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Mangel durch Besitz

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Illustration: Zara Schmittgall
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Kennen Sie Mangel? Also nicht, dass die Butter mal alle ist, wenn man gerade Kuchen backen möchte und man schnell noch mal zum Supermarkt flitzen muss, um sich zwischen den zehn Sorten die beste oder günstigste rauszusuchen. Sondern wirklichen, echten, existenziellen Mangel. Not, könnte man sagen. Schon mal keine Luft mehr zum Atmen gehabt? Oder waren Sie einmal in einer Lebenskrise und hatten niemanden, den Sie hätten anrufen können? In Deutschland müssen nur wenige diese „echte Not“ leiden. Umso mehr scheint ein jeder verpflichtet, gerade auf die Menschen achtzugeben, die zu wenig haben. Aber tun wir das?

So hört man aktuell immer wieder, dass wir eine Zeit des Wandels erleben. Von einem Epochenbruch spricht so der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als am 24. Februar der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine startete. Nach jahrzehntelangem Wohlstandswachstum nimmt das „Fehlen von Etwas“ mit der Krise nach der Krise immer mehr Platz ein. In der Coronakrise war das beispielsweise der Kontakt zu anderen Menschen. Viele Senioren haben hier eine besonders grausame Form des Mangels, bittere Einsamkeit, erleben müssen. Zwischen Lieferengpässen, Energiekrise und Inflation kämpft ressourcenintensive Industrie um das Überleben. Menschen, die vorher gerade so genug hatten, haben durch die steigenden Preise nun zu wenig. Erscheinungen von Mangel sind etwas Alltägliches geworden.

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Ich möchte Sie aber auf eine ganz andere Form von Mangel aufmerksam machen. Denn gegensätzlich zu dem echten Mangel ist es interessant zu beobachten: Egal wie viel der Mensch hat, er hat nie genug. Ist der Magen gefüllt und das Haus gekauft, das Auto getankt, dann muss irgendwas „mehr“ werden. Ist der echte Mangel überwunden, wird er eben selbstgemacht. Es ist, als würde man nach dem Mangel förmlich suchen.

Immer wieder widmen Menschen dann ihr ganzes Leben diesem Luftschloss, dem Mangel, den es eigentlich gar nicht gibt. Das Auto muss fetter, der Urlaub exklusiver werden, und auch das Logo auf der Kleidung zeigt, dass man jemand ist – und zwar ausschließlich, weil man es sich leisten kann. Und wenn der Nachbar dann nachzieht und sein Konto für die Bonzenkarre auf Null setzt, dann muss wieder „mehr“ gezeigt werden. Bis der Lebensinhalt das oberflächliche Beeindrucken anderer geworden ist. Aber was hat man davon? Macht der Konsum von Mangel denn wirklich glücklich?

Trauriges Sichtbarwerden dieser Jemand-Sein-Durch-Haben-Kultur ist dann, wenn die Kinder aus der Schule kommen und das neuste Tablet oder Smartphone brauchen, weil die anderen das eben auch haben, und die Teilnahme an dem „Wettbewerb des Habens“ selbst in der fünften Klasse notwendig ist, um im Klassenverband einfacher jemand sein zu können. Nicht jeder kann dem Kind eben mal das neuste Handy kaufen und es in Markengarderobe einkleiden. Und dieses Kind ist dann, egal welchen wunderschönen Charakter es in sich trägt, häufig irgendwie anders und damit außen vor, nur weil es weniger materielle Werte besitzt. Ernster Gedanke ist dann, ob die Chancengleichheit noch gegeben sein kann, wenn Kinder haben müssen, um zu sein. Gibt es Mangel durch Konsum?

Wäre es nicht viel schöner, nicht sein Kontostand zu sein, sondern jemand, der anderen ein Lächeln auf das Gesicht zaubert, weil man humorvoll ist, da hilft, wo Hilfe gebraucht wird, oder eben einfach gut zuhört, wenn jemand echten Mangel erleidet? Und umgekehrt: Finden Sie Menschen in ihrer Umgebung nicht viel angenehmer, die für Sie da sind? Vielleicht wären die beiden Nachbarn glücklicher, wenn sie statt des Protzwettbewerbes mal gemeinsam einen Glühwein trinken gehen.
Denn wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann bringt der Luxusgegenstand meistens herzlich wenig. Denken Sie mal an eine Situation, in der Sie wirklich echten Mangel gelitten haben und nicht mehr wussten, wie es weitergeht. Was haben Sie getan? Eine Golduhr gekauft oder den besten Freund angerufen? Sind in dieser Situation Menschen nicht besonders wertvoll und damit wirklicher Reichtum? Ein anderes Beispiel ist das Hochwasser. Wenn da nicht alle im bedingungslosen Zusammenhalt einander geholfen hätten, wäre alles wohl schlimmer gewesen. Es ist der Zusammenhalt, der den Mangel lindern kann.
Denken Sie in härteren Zeiten ganz im Sinne von „Der eine hat den Wein, der andere hat den Becher“ an Ihre Mitmenschen. Halten Sie zusammen, anstatt den Konsum zu Ihrem Lebensziel zu machen. So lebt es sich, auch am Weihnachtsabend, viel schöner.


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