ratsstühle bei der SPD mit Frauen besetzt, dauerte es bis zur 1. stellvertretenden Bürgermeisterin noch 15 Jahre. Ihr Name: Friederike Doose. Erste Vorsitzende der Partei wurde 2008 Helma Dürholz. In ihrem Vorstand trat die heutige Vorsitzende Katja Böcking, kaum dem Juso-Vorsitz entwachsen, ihren ersten Vorstandsposten bei der SPD an – als stellvertretenden Schriftführerin. „Und wer schreibt, der bleibt“, sagt die 28-jährige Finanzbeamtin grinsend.

Sie sieht Jülich als eine Stadt mit vielen Chancen und Möglichkeiten, die es aber stärker und intensiver zu nutzen gelte. Vor allem für junge Leute müsse die Herzogstadt als Wohn- und Lebensort seine Attraktivität ausbauen. Um das Ohr am Volke zu haben, wurde im Sommer ein Stand in der Stadt aufgebaut, bei dem man gut ins Gespräch gekommen sei und hörte, was die Menschen vor Ortbeschäftigte. An einer Klagemauer konnten die Jülicher ihre Verbesserungswünsche anbringen. Daraus wurden Anträge formuliert, auf der Versammlung beschlossen und werden nun in den Rat gehen. Nach den Zielen befragt, lacht die Jung-Vorsitzende: „Viele“, sagt sie: Die prekäre Haushaltslage, Strukturwandel, Brainergy-Park Infrastruktur, bezahlbares Wohnen…

„Wenn wir uns mit mit Forschungszentrum und dem Brainergy-Park präsentieren wollen, müssen wir nach außen hin sichtbar werden.“

Vor der Arbeit wird aber erstmal gefeiert: Der eigens zum Jubiläum gegründete Genossen-Chor singt am Freitag, 23. November, im Palmengarten des TZJ für die geladenen Gäste, Jubilare wurden geehrt und der Tisch reich gedeckt. Als Festredner waren SPD-Landesvorsitzender Sebastian Hartmann und Bundestagsabgeordneter Dietmar Nietan geladen.


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