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Interview mit Heinrich Stommel: Ruhestand ist weder Ruhe noch Stand

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Heinrich Stommel | Foto: HERZOG
Heinrich Stommel | Foto: HERZOG
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HERZOG: Seit dem 21. Oktober sind Sie kein Bürgermeister der Stadt Jülich mehr. Ich frag mal ganz charmant: Schon sechs Monate Ruhestand oder erst ein halbes Jahr?

Stommel: Anfänglich fühlte ich mich noch im Urlaubsmodus. Erst langsam setzte sich die Erkenntnis fest, dass der Ruhestand an die Stelle von Urlaub getreten ist. Inzwischen wundere ich mich, wie schnell die Zeit auch ohne das altbekannte Arbeitsleben vergeht!

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HERZOG: Wie schmeckt denn der neue Lebensabschnitt? Süß wie Erdbeermarmelade oder doch eher wie Bitterschokolade?

Stommel: Nahezu ohne Terminverpflichtungen findet eine sehr angenehme  Entschleunigung im Alltag statt. Die Möglichkeiten, die mir die jetzt reichlich verfügbare Zeit bietet, eröffnen eine deutlich verbesserte Lebensqualität ohne Zeitdruck. In gewisser Weise befreiend wirkt zudem, nicht mehr die große Verantwortung des Bürgermeisteramtes zu tragen. Also: eher Erdbeermarmelade – obwohl mir Bitterschokolade deutlich besser schmeckt.

HERZOG: Was machen Sie jetzt so den ganzen Tag? Welche Gewohnheiten haben Sie beibehalten, was konnten Sie sofort ändern?

Stommel: In 23 Jahren als Stadtdirektor und Bürgermeister war Freizeit mein knappstes Gut. So gibt es in Haus, Keller und Garten auf längere Zeit genug zu tun, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Im Gegensatz zu früher beginnt mein Tag heute mit Frühsport und einem ausgedehntes Frühstück. Danach habe ich jetzt endlich viel Zeit zum Lesen und für verschiedene sportliche Aktivitäten.

HERZOG: Wie kommt Ihre Familie mit dieser Vollbremsung von einer 70-Stunden-Woche auf Ruhestand klar?

Stommel: Nun, ich versuche, meine Frau zeitlich zu entlasten, indem ich Einkäufe erledige, mehr Gartenarbeit und auch im Haus Aufgaben übernehme. Meine Familie genießt es, dass ich jetzt viel Zeit für sie habe.

HERZOG: Wie ruhig ist es jetzt im Hause Stommel?

Stommel: Da ich morgens nicht mehr ins Rathaus fahre, ist im Hause Stommel nun tagsüber mehr Unruhe als in der Vergangenheit.

HERZOG: Worauf sind Sie besonders stolz beim Rückblick auf 25 Jahre im Jülicher Rathaus? Und was ist es völlig uncharmant einfach wert, besser vergessen zu werden?

Stommel: Im Rat habe ich die Durchführung der Landesgartenschau durchgesetzt. Da dadurch flossen ca. 50 Millionen DM an Zuschüssen nach Jülich. Letztlich wurde so auch die Ansiedlung des JUFA-Hotels ermöglicht. Gemeinsam mit Professor Hoffschmidt habe ich den Weg zum Bau des Solarturmkraftwerkes bereitet. So habe ich für die Ansiedlung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt als zweiter Großforschungseinrichtung und für die Entwicklung Jülichs zu einem Wissenschaftszentrum für alternative Energien gesorgt. In meiner Amtszeit haben wir Kindergärten gebaut und alle Schulen saniert, das Schlachthofgelände entwickelt und die Ansiedlung der Galeria Juliacum und des TOOM-Baumarktes erreicht. Jülich wurde als „Stadt der Vielfalt“ ausgezeichnet, und wir haben durch verschiedene Projekte wie „Demenzfreundliche Stadt“ erfolgreich aktuelle Probleme aufgegriffen. Schnell vergessen sollte ich die Einmischung der Ratsfraktionen in Organisations-  und Personalentscheidungen.   

HERZOG: Verfolgen Sie die Vorgänge in Jülich, in der Politik und Verwaltung noch täglich?  Gucken Sie jetzt mit anderen Augen hin?

Stommel: Wenn man nicht mehr in der Verantwortung steht, dann ändert sich selbstredend die Nähe zum Geschehen. Ich  bleibe aber auch als ‚Nicht-mehr-Bürgermeister‘ Jülicher. Also verfolge ich weiterhin interessiert die Dinge, welche die Stadt betreffen, aber jetzt mit Abstand.

HERZOG: Über 25 Jahre war Jülich für Sie beruflich der Mittelpunkt der Welt. Jetzt haben Sie Freizeit genug, um den Rest der Welt zu erkunden. Wie weit sind Sie denn schon gekommen? Zu Fuß, mit dem E-Bike, auf Schienen und in der Luft?

Stommel: Witterungsbedingt hielt sich das Radfahren bislang in Grenzen. Die Spaziergänge haben zugenommen. Bei mehreren Kurzreisen und Skiurlauben lag der Schwerpunkt bislang im näheren Ausland. Dabei soll es zukünftig nicht bleiben.

HERZOG: Gab es mal einen Herrn Stommel ohne Schnäuzer, also quasi ohne Ihr charmantes Markenzeichen? Hat Ihr Schnauzbart ein Vorbild? Clark Gable vielleicht?

Stommel: Den Schnäuzer habe ich ohne Vorbild seit 1971. Dem Wunsch meiner Frau folgend wird er vielleicht  – zumindest auf Zeit – verschwinden.

HERZOG: Als Kulturmagazin ist der Herzog natürlich brennend an Ihren kulturellen Unternehmungen interessiert und da Sie ja jetzt Zeit haben: Welches Buch lesen Sie gerade? Welchen Film habe sie zuletzt gesehen? Ein Theaterstück besucht?

Stommel: Ich lese zur Zeit „Der Westen und der Rest der Welt“ von Niall Ferguson und ein Lehrbuch über Golf. Im Kino habe ich Leonardo DiCaprio in „The Revenant“ gesehen. Einige Konzerte habe ich besucht, aber im Theater bin ich als Pensionär noch nicht gewesen.

HERZOG: Gab es einen Moment, in dem Sie es bereut haben, nicht mehr Bürgermeister zu sein?

Stommel: Bislang nicht.

HERZOG: Können Sie eigentlich gut handwerkern? Der Ehrenamtsdienst „Senioren helfen Senioren“ trifft sich wöchentlich im Neuen Rathaus. Also wenn Sie mal Sehnsucht haben, wäre das ein für Sie vorstellbarer Weg zurück ins Rathaus?

Stommel: Für den privaten Hausgebrauch sind meine handwerklichen Fähigkeiten o.k. – bei diesem Wirkungskreis sollte es auch bleiben. Zu besonderen Anlässen komme ich auch zukünftig gern ins Rathaus.

HERZOG: Vielen Dank für das Gespräch!                       


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