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Gelassen

…wie, was, wer hat da einen gelassen? Ach so, der Herzog – mich an diesen Artikel… Naja, nach so einem lauwarmen Einstandskalauer kann das Folgende eigentlich nur besser werden.

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Prinzipiell erachte ich Gelassenheit als durchaus positiv, wahrscheinlich allein schon deshalb, weil ich selbst selten über die bisweilen nötige verfüge. Ich rege mich oft viel zu schnell auf, vor allem auch über Leute, die ihre Lethargie für Gelassenheit halten. Die verwechseln auch gerne Gleichgültigkeit mit Toleranz. Gelassen tolerant sein wird ja auch immer schwieriger in einer Zeit, in der auch die sich für tolerant Haltenden mal schnell einen Shitstorm aus der Tastatur brechen.

Aber wie für vieles andere eher Überflüssiges gibt es ja mittlerweile vielleicht nötigerweise auch Gelassenheits-Coaches. Coach… Das habe ich früher im Englischunterricht noch als „Kutsche“ gelernt. Mein Wörterbuch belehrt mich allerdings, dass es auch Nachhilfelehrer, sogar Einpauker bedeuten kann. Den Trainer hat es ja schon seit längerem ersetzt. Also sollte ich mir gelegentlich vielleicht einen Gelassenheits-Nachhilfelehrer und, wenn der nicht hilft, einen -einpauker für meinen eigenen Stundenlohn übersteigendes gutes Geld zulegen. Jedenfalls keine(n) Coach. Denn wirklich gelassen bin ich seit Jahren nachweislich nur auf der Couch – meiner eigenen und nicht auf der von Siegmund Freud sich meist der Zeitgeistlosigkeit angepasst habenden Nachfahren.

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„Erzählen Sie doch mal, warum Sie meinen, nicht gelassen bleiben zu können…“ „Weil ich immer musste!“ „Ach, Sie hatten schon als Kind Harn-, Entschuldigung, Hirndrang – das war jetzt ein berufsbedingter Freudscher Versprecher. Also Sie mussten – was denn so alles?“ „Mich mitteilen, zu allem und jedem meinen Kommentar abgeben, auch völlig unqualifiziert und sinnlos!“ „Was finden Sie daran denn so schlimm?“ „Dass es damals noch kein Smartphone gab! Selbst meine guten Bemerkungen fanden kaum Resonanz und waren in kürzester Zeit vergessen. Heute wäre ich Top-Influencer oder zumindest Blöd-Blogger mit tausenden Freunden – jedenfalls mit mehr, als mir mittlerweile weggestorben sind. Ich könnte meine eigene eigentliche Bedeutungslosigkeit gar nicht mehr als solche wahrnehmen: hee, wieder neue Follower!“ „Ja, da haben Sie sich ein Problem geschaffen… Moment bitte, ich bekomme gerade meinen neuesten Account…“

Ich wusste ja gleich – so eine(r) ist nicht wirklich hilfreich. War ja nicht der erste Versuch, mir entspannte Gelassenheit zuzulegen. Beim Atmungstherapie-Seminar musste ich immer husten. Da hätte ich auch in ein Klassikkonzert gehen können. Yoga hat es auch nicht gebracht. Entweder schliefen mir die Beine ein oder bei den angenehmeren Positionen ich. Klangschalen-Geklingel, aufgelegte Edelsteine, Aromen schnüffeln, Bäume umarmen… Ich wurde nicht, also habe ich das dann gelassen. Ah, Ernst beiseite… Kennen Sie die Geschichte von dem Mann, der wegen Diarrhoe (Durchfall) zum Arzt kommt, der aber das Rezept verwechselt und ihm eines mit einem Beruhigungsmittel gibt? Tage später begegnen sie sich, und der Arzt fragt: „Und? Ist der Durchfall weg?“ „Nöh“, so die Antwort, „aber das ist mir jetzt egal.“

Mhm, selbst wenn ich das verschriebene Mittel kennen würde, das ginge bei einem Therapieresistenten wie mir wahrscheinlich auch in die Hose…

Ich bin doch ziemlich ratlos, wie ich mir Gelassenheit unter den derzeitigen Gegebenheiten verschaffen könnte. Sollte ich einfach mal die Tagesschau weglassen und lieber RTL einschalten? Auf ebenso harm- wie sinnlose Unterhaltung setzen, überkandidelten „Star“-Köchen und unterbelichteten C-Promis beim Brutzelspaß zusehen, infantil Verkleideter Gesangsversuche betrachten und hören müssen? Mir mal schnell was bei Temu bestellen, einfach mal mit all diesen spaßigen Konsumangeboten mein Resthirn betäuben? Nee, ich glaube nicht, dass der cerebrale Durchfall davon weggeht, aber ist ja dann egal…

Mir aber nicht. Ich befinde mich mit Millionen Europäern in einer Komfortzone, die nicht nur das Jammern ver- sondern Tätigkeit gebietet. Nicht indem man eine Alternative für Deutschland wählt, die keine ist, sondern indem man unter anderem auf Unnötiges und Sinnloses verzichtet.
Ein Sein-Lassen – nämlich das, was ich nicht wirklich muss und brauche, und andere, wie sie sind. Wenn diese es denn auch tun.

Seltsamerweise stellt sich diese einfache, vernünftige Sicht der Dinge immer seltener ein. In einer Gesellschaft meist überzogener Ansprüche können die Fordernden natürlich nur schwer gelassen bleiben. Und die sich sinnvollerweise freiwillig Einschränkenden haben es – zumal mit solchen Zeitgenossen – auch nicht leicht.

So ein Ärger – ich finde das Rezept nicht… Wo habe ich es nur gelassen…?


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