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Als das Wasser kam

Als der Regen am Mittwoch nicht mehr enden wollte und die Redaktion auf Nachfrage bei THW und Feuerwehr hörte, dass lediglich drei Keller leergepumpt werden mussten, war die erste Regung: "Glück gehabt". Unwissenheit ist manchmal ein Geschenk. Ein ganz persönlicher Rückblick auf die Ereignisse der vergangenen Tage.

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Bilder von Ariane Schenk, Tom Besselmann, Linda Schmitz, David Merz, Volker Goebels, Mira Otto, Hacky Hackhausen, Dorothée Schenk, und vielen, vielen anderen.
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In den Abendstunden des Mittwochs wurde die Lage brenzlig: Der Pegel der Rur stieg, die Kanäle liefen voll und damit viele Keller in Rurnähe. Die Einsatzkräfte rückten in voller Besetzung aus, um der Bevölkerung in der Stadt zur Seite zu stehen. Dass sich das Heckfeld, links und rechts der Rur bis Hasenfeld und schließlich auch Barmen in Wasserlandschaften verwandeln würden, war erst am Donnerstag sichtbar. Mit nie in unseren Landen gesehenen und beängstigenden Bildern kamen die Kollegen des Herzogteams in die Redaktion.

Als die Frage aus dem Bürgermeisteramt kam, ob der HERZOG Teil des Krisenstabes werden und in der Öffentlichkeitsarbeit Unterstützung leisten wolle, gab es kein Zögern: Die Mannschaft war an den verschiedenen Punkten am Start, um möglichst über alle Kanäle die Menschen zu informieren. Ich möchte mich hier ausdrücklich bei unserem Team für diesen Einsatz und bei Bürgermeister Axel Fuchs für diese Möglichkeit bedanken. Was ich in den vergangenen 72 Stunden erlebt habe, war beeindruckend in vielerlei Hinsicht.

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Gesehen werden oft die Einsatzkräfte vor Ort, die über die Maßen und in beeindruckender Weise ihre Fähigkeiten für die Menschen in Ausnahmesituationen zur Verfügung stellen. Nicht gesehen und oft – so auch diesmal wieder – kritisiert (wenn auch oft hinter vorgehaltener Hand) werden die Menschen in der Stadtverwaltung.

Übersicht, Planung, Engagement bis zur Erschöpfung und tief in die Nacht hinein mit  wenig bis gar keinem Schlaf sowie Schichtwechsel habe ich erlebt: Hier gibt es keinen Dienst nach Vorschrift, sondern viel sich ergänzende Kompetenz – und zwischendurch Gummibärchen, ein Stück Pizza im Gehen und viel Kaffee in den Tassen.

Beispiel: Was passiert, wenn der Strom ausfällt? Eine Gruppe steht zusammen, diskutiert. Rettungswagen müssen betankt werden für den Ernstfall – denn dann geht keine Zapfsäule mehr an den Tankstellen. Die Ärzte und Apotheken müssen informiert werden wegen der Corona-Impfdosen, die sensibel sind und Kühlung benötigen. Wie lange reicht das Notstromaggregat des Krankenhauses? Was ist, wenn das Klärwerk ausfällt? Was, wenn es kein Wasser mehr geben sollte?

Nachdem die Arbeitsaufträge geklärt sind, spritzen die Mitarbeiter auseinander wie Wasser, das in eine Pfanne mit Öl fällt. Immer wieder kommen Freiwillige, die Telefonate übernehmen, fahren Ordnungskräfte zu den Sammelstellen für Evakuierte oder Helfer und kommen mit Nachrichten zurück. Derweil sitzen an der Hotline Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, die Hilfestellung leisten. Die schwierigste Frage an diesem Abend: Wohin kann ein bettlägeriger Schwerkranker aus dem akut betroffenen Bereich gebracht werden, der wohl kaum in einer Notunterkunft die Nacht verbringen kann.

Herzog-Collage von vielen, vielen Unterstützern.

Das alles geschieht in geschäftiger, aber umsichtiger Betriebsamkeit. Dazwischen tritt immer wieder der Krisenstab zusammen. Viele Details, die aus gutem Grund nicht in die Öffentlichkeit dringen, werden hier diskutiert und in Planspielen das Worst-Case-Szenario entwickelt. Die zum Teil widersprüchlichen Informationen von unterschiedlichen Stellen, die eingehen, müssen ausgewertet und bewertet werden. Unwissenheit ist eine Gnade. Denn Panik und Verunsicherung sollen dringend vermieden werden. Für diese Situation gibt es überhaupt kein Szenario.

Wer den Film „Deep Impact“ kennt, weiß, wie sich viele in dieser Nacht im Rathaus gefühlt haben: Die Verantwortlichen wissen, dass Unplanbares auf sie zukommt. Dazu kommen die Nachrichten, die über den Bildschirm im großen Ratssaal dauerhaft gezeigt werden. Die Verzweiflung der Menschen, die das Wasser bereits mit Macht getroffen hat, macht auch die Freiwilligen in dieser Nacht betroffen und fassungslos. Auch die Menschen in der Stadtverwaltung haben schließlich Familien, bei denen sie nicht sein können. Es wird viel telefoniert in dieser Nacht.

Erste Entspannung kommt gegen Mitternacht. Die Menge abgelassenen Wassers ist geringer als angekündigt. Schließlich wird sie bei 130 Kubikmetern in der Sekunde liegen. Das Zeitfenster wird von Mitternacht auf 8 Uhr früh verlegt. Der Krisenstab, dem dann auch Stadtwerke-Chef Ulf Kamburg und Wehrleiter Swen Henseler angehören, tritt wieder zusammen und beschließt, die Hälfte der Belegschaft als Bereitschaft im Rathaus zu belassen. Der Rest wird bis 6 Uhr früh nach Hause geschickt, um wenigstens ein paar Stunden zu schlafen. Keine Minute Ruhe gönnt sich die Verwaltungsspitze, Bürgermeister Axel Fuchs, Dezernent Richard Schumacher und Dezernentin Doris Vogel, die sich selbstverständlich in das Team der Hotline einfügt.

Warum die Bevölkerung nicht über die Zeitverschiebung informiert worden ist: Man stelle sich vor, die Evakuierten würden sich in falscher Sicherheit wiegen und in ihre Häuser zurückkehren. Die Welle käme doch früher als angekündigt oder mit einer Macht, die eine Rettung der Menschen aus den betroffenen Gebieten unmöglich macht. Das ist eine Form der Verantwortung, die der Krisenstab trägt und danach die richtige Entscheidung trifft.

Die letzten Stunden sind zermürbend. Das Warten ist das Schrecklichste. Um 8 Uhr stehen Bürgermeister Axel Fuchs und Dezernent Richard Schumacher auf der Ruchlinski-Brücke und warten, was auf sie zukommt. Es ist vor allem eines: Erleichterung. Denn die angekündigte „Bugwelle“ bleibt aus. Das Wasser war bereits über Nacht zurückgegangen, und die Kanäle nehmen wieder Wasser auf. Das ist der notwendige „Puffer“. Was die Jülicher vermutlich mit gerettet hat, ist nicht nur der lange Weg des Wassers von der Eifel in die Rurauen, sondern auch die Inde, die in den Tagebau eingebrochen ist. Somit ist ein Gutteil des Wassers gar nicht erst in Jülich angekommen.

Es ist unfassbar! Dankbarkeit und Erleichterung zeigen sich auf den Gesichtern im Rathaus. In dem Bewusstsein: Jetzt geht die Arbeit erst richtig los. Zwar ist die akute Gefahr gebannt, aber die Aufräumarbeiten und die Millionenschäden müssen erst erfasst und bewältigt werden. Die persönlichen Schicksale gilt es zu betrachten ebenso wie die kommunalen Verantwortlichkeiten. Nach den ersten Interviews begeben sich Fuchs und Schumacher auf die erste Begutachtungstour durch die Stadt, fahren die Schwerpunkte der Schäden an. Nach rund 48 Stunden Einsatz ohne Unterlass und wenigen Minuten der Entspannung fahren auch sie nach Hause.

Wohlwissend, das ist erst der Anfang. Am Samstag geht es weiter und am Sonntag auch. 14 Uhr – erneute Krisenstabsitzung. Diesmal geht es um ganz Praktisches: Entsorgung der wassergetränkten Kellerinhalte, Konzentrierung der Hilfsangebote, Kanalisierung der Spendenbereitschaft.

Es bleibt noch viel zu tun.

Chronologie:
„Als das Wasser kam“

Mittwoch, 14. Juli
Es gießt wie aus Kübeln

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Donnerstag, 15. Juli
Land unter

Schotten dicht

Wasser, Wasser, Wasser (1) und Wasser, Wasser, Wasser (2)

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Krisenstab tritt zusammen

Drähte laufen heiß

Nervöse Ruhe

Freitag, 16. Juli
Eine Stunde bis zur Bugwelle

Große Erleichterung: Krisenstab ist aufgelöst

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Park ist geschlossen, die Tiere sind evakuiert

Ein erster Rückblick

Samstag, 17. Juli
Große Solidarität im Jülicher Land

Wasser, Wasser, Wasser (3)

Brücken bleiben gesperrt

Sonntag, 18. Juli
Historisches Hochwasser

Erste Hilfsmaßnahmen für Hochwasserbetroffene angelaufen


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