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Quantenexperiment gibt Fragen auf

Quantensysteme gelten als äußerst fragil. Schon kleinste Wechselwirkungen mit der Umgebung können zur Folge haben, dass die empfindlichen Quanteneffekte verloren gehen. In der Fachzeitschrift Science beschreiben Forschende der TU Delft, der RWTH Aachen und des Forschungszentrums Jülich nun aber einen Versuch, in dem sich ein Quantensystem aus zwei gekoppelten Atomen unter Elektronenbeschuss erstaunlich stabil verhält. Das Experiment könnte einen Hinweis darauf liefern, dass sich auch die Quantenzustände in einem Quantencomputer in bestimmten Fällen einfacher realisieren lassen als bislang gedacht.

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Physiker Prof. Markus Ternes. Foto: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach
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Die sogenannte Dekohärenz gilt als größter Feind des Quantenphysikers. Fachleute verstehen darunter den Zerfall von Quantenzuständen. Dieser tritt unweigerlich ein, wenn das System mit seiner Umgebung in Wechselwirkung tritt. In der makroskopischen Welt ist dieser Austausch unvermeidbar, weshalb Quanteneffekte im täglichen Leben selten eine Rolle spielen. Die in der Forschung verwendeten Quantensysteme wie einzelne Atome, Elektronen oder Photonen lassen sich besser abschirmen, sind aber grundsätzlich ähnlich empfindlich.

„Systeme, die der Quantenphysik unterliegen, sind anders als klassische Objekte nicht in all ihren Eigenschaften scharf definiert. Stattdessen können sie mehrere Zustände gleichzeitig besetzen. Man spricht hier von Überlagerung“, erklärt Markus Ternes. „Ein berühmtes Beispiel ist Schrödingers Gedankenexperiment mit der Katze, die zeitweilig zugleich tot und lebendig ist. Die Überlagerung bricht jedoch zusammen, sobald das System gestört oder gemessen wird. Übrig bleibt dann nur noch ein einziger Zustand, der Messwert“, so der Quantenphysiker vom Forschungszentrum Jülich und der RWTH Aachen.

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Umso erstaunlicher wirkt vor diesem Hintergrund das Experiment, das Forschende nun an der TU Delft durchgeführt haben. Mithilfe einer neuen Methode gelang es ihnen erstmals, in Echtzeit zu beobachten, wie zwei miteinander gekoppelte Atome frei zwischen verschiedenen angeregten Zuständen flipflopartig hin und her wechseln.

„Jedes Atom trägt ein kleines magnetisches Moment, den sogenannten Spin. Diese Spins beeinflussen sich gegenseitig, so wie es Kompassnadeln tun, wenn man sie in die Nähe bringt. Wenn man einem von ihnen einen Schubs gibt, fangen sie an, sich auf eine ganz bestimmte Weise zu bewegen“, erklärt Sander Otte, Leiter des Delfter Forschungsteams.

Aus dieser Art des Informationsaustauschs zwischen Atomen gehen Quanteneffekte hervor, auf denen verschiedene Formen von Quantentechnologien basieren. Ein bekanntes Beispiel ist die Supraleitung: der Effekt, bei dem einige Materialien unterhalb einer kritischen Temperatur ihren elektrischen Widerstand vollständig verlieren.

Unkonventioneller Ansatz

Otte und sein Team wählten einen sehr direkten Weg, um die Interaktion zwischen den Atomen zu beobachten. Mit einem Rastertunnelmikroskop platzierten sie zwei Titanatome in einem Abstand von etwas mehr als einem Nanometer – einem Millionstel Millimeter – nebeneinander. In diesem Abstand sind die Atome gerade noch in der Lage, den Spin des jeweils anderen zu spüren. Würde man nun einen der beiden Spins verdrehen, würde der Austausch zwischen den Atomen von selbst beginnen.

Normalerweise wird dieses Umklappen mittels präziser Funksignale durchgeführt, die man an die Atome sendet. Diese so genannte Spin-Resonanz-Technik erinnert an die Kernspintomographen in einem Krankenhaus und wird in der Forschung bereits erfolgreich eingesetzt. Unter anderem Quantenbits in bestimmten Quantencomputern werden so programmiert. Das Verfahren hat jedoch einen Nachteil. „Es ist einfach zu langsam“, sagt der Delfter Doktorand Lukas Veldman, Hauptautor der Science-Publikation. „Kaum hat man angefangen, den einen Spin zu drehen, rotiert der andere schon mit. Auf diese Weise kann man nie untersuchen, was passiert, wenn man die beiden Spins in entgegengesetzte Richtungen bringt.“

Also griffen die Forscher zu einem unkonventionellen Ansatz: Sie kehrten den Spin eines der beiden Atome mit einem plötzlichen Stromstoß schlagartig um. Zur Überraschung der Forschenden folgte auf diesen drastischen Ansatz eine Quantenwechselwirkung, wie sie im Lehrbuch steht. Denn während des Pulses stoßen Elektronen mit dem Atom zusammen und bringen dessen Spin zum Rotieren. Otte: „Wir sind immer davon ausgegangen, dass bei diesem Vorgang die empfindliche Quanteninformation – die sogenannte Kohärenz – verloren geht. Denn die Elektronen, die man aussendet, sind inkohärent: Jedes Elektron hatte vor der Kollision eine etwas andere Geschichte, und dieses Chaos überträgt sich auf den Spin des Atoms und zerstört jede Kohärenz.“

Dass dies nun nicht der Fall zu sein scheint, sorgte für einige Diskussionen. Offenbar kann jedes Elektron Überlagerungszustände erzeugen, wie sie die Grundlage für fast jede Form der Quantentechnologie bilden. Dass diese Elektronen über ihre Historie noch mit ihrer Umgebung in Verbindung stehen, spielt offenkundig keine Rolle. Es geht hier also um die Verletzung eines Grundsatzes der Quantenphysik, demzufolge jede Messung die Überlagerung von Quantenzuständen unwiederbringlich zerstört.

„Die Krux ist, dass es auf Perspektive ankommt „, argumentiert Markus Ternes, der als Co-Autor an dem Science-Paper beteiligt ist. „Das Elektron kehrt den Spin eines Atoms um, sodass es zum Beispiel nach links zeigt. Man könnte dies als eine Messung betrachten, die das gesamte Quantengedächtnis löscht. Aber aus der Sicht des kombinierten Systems aus beiden Atomen ist die resultierende Situation gar nicht so banal. Für die beiden Atome zusammen stellt der neue Zustand eine perfekte Überlagerung dar, die den Austausch von Informationen zwischen ihnen ermöglicht. Entscheidend dafür ist, dass beide Spins verschränkt werden.“

Die Entdeckung könnte sich als folgenreich für die Entwicklung und Erforschung von Quantencomputern erweisen, deren Funktion auf der Verschränkung und Überlagerung von Quantenzuständen beruht. Folgt man den gewonnenen Erkenntnissen, so muss man bei der Erzeugung dieser Quantenzustände vielleicht etwas weniger vorsichtig sein als bislang gedacht. Für Otte und sein Team an der TU Delft ist das Ergebnis aber vor allem der Ausgangspunkt für weitere spannende Experimente. Veldman: „Hier haben wir zwei Atome verwendet, aber was passiert, wenn man drei verwendet? Oder zehn, oder tausend? Das kann niemand vorhersagen, da die Rechenleistung [für die Simulation solcher] Zahlen nicht ausreicht.“


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